Fragen und Antworten Braucht es eine dritte Impfung gegen Corona?

tsha/uri

4.8.2021

Impfung gegen das Coronavirus: Ob eine dritte Spritze sinnvoll ist, wird derzeit hitzig diskutiert.
Impfung gegen das Coronavirus: Ob eine dritte Spritze sinnvoll ist, wird derzeit hitzig diskutiert.
Bild: Keystone

Auch wenn längst noch nicht jeder in der Schweiz vollständig geimpft ist, ist die Diskussion über eine dritte Dosis voll im Gange. Die Datenlage ist unklar, dennoch setzen manche Länder bereits auf den zusätzlichen Piks.

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Wegen einer angeblich nachlassenden Impfstoff-Wirkung gegen Covid-19 und Impfdurchbrüchen infolge der grassierenden Delta-Variante hat Israel damit begonnen, allen Personen ab 60 Jahren eine dritte Dosis anzubieten. In Deutschland sollen ab September alle Risikogruppen eine Impfauffrischung bekommen, sofern sie dies wünschen.

In der Schweiz gibt man sich noch abwartend, wobei auch hier Risikopatienten bereits eine dritte Impfung bekommen können. Das ist der aktuelle Stand zu den sogenannten Booster-Impfungen.

Warum ist eine Auffrischimpfung im Gespräch?

Anders als etwa eine Impfung gegen die Masern hält eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus nicht ein Leben lang. Vielmehr scheint die Impfwirkung nach einiger Zeit nachzulassen. Das zeigen Studien aus Israel, aber auch Daten des Herstellers Pfizer/Biontech, dessen mRNA-Vakzin ebenso wie der mRNA-Impfstoff von Moderna in der Schweiz eingesetzt wird. Eine Auffrischimpfung könnte, so die Idee, dieses Problem beheben.

Wie lange hält der Schutz nach einer vollständigen Impfung?

Laut Pfizer und Biontech verringert eine vollständige Impfung mit dem Vakzin Comirnaty die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, um 91 Prozent. Allerdings sank dieser Wert bereits vier Monate nach Verabreichung der zweiten Spritze auf 84 Prozent. Das geht aus einer Preprint-Studie hervor, die noch nicht von anderen Wissenschaftlern begutachtet wurde.

«Das legt sehr nahe, dass für Ältere und Kranke eine Booster-Impfung nach sechs Monaten gegen Delta notwendig sein wird», schrieb daraufhin der deutsche Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauterbach bei Twitter.



Die Studie hat gezeigt, dass die Wirkung des Impfstoffes im Untersuchungszeitraum alle zwei Monate um 6 Prozent gesunken ist. Ob sich diese Zahlen aber auch bei einem längeren Beobachtungszeitraum bestätigen, ist unklar. «Nachuntersuchungen sind erforderlich, um die Persistenz der Impfstoff-Wirkung im Laufe der Zeit, die Notwendigkeit einer Auffrischungsdosis und den Zeitpunkt einer solchen Dosis zu verstehen», so die Studienautoren.

Was zeigen die Daten aus Israel?

Auch Daten aus Israel, das relativ früh mit Impfungen gegen das Coronavirus begonnen hatte, deuten auf eine nachlassende Wirkung hin. Denn obwohl bereits mehr als 60 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind, steigen die Infektionszahlen seit Kurzem wieder rasch an. Das liegt einerseits an der deutlich ansteckenderen Delta-Variante. Laut Daten des israelischen Gesundheitsministeriums ist aber auch eine nachlassende Wirkung des Impfstoffes für den Anstieg der Zahlen verantwortlich.

Demnach, so schreibt der «Spiegel», liege die Effektivität des Infektionsschutzes nur noch bei 16 Prozent beziehungsweise 44 Prozent für Menschen, die im Januar beziehungsweise Februar mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer geimpft wurden. Allerdings würden schwere Krankheitsverläufe weiterhin mit einer Wahrscheinlichkeit von 91 Prozent verhindert – ein Widerspruch, der auch Experten verwirrt.

