Experten-Einblick Was die Wissenschaft heute über Omikron weiss – und was nicht

Von Philipp Dahm

8.12.2021

Online-Aufklärung 2021: Die Experten der Uni Bern bemühen sich via YouTube und Zoom darum, Licht ins Dunkel der frisch aufgetretenen Omikron-Variante zu bringen.
Online-Aufklärung 2021: Die Experten der Uni Bern bemühen sich via YouTube und Zoom darum, Licht ins Dunkel der frisch aufgetretenen Omikron-Variante zu bringen.
Screenshot: Zoom

Wie ansteckend ist Omikron? Wirken Impfstoffe gegen die neue Mutation? In Zeiten vieler Fragen macht sich die Universität Bern für Aufklärung stark – und lässt seine Experten erklären, was bisher bekannt ist.

Von Philipp Dahm

Omikron heisst die jüngste Unbekannte dieser gefühlt nicht enden wollenden Pandemie: Die Universität Bern erforscht die neue Variante – und lässt mit einem Podium von Experten die Öffentlichkeit daran teilhaben.

Spannend macht das Ganze, dass Wissenschaftler aus ganz verschiedener Disziplinen teilnehmen. Das Motto der Veranstaltung, die online übertragen wird: «The Sars-CoV-2 Omicron variant: a snapshot of where we are» (Wo wir bei der Sars-CoV-2-Omikron-Variante stehen – eine Momentaufnahme).

Wo ist Omikron hergekommen?

Laut Dr. Emma Hodcroft gibt es dazu drei Thesen.

Erstens: Das Virus hat einen immunsupprimierten Patienten befallen, in dem es mutiert ist. Dort hat es sich auf die Körperabwehr eingestellt und die neue Variante gebildet. Zweitens: Es zirkuliert schon lange und ist nicht erkannt worden. Drittens: Das Virus ist auf ein Tier gesprungen, dort mutiert und hat dann wieder den Menschen befallen. 

Abzeigungen hier und da: Wie das Virus mutiert.
Abzeigungen hier und da: Wie das Virus mutiert.
Screenshot: Zoom/Emma Hodcraft

Auch eine Kombination dieser Ursachen ist gut denkbar. Ein Fehler wäre es, zu glauben, die Mutation sei in Südafrika entstanden, nur weil sie dort zum ersten Mal festgestellt worden ist. Inzwischen gibt es bei Omikron übrigens zwei Unterscheidungen: die Version BA.1 und BA.2.

Wie wird Omikron eigentlich erkannt?

Beim PCR-Test werden vereinfacht gesagt drei Marker abgefragt. Sind diese positiv, zeigt der Test ein positives Resultat. Bei Omikron BA.1 schlagen aber nur zwei dieser Werte an: Auch hier wird der Patient positiv getestet – und das Fehlen des einen Markers weist dann auf die neue Variante hin, erklärt Emma Hodcraft.

Marker im PCR-Test nach andren – und Omikron-Variante.
Marker im PCR-Test nach andren – und Omikron-Variante.
Screenshot: Zoom/Emma Hodcarft

Wenn so ein «Omikron-Ergebnis» bei dem einfachen Test anschlägt, wird auf andere Indikatoren nachgetestet, um die Diagnose zu bestätigen. Ein Problem ist in dieser Hinsicht die Variante BA.2. Hier würden nicht zwei, sondern wie bei Delta drei Marker positiv sein. Sprich: Sie ist nicht so einfach zu erkennen wie die ursprüngliche Variante BA.1.

Und was ist der Unterschied zwischen BA.1 und BA.2? Gute Frage: «Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob sie unterschiedlich wirken», erläutert Hodcraft. Last but not least: Grundsätzlich gilt: Um das Virus zu finden, braucht ein Land auch die dazu entsprechenden Labor-Kapazitäten.

Was macht Omikron so anders?

Omikron wartet mit mehr als 30 Mutationen in den Spike-Proteinen auf, erklärt Prof. Dr. Volker Thiel. Das tönt eindrücklich, aber mit dieser Information kann kaum einer etwas anfangen. Was da hilft, ist eine visuelle Übersicht:

Mutationen der verschiedenen Corona-Varianten: Omikron entspricht der vielfach bunt bepunkteten Abbildung links unten.
Mutationen der verschiedenen Corona-Varianten: Omikron entspricht der vielfach bunt bepunkteten Abbildung links unten.
Screenshot: Zoom/Emma Hodcraft

Nun sagt die Zahl der Mutationen an sich nicht unbedingt etwas über die Wirksamkeit der neuen Variante aus. Es kommt offenbar darauf an, in welchem Bereich diese auftreten. Und hier kommt dann die schlechte Nachricht:

Die Delta- und die Omikron-Variante im Vergleich. Im Bild rechts gelb unterlegt Prof. Dr. Volker Thiel während seines Vortrags.
Die Delta- und die Omikron-Variante im Vergleich. Im Bild rechts gelb unterlegt Prof. Dr. Volker Thiel während seines Vortrags.
Bild: Zoom/Volker Thiel

Das obige Bild zeigt die Bereiche, in denen die Spike-Mutationen auftreten. Und laut Volker Thiel sind die eingekreisten Bereiche besonders wichtig. Hier geht es um das Erkennen des Virus, hier wird bestimmt, wie gut die Körperabwehr auf den Eindringling reagieren kann, hier geht es darum, wie einfach das Virus in den Körper eintreten und wie gut es sich verbreiten kann. Und wie gut zu sehen ist, gibt es dort besonders viele Mutationen.

