Covid-Impfstoff gestopptWas es mit den Vorbehalten gegen Astrazeneca auf sich hat
Von Gil Bieler
16.3.2021 - 15:21
Meldungen über Blutgerinnsel, die in Zusammenhang mit dem Covid-Impfstoff von Astrazeneca stehen könnten, sorgen europaweit für Aufregung. Was die Schweizer Zulassungsbehörde dazu sagt.
Von Gil Bieler
16.03.2021, 15:21
16.03.2021, 16:46
Gil Bieler
Kann man den Coronavirus-Impfstoff von Astrazeneca noch guten Gewissens verabreichen? Vorläufig nicht, finden immer mehr Länder Europas. Zuletzt stellte auch Zypern am Dienstag die Impfungen mit dem schwedisch-britischen Vakzin bis auf Weiteres ein. Man wolle erst eine Analyse der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) abwarten. Davor hatten unter anderem Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und Norwegen einen solchen Impfstopp verordnet.
Grund dafür sind Berichte über Fälle von Thrombosen in Hirnvenen, die zeitlich mit einer Astrazeneca-Impfung zusammenfallen. In Dänemark war es zu mehreren Erkrankungen und einem Todesfall gekommen, in Österreich ebenfalls zu einem Todesfall, in Deutschland sind bisher sieben Krankheitsfälle bekannt. Zur Einordnung: Deutschlandweit wurden über 1,65 Millionen Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs verabreicht. «Es geht um ein sehr geringes Risiko, aber falls es tatsächlich im Zusammenhang mit der Impfung stehen sollte, um ein überdurchschnittliches Risiko», sagte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn.
In der Schweiz wird das Vakzin von Astrazeneca in einem rollenden Verfahren geprüft, ist aber noch nicht zugelassen. Die zuständige Behörde Swissmedic teilt auf Anfrage von «blue News» mit, sie habe «in entscheidenden Punkten noch nicht genügend Daten, um Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität abschliessend zu beurteilen». Konkret würden weiterhin belastbare Daten aus klinischen Zulassungsstudien fehlen.
Der Bund hat sich vorsorglich 5,3 Millionen Dosen des Astrazeneca-Mittels gesichert. Könnten die aufkeimenden Zweifel die Bevölkerung verunsichern und gar das offizielle Impfziel – dass alle, die dazu bereit sind, bis im Juni geimpft sind – gefährden? Das wurde Rudolf Hauri, Präsident der Kantonsärzte-Vereinigung, am Dienstag an der Behörden-Pressekonferenz in Bern gefragt. Diese Sorge habe er nicht, so Hauri.
Er bestätigte zwar, dass besorgte Anfragen aus der Bevölkerung die Kantonsärztinnen und -ärzte erreichen. «Da braucht es dann den Dialog und die Aufklärungsarbeit», und dazu sei man bereit.
Die Suche nach einem Zusammenhang
Ob überhaupt ein direkter Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und den Thrombose-Fällen besteht, kann Swissmedic noch nicht abschätzen. «Europaweit wird aktuell abgeklärt, ob die zeitlich nach den Impfungen gemeldeten Ereignisse einen kausalen Zusammenhang mit dem Impfstoff haben könnten oder nicht», sagt Mediensprecher Lukas Jaggi auf Anfrage. Man stehe aber mit dem Hersteller und den Partnerbehörden in anderen Ländern in Kontakt.
Dass noch kein Zusammenhang erwiesen ist, betonte auch die dänische Regierung, die letzte Woche als erste die Notbremse gezogen hatte. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA bemüht sich ebenfalls darum, keine Panik zu schüren: Man müsse erst die Fakten kennen, bekräftigte EMA-Chefin Emer Cooke am Dienstag. Solange die Untersuchung laufe, sei man überzeugt, dass die Vorteile des Impfstoffs grösser seien als das Risiko. Am Donnerstag will die Behörde eine Risikoeinschätzung abgeben sich zur weiteren Verwendung des Impfstoffs äussern.
Die EMA hält in einer Mitteilung vom Montag fest, dass nach aktuellem Stand nichts auf eine Häufung von Thrombose-Fällen bei geimpften Personen hinweise. Dieser Wert scheine nicht grösser zu sein als in der Gesamtbevölkerung.
Trotzdem ist die Kontroverse darum, ob der Impfstopp angezeigt war oder nicht, bereits voll entfacht. «Ich denke, das ist ein Desaster für die Akzeptanz von Impfungen in Europa, die in einigen Ländern ohnehin schon auf wackeligem Boden steht», sagte der Experimentalmediziner Peter Openshaw vom Imperial College London am Dienstag der BBC. «Es ist wirklich eindeutig, dass die Vorteile einer Impfung die mögliche Sorge vor dieser seltenen Art der Blutgerinnsel weit überwiegen.»
Mediziner betonen zudem, dass das Thromboserisiko für Frauen, die die Antibabypille nehmen, bedeutend höher sei als bei einer Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin. Trotzdem werde die Pille nicht vom Markt genommen.
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Gleicher Ansicht ist auch eine Reihe von europäischen Ländern, darunter Tschechien, Polen und Grossbritannien. «Der positive Nutzen des Impfstoffs ist nicht zu leugnen – und es gibt keinen Grund für Befürchtungen», sagte der tschechische Gesundheitsminister Jan Blatny. Wobei das Land derzeit mit einer verheerenden dritten Corona-Welle zu kämpfen hat und daher kaum ein Interesse daran haben dürfte, das Impfprogramm zu bremsen.
In Grossbritannien wurden bereits über 11 Millionen Dosen des Astrazeneca-Vakzins verimpft. Nach offiziellen Angaben wurden keine Fälle schwerer Nebenwirkungen bekannt.
Schweizer*innen können Impfstoff nicht auswählen
Wie schnell die Zulassung für das Astrazeneca-Mittel in der Schweiz erfolgen könnte, kann Swissmedic-Sprecher Jaggi noch nicht sagen. Gingen im Laufe eines Zulassungsverfahrens neue Informationen ein, prüfe man diese und lasse sie in die Begutachtung einfliessen. «Dies kann gegebenenfalls zu einer neuen Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses führen.» Sobald alle notwendigen Daten eingereicht worden seien, «wird Swissmedic sofort entscheiden».
Sollte das Astrazeneca-Vakzin grünes Licht für die Schweiz erhalten, sollten Impfwillige wissen: Man kann sich den Impfstoff nicht auswählen. «Entscheidend dafür, wer welchen Impfstoff erhält, ist momentan vor allem die Verfügbarkeit der einzelnen Impfstoffe in der Schweiz», hält das Bundesamt für Gesundheit fest.