Schutz durch ImpfungWie genau funktioniert das mit der Herdenimmunität?
dpa/jka
13.2.2021 - 18:12
Zwei Drittel der Bevölkerung sollten geimpft sein, um die Pandemie zu stoppen. Im Licht ansteckenderer Corona-Varianten zeichnet sich nun aber ab: Das wird wohl nicht reichen.
Das langfristige Ziel der weltweiten Impfaktion war schnell klar: Herdenimmunität. Damit diese erreicht wird, müssen mindestens zwei Drittel der Bevölkerung gegen das Coronavirus geimpft sein – oder die Erkrankung durchgemacht haben. Doch haben wir danach wirklich Ruhe?
Dagegen spricht auf den ersten Blick, dass die brasilianische Metropole Manaus, in der die grosse Mehrheit der Bevölkerung schon an Corona erkrankt gewesen sein soll, gerade einen zweiten Kollaps des Gesundheitssystems erlebt. Auslöser ist wieder Sars-CoV-2.
Die Nachrichten aus der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas lassen aufhorchen: Es fehlen Krankenhausbetten und Sauerstoff, Patienten werden in andere Bundesstaaten ausgeflogen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) organisierte Hilfslieferungen: Sauerstoff, Thermometer, Schnelltests.
Besonders verwunderlich an der Entwicklung ist, dass Forscher dort die theoretische Schwelle zur Herdenimmunität überschritten glaubten: Im Januar schätzten brasilianische Experten im Fachblatt «Science» den Anteil der Bewohner von Manaus, die sich bis Oktober infiziert hatten, auf mehr als 70 Prozent. Sie hatten Proben von Blutspendern auf Corona-Antikörper untersucht.
Neue Corona-Varianten als Problem
Was genau ist in Manaus passiert? Im Journal «The Lancet» nennen Forscher mehrere Erklärungen, die sich nicht gegenseitig ausschliessen. Demnach könnten die Schätzungen der Infektionen zu hoch gewesen sein. Auch die in der ersten Welle erlangte Immunität könnte möglicherweise im Dezember wieder geschwunden sein, so die Autoren.
Hinzu komme der Nachweis von Corona-Varianten in Manaus, die dem Immunsystem von Genesenen entgehen und erneut Infektionen verursachen. Und die offenbar ansteckender sind als frühere Formen.
Ein ansteckenderes Virus hat auch eine höhere Basis-Reproduktionszahl. Das heisst: Die Berechnung vom Frühjahr, dass ein Infizierter im Schnitt drei Menschen ansteckt, müsste bei einer Verbreitung von Varianten angepasst werden. Das bedeutet, dass Herdenimmunität nicht bereits bei 67 Prozent erreicht wäre, sondern erst bei einem höheren Anteil.
Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim rechnete auf ihrem Youtube-Channel MaiLab vor, dass die Schwelle etwa bei einem Basis-R-Wert von 5 bei 80 Prozent läge.
Drosten bezweifelt Herdenimmunität in Manaus
Das sind jedoch alles theoretische Überlegungen. In der Praxis tragen laut dem deutschen Virologen Christian Drosten viele weitere Faktoren bei – etwa Kontaktnetzwerke und Kontakthäufigkeit. Das sagte er kürzlich im «Coronavirus-Update» bei NDR.
Wahrscheinlich bildeten sich in Kombination mit milden Corona-Massnahmen schon Schutzeffekte, wenn weniger als zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sind, so Drosten. Denn das Virus verbreite sich vor allem durch Ausbrüche. Stellt man sich Netzwerke von Übertragungen vor, könnten ab einer gewissen Schwelle wichtige Verbindungen zwischen Ausbrüchen nicht mehr geschlossen werden.
Zum konkreten Fall in Manaus sagt der Virologe, eine erneute Welle schwerer Verläufe sei in einer bereits durchinfizierten Bevölkerung nicht wirklich zu erwarten. Auch andere Experten rechnen damit, dass Patientinnen und Patienten im Falle einer zweiten Ansteckung mildere Symptome bekommen. Drosten bezweifelt daher die Annahme, in Manaus sei 2020 bereits eine Herdenimmunität entstanden.
Auch durch die Impfung wird Herdenimmunität nach Ansicht Drostens nicht schlagartig erreicht sein. Er verwies in seinem Podcast auf NDR aber auf erste Daten aus Israel, die ermutigend seien: Demnach sank die Rate der Krankenhausaufnahmen bereits in Altersgruppen, in denen ungefähr jeder Zweite geimpft war.
Was bedeutet Herdenimmunität?
Mit Herdenimmunität ist ein Schutz durch die Gemeinschaft gemeint. Ist eine ausreichende Zahl der Bevölkerung geimpft oder nach der Erkrankung immun, breitet sich der Erreger kaum noch aus. Einen einheitlichen Schwellenwert gibt es nicht. «Wie viele Immune tatsächlich notwendig sind, damit dies funktioniert, hängt davon ab, wie ansteckend die Erkrankung ist und wie gut die Impfung wirkt», so das Robert Koch-Institut. Bei Covid-19 ist zudem unklar, ob Geimpfte das Virus noch übertragen und wie lange die Immunität anhält.