Wie gut kommt der Körper mit Omikron klar?

Das Podium der Uni Bern ist wirklich am Puls der Zeit. Eigentlich gäbe es ja keine Daten, sagt Volker Thiel. Doch in der vergangenen Nacht seien neue Ergebnisse aus Südafrika gekommen, die erste Schlussfolgerungen erlaubten.

Demnach ist die Immunreaktion auf die Omikron-Variante deutlich schlechter als bei den älteren. Können sich Ungeimpfte also nun auf die Schulter klopfen – unter dem Verweis, dass die anderen gegenüber Omikron keine Vorteile hätten?

Mitnichten. Wer doppelt geimpft ist und den Booster- bekommen hat, hat einen Abfall in der Immunreaktion. Der ist bei «nur» doppelt Geimpften ähnlich gross – nur auf tieferem Niveau. Und wer gar nicht geimpft ist, wird deutlich Mühe haben, Omikron aus dem Weg zu gehen oder erfolgreich zu bekämpfen.

Erste Daten aus Südafrika legen eine schwächere Immunreaktion bei Omikron nahe.
Erste Daten aus Südafrika legen eine schwächere Immunreaktion bei Omikron nahe.
Screenshot: Zoom/Volker Thiel

Wie viel ansteckender ist Omikron?

Auch hier gibt es noch keine abschliessenden Antworten. Die Variante ist wahrscheinlich ansteckender als Delta, glaubt Dr. Christian Althaus. Derzeit gehe die Wissenschaft von drei möglichen Szenarien aus, die mit der Immunevasion oder auch Immunflucht zu tun haben. 

Dabei geht es um die Frage, wie sehr die Mutation sich auf die Immunabwehr einstellen kann. Sollte es sich nicht auf diese einstellen können, wird Omikron dreimal infektiöser sein als Delta. Da eine Kompromittierung durch die ersten Daten aus Südafrika aber bereits nahegelegt ist, ist das Szenario unwahrscheinlich.

Wenn die Mutation eine 50-prozentige Immunevasion hat, ist sie ähnlich ansteckend wie Delta, und wenn sie bei 70 bis 90 Prozent liegt, ist die Variante weniger ansteckend. Genaueres würden erst weitere Daten ergeben, so Althaus.

Links Geimpfte, rechts Umgeimpfte: Omikron (rot) befällt nicht nur mehr Ungeimpfte als Delta (grün), sondern hat auch das Potenzial, die andere Gruppe anzustecken.
Links Geimpfte, rechts Umgeimpfte: Omikron (rot) befällt nicht nur mehr Ungeimpfte als Delta (grün), sondern hat auch das Potenzial, die andere Gruppe anzustecken.
Screenshot: Zoom/Christian Althaus

Warum Flugverbote aus Südafrika falsch sind

Wirkt es für Herrn und Frau Schweizer wichtig, ob Flüge aus Südafrika gestrichen werden? Tatsächlich wird hierzulande sich niemand gross darum kümmern – sofern er oder sie nicht gerade mit dem Flieger aus Kapstadt in Zürich gelandet ist. Doch Dr. Annelies Wilder-Smith verweist auf einen Punkt, der jeden angeht.

Wenn Staaten dafür bestraft werden, dass sie so eine neue Variante melden, besteht die Gefahr, dass jene es nicht mehr tun. Hinzu kommt, dass Südafrika seit der Aids-Pandemie über ein herausragenden Monitoring verfügt – und es von daher nicht überraschend ist, dass die Mutation dort entdeckt worden ist. 

Länder, die Flugzeuge aus Südafrika nicht mehr bei sich landen lassen.
Länder, die Flugzeuge aus Südafrika nicht mehr bei sich landen lassen.
Screenshot: Zoom/Wilder-Smith

Der Fokus müsse auf einer Eindämmung im Inland liegen, sagt Wilder-Smith. Wie das geschehe, sei von Land zu Land verschieden. Man könne rigoros an die Sache herangehen – oder in abgestufter Form. Müssen Einreisende aus einem Krisengebiet in Quarantäne? Und wenn ja, für 14 Tage? Oder für 7 Tage? Müssen sie sich bloss testen? Oder über einen längeren Zeitraum? Oder Quarantäne und testen?

Um in diesem Punkt voranzukommen, brauche es eine hohe Transparenz ohne Diskriminierungen, die Unterbrechungen in den regulären Abläufen vermeiden können, schliesst Wilder Smith.