Ist die Datenlage sicher?

Allgemein gilt die Datenlage als zu unsicher, um endgültige Aussagen zu treffen. Denn es gibt auch Studien, die eine gegenteilige Entwicklung zu belegen scheinen. So geht aus einer im Magazin «Nature» veröffentlichten Untersuchung hervor, dass sich auch noch vier Monate nach der zweiten Spritze des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer beziehungsweise Moderna viele Gedächtniszellen im Blut befinden. Diese sorgen nach einer Infektion für eine Immunabwehr.

Unabhängige Stellen wie etwa die WHO und die US-Behörde FDA weisen darauf hin, dass es noch zu früh sei für eine Entscheidung, ob eine dritte Impfung notwendig ist. «Wir wissen nicht, ob Auffrischungsimpfungen erforderlich sind, um den Schutz gegen Covid-19 aufrechtzuerhalten, solange keine weiteren Daten gesammelt werden», teilte die Weltgesundheitsorganisation laut CNN Anfang Juli mit.



Auch das Bundesamt für Gesundheit ist zurückhaltend. Virginie Masserey, Leiterin der Sektion Infektionskontrolle im BAG, sagte am Dienstag an einer Medienkonferenz, es sei zurzeit noch unklar, wann und für wen eine dritte Impfung zu empfehlen sei. Man verfolge die Situation aber weiterhin.

Wie funktioniert die Booster-Impfung?

Eine Auffrischimpfung soll die Zahl der Antikörper im Blut erhöhen. Laut Biontech würden Impflinge nach einer dritten Comirnaty-Spritze fünf- bis zehnmal so viele Antikörper aufweisen wie ohne zusätzliche Dosis. Ob dies mit einer entsprechend höheren Wirksamkeit der Impfung gegen das Coronavirus einhergeht, ist aber unklar. Generell gilt auch bei dieser Frage, dass die Datenlage noch zu unsicher ist, um eindeutige Aussagen zu treffen.

Wer könnte eine Auffrischung erhalten?

Im Gespräch für eine Auffrischimpfung sind derzeit vor allem ältere Menschen sowie Personen mit Vorerkrankungen oder einem geschwächten Immunsystem. In der Schweiz empfiehlt das BAG seit Ende Juli für Menschen mit schwer beeinträchtigtem Immunsystem eine dritte Impfung, sofern sie nach der zweiten Spritze zu wenig Antikörper gebildet haben.

Können auch Genesene eine Auffrischung bekommen? 

Wer einmal eine Infektion mit dem Coronavirus durchgemacht hat, verfügt über Antikörper, die eine weitere Infektion unwahrscheinlich machen. Wie lange dieser Effekt anhält, ist allerdings umstritten. Während einige Studien von einem sechsmonatigen Schutz sprechen, deuten andere Untersuchungen darauf hin, dass sich auch nach elf Monaten noch genug Antikörper im Blut befinden. Patienten, die nur milde oder gar asymptomatische Verläufe durchgemacht haben, könnten Studien zufolge jedoch schon deutlich früher nur noch wenige Antikörper besitzen.

Was dies für eine mögliche dritte Impfung bedeutet, ist noch nicht abschliessend geklärt.

Impfstoff-Fläschchen von Biontech/Pfizer: Wann kommt die dritte Dosis – und für wen?
Impfstoff-Fläschchen von Biontech/Pfizer: Wann kommt die dritte Dosis – und für wen?
Bild: Keystone

Wie steht es um Nebenwirkungen?

In Israel haben bereits 2000 Menschen mit Immunschwäche eine dritte Dosis erhalten, ohne dass es zu schweren Nebenwirkungen gekommen ist. Auch Daten aus den USA, wo einige Menschen aus Versehen eine dritte Dosis erhalten hatten, deuten darauf hin, dass es keine relevanten Nebenwirkungen gibt. Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie von Biontech/Pfizer. Doch auch hierzu ist die Datenlage zu dünn, um endgültige Aussagen zu treffen.

