Israel ist Vorreiter Kommt nach dem Booster die vierte Impfung?

Von Sven Hauberg

23.12.2021

In Jerusalem bereitet eine Krankenschwester eine Spritze mit einem Corona-Vakzin vor.
In Jerusalem bereitet eine Krankenschwester eine Spritze mit einem Corona-Vakzin vor.
Bild: Keystone

In der Schweiz werden seit ein paar Wochen Auffrischimpfungen gespritzt, in Israel soll bald Spritze Nummer vier folgen. Ist der «Booster-Booster» wirklich notwendig?

Von Sven Hauberg

In der Corona-Pandemie ist Israel so etwas wie ein riesiges Testlabor. Erfahrungen, die das Land mit seinen rund neun Millionen Einwohnern macht, wiederholen sich Monate später meist auch anderswo. Israel hatte bereits am 20. Dezember des vergangenen Jahres mit den ersten Corona-Impfungen begonnen und anschliessend Vollgas gegeben. Bereits nach rund einer Woche hatten fast fünf Prozent der Bevölkerung die erste Spritze erhalten – der damalige Premierminister Netanyahu sprach von einem «Weltrekord». 

Netanyahu sagte aber auch zwei Sätze, die heute erstaunlich naiv wirken: «In einem Monat werden wir alle Bürger über 60 und medizinisches Personal impfen. Wenn wir das geschafft haben, können wir nach weiteren 30 Tagen das Virus hinter uns lassen, die Wirtschaft öffnen und Dinge tun, die kein anderes Land tun kann.» Ein Jahr später jedoch hat Israel bereits die vierte Welle hinter sich, während die Omikron-Variante dabei ist, eine fünfte Welle aufzutürmen. Von Normalität kann nicht die Rede sein.



Gleichzeitig gelten nur noch 59 Prozent der Israelis als vollständig geimpft. Dazu werden zweifach Geimpfte bis zu sechs Monate nach der Zweitimpfung und Menschen mit Booster-Impfung gezählt.

Als erstes Land der Welt hatte Israel im Juli mit den Auffrischimpfungen begonnen, doch auch damit ist die Impfkampagne noch lange nicht beendet. Am vergangenen Dienstag empfahl ein Expertengremium der israelischen Regierung, dass Menschen über 60 sowie Mitarbeiter des Gesundheitssystems eine vierte Spritze erhalten sollen. 

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«Wir werden eine vierte Impfung brauchen»

Neuere Daten aus Israel zeigen, dass die Zahl der Antikörper nach einer ersten Booster-Impfung ähnlich wie nach der zweiten Dosis sinkt. «Es ist ein natürlicher Prozess, dass die Antikörper allmählich wieder weniger werden nach einer Impfung», zitierte die Nachrichtenagentur dpa am Mittwoch Professor Ejal Leschem, einen israelischen Experten für Infektionskrankheiten. Was das für den Impfschutz bedeute, müsse man aber abwarten, da dafür neben den Antikörpern etwa auch T-Zellen eine Rolle spielten.



In Deutschland zieht die Politik bereits Konsequenzen aus den Erfahrungen, die Israel gemacht hat. «Wir werden eine vierte Impfung brauchen, das ist jetzt schon absehbar», sagte der deutsche Gesundheitsminister und Mediziner Karl Lauterbach am Mittwochabend in einem Interview mit dem Fernsehsender ZDF. «Weil wir eine spezifische Variantenimpfung wahrscheinlich gegen Omikron benötigen.»

Die Schweiz hatte erst Mitte November mit den Drittimpfungen begonnen. Aufgefrischt wurden zunächst nur Ältere sowie Risikopatienten, mittlerweile ist der Booster für alle ab 16 empfohlen. Anders als in Israel ist derzeit aber noch völlig unklar, wann und ob hierzulande eine vierte Spritze angeboten wird. Auf Anfrage von blue News teilt Swissmedic, die Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte, mit: «Bisher liegen uns keine Gesuche in Zusammenhang mit einer vierten Impfdosis (zweite Auffrischimpfung) vor.»

Biontech und Moderna arbeiten an neuen Impfstoffen

Sowohl Moderna als auch Biontech arbeiten derzeit an Vakzinen, die an die Omikron-Variante angepasst sind. Die Mutante, die zuerst im südlichen Afrika nachgewiesen worden war, zeigt im Vergleich zum ursprünglichen Wildtyp des Coronavirus mehr als 30 Mutationen vor allem am Spike-Protein, mit dem das Virus in menschliche Zellen eindringt.

Die mRNA-Impfstoffe, die auch in der Schweiz eingesetzt werden, können laut ihren Entwicklern relativ schnell an Virus-Änderungen angepasst werden. Sobald diese zur Verfügung stehen, könnten sie zur Auffrischung eingesetzt werden – ein kompletter Immunisierungszyklus mit zwei oder mehreren Dosen soll hingegen nicht mehr nötig sein. 



Wann die angepassten Vakzine einsatzbereit sind, ist noch nicht klar. Zwar sagte Biontech-Gründerin Özlem Türeci unlängst, schon im März könnten mehrere Millionen Dosen ausgeliefert werden; Türeci schränkte aber auch ein, man müsse erst «weitere Labordaten und vor allem auch Daten aus der Praxis auswerten». Ähnlich äusserte sich das US-Unternehmen Moderna. Der Nachrichtenagentur dpa sagte Deutschland-Geschäftsführer Gerald Wiegand, es sei noch nicht entschieden, ob und wann Moderna einen Omikron-spezifischen Booster auf den Markt bringen werde. «Das Geschehen ist sehr dynamisch.»

«Vielleicht braucht man einen Booster, vielleicht zwei»

In Israel wird der «Booster-Booster» entsprechend mit den herkömmlichen Impfstoffen verabreicht. Denn diese sind auch gegen die Omikron-Variante alles andere als machtlos. So sagte Moderna-Chef Stéphane Bancel vor wenigen Tagen im Interview mit den Tamedia-Zeitungen: «Nach einem Booster ist der Spiegel an Antikörpern wieder sehr hoch. Wir glauben, dass dies vor Hospitalisationen und schweren Verläufen schützt» – auch gegen Omikron. Eine vierte Spritze, so Bancel, sei – anders als eine Drittimpfung – nicht für jeden sinnvoll: «Wir merken, dass Risikogruppen wie über 50-Jährige einen jährlichen Booster brauchen. Für 30-Jährige wird es nach der dritten Impfung wahrscheinlich keine weitere brauchen.»

Biontech-Gründer Ugur Sahin glaubt ebenfalls, dass sein Vakzin gut gegen Omikron wirkt: «Nach den vorläufigen Daten neutralisieren drei Dosen das Virus deutlich und sollten die Geimpften schützen», sagte Sahin dem «Spiegel». Gleichzeitig machte er deutlich, dass eine vierte Impfung «auch ein an eine Omikron-Variante angepasster Impfstoff sein» könnte.



Und was kommt nach der vierten Impfung? Daniel Speiser, Immunologe an der Universität Lausanne, hält regelmässige Impfungen gegen das Coronavirus für «wahrscheinlich». Im Interview mit blue News gab der Impfstoffexperte allerdings auch zu bedenken, dass der Impfschutz nach der dritten Spritze «nicht mehr zurück auf null» falle. «Im Gegenteil, mit jedem Booster ist man noch mehr und noch länger geschützt.»

In der Schweiz empfiehlt das BAG derzeit eine Auffrischung nach sechs Monaten, in Einzelfällen sind kürzere Abstände möglich. «Da hoffe ich, dass wir bald bei Impfintervallen von einem Jahr, vielleicht sogar nur drei Jahren sind», so Speiser. Ob das ausreicht, ist aber noch unklar. Salman Zarka, der höchste Corona-Berater der israelischen Regierung, sagte jedenfalls Mitte November in einem Interview mit dem «Spiegel»: «Vielleicht braucht man einen Booster, vielleicht zwei. Vielleicht auch drei oder vier.»