Lassen sich die Impfstoffe einfach modifizieren? 

Die Hersteller der mRNA-Impfstoffe Biontech/Pfizer und Moderna arbeiten bereits an modifizierten Impfstoffen, die besser gegen die verschiedenen Virusvarianten wirken sollen. Wie etwa Biontech/Pfizer Anfang Juli mitteilten, werde für die «angepasste Version» des Impfstoffs nun «das vollständige Spike-Protein der Delta-Variante» verwendet. Eine erste Charge sei bereits im deutschen Mainz hergestellt worden. Die Unternehmen erwarten, dass eine erste Studie im August dieses Jahres beginnen könne.

Werden die Impfstoffe nun auch teurer? 

Bislang ist noch nicht geklärt, ob die Auffrischungsimpfungen notwendigerweise mit einem modifizierten Impfstoff stattfinden müssen. Einige Immunologen sind der Meinung, dass die existierenden Vakzine gut genug sind, um nach einer dritten Impfung wieder eine verstärkte Immunreaktion hervorzurufen. 

Die französische Regierung hat unterdessen bereits Anfang Woche einen Bericht über eine Erhöhung der Preise für die Corona-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna bestätigt. Laut dem Europa-Staatssekretär Clément Beaune hängen die höheren Preise, die die Hersteller in noch laufenden Verhandlungen über neue Lieferverträge von der EU verlangen, mit einer Anpassung der Impfstoffe an die hochansteckende Delta-Variante des Coronavirus zusammen.



In den neuen Verträgen mit der EU würde unterdessen auch eine Anpassung der Impfstoffe an neue Virusvarianten verlangt, wie Beaune sagte. Es werde dann auch nicht nur für die EU, sondern für alle Abnehmer «ein bisschen teurer». Eine konkrete Summe nannte Beaune nicht, doch wie die  «Financial Times» berichtete, soll die EU für eine Dosis des Impfstoffs des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer statt 15,50 Euro künftig 19,50 Euro bezahlen. Der Preis für den Impfstoff von Moderna erhöht sich demnach von 19 Euro auf 21,50 Euro.

Gibt es Gründe gegen eine Auffrischungsimpfung? 

Bisher sind nur wenige Daten zu Auffrischungsimpfungen vorhanden. Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) schreibt dazu aber Ende Juli auf seiner Seite: «Aus immunologischer Sicht spricht – nach aktuellem Kenntnisstand – nichts dagegen, zu einem späteren Zeitpunkt mit einem anderen Covid-19-Impfstoff geimpft zu werden, sei es, um einen mit der Zeit nachlassenden Impfschutz aufzufrischen oder um einen bestehenden, eventuell aber begrenzten Impfschutz (zum Beispiel aufgrund neuer Virusvarianten) noch zu verbessern.» 

Kritisch sehen jedoch einige Experten die Tatsache, dass die reichen Länder des Westens bereits von einer dritten Impfung reden, wohingegen in den ärmeren Ländern ein grosser Teil der Menschen noch gar keine Impfung erhalten habe und gerade Ältere und Risikopatienten hier noch ein sehr grosses Risiko zu tragen haben. Auch geben sie zu bedenken, dass hier ein idealer Nährboden für gefährliche Varianten gegeben sei – die auch wieder in den reicheren Ländern landen werden. 

Die Weltgesundheitsorganisation forderte deshalb am Mittwoch einen vorübergehenden Stopp von Auffrischimpfungen. «Länder mit hohen Einkommen haben 100 Impfdosen pro 100 Einwohner verabreicht», sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. «Gleichzeitig konnten Länder mit niedrigen Einkommen nur 1,5 Dosen pro 100 Menschen verabreichen, weil ihnen Impfstoff fehlt. Wir brauchen dringend eine Kehrtwende, sodass die Mehrheit der Impfstoffe in Länder mit niedrigen statt hohen Einkommen geht.»