Der Glanz des WEF verblasst«Es hat sich irgendwie ausdiskutiert»
Von Philipp Dahm
14.1.2023
So wird das WEF 2023
Ein Rekord von 52 Staats- oder Regierungschefs und -chefinnen nehmen am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Dabei sind Bundespräsident Alain Berset, der deutsche Kanzler Olaf Scholz, Polens Präsident Andrzej Duda
und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Im Fokus steht nebst der Wirtschafts- auch die Klimakrise.
11.01.2023
Das Interesse am WEF sinkt: Sind Neoliberalismus und Globalisierung nicht mehr sexy? Ein Gespräch mit Professorin Katja Rost von der Universität Zürich über Populismus, Nachhaltigkeit, Glokalisierung und Augenmass.
Von Philipp Dahm
14.01.2023, 06:30
14.01.2023, 08:11
Philipp Dahm
Weil das World Economic Forum in diesem Jahr eine Woche früher stattfindet als im Vorjahr, bleibt in Graubünden weniger Raum für Skitouristen. «Misstöne vor dem WEF-Start» vernimmt deshalb der «Tages-Anzeiger» und attestiert: «Statt Winterzauber herrscht Chaos in Davos.»
Auch international ist das Treffen nicht mehr unumstritten. Obwohl eine Rekordzahl von Regierungschefs angekündigt ist, bleiben die grossen Namen aus – etwa aus den USA. «[Elon] Musk nennt das WEF ‹boring as fuck›», titelt dann auch noch die «Handelszeitung».
Die Veranstaltung scheint an Reiz verloren zu haben. blue News hat bei Katja Rost nachgefragt, inwiefern das mit dem Thema Globalisierung zusammenhängt.
Zur Person
Uni ZH
Professor Doktor Katja Rost ist an der Universität Zürich Ordinaria für Soziologie und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften. Die 46-Jährige hat am Soziologischen Institut die Vorlesung «Globalisierung: Weltgesellschaft, -wirtschaft und -politik» gehalten.
Die Begeisterung für das WEF scheint abzuklingen. Sind Neoliberalismus und Globalisierung nicht mehr sexy?
Klare Antwort: Ja, sind sie nicht mehr. Es hat sich irgendwie ausdiskutiert. Die Neoliberalismus-Kritik gibt es schon seit Ewigkeiten, aber die Ansichten sind differenzierter geworden als früher. Ich glaube, die Zeiten sind vorbei, in denen der Neoliberalismus als Strohpuppe hinhalten musste und an allem schuld war. Das merkt man auch in der Wissenschaft.
Wie das?
Die Rollen tauschen. Früher gab es Fronten so nach dem Motto, Volkswirte sind Neoliberalisten und der Rest Marxisten. Heute sind einige Volkswirte zu den Marxisten geworden und einige der Soziologen eher die Neoliberalisten.
Was hat sich in Sachen Globalisierung verändert?
Die Risiken und Gefahren der Globalisierung sind jetzt offensichtlich geworden: der Klimawandel, die Kriege. Die Demokratisierungswelle, die erwartet wurde, ist nicht eingetreten. Es ist nicht zur Angleichung sozialer Normen gekommen. Viele Länder machen eher die Rolle rückwärts hin etwa zu religiösen Traditionen, in denen Frauen keine Rechte haben. Konflikte nehmen zu, die Handelsbündnisse bröckeln lassen. Das lineare Szenario, dass es gerechter zugehen werde, je mehr Globalisierung es gebe, tritt nicht ein.
War es naiv, zu glauben, man könne wirtschaftlich kooperieren, wenn die Partner politisch diametral verschieden sind?
Ja. Weil sich soziale und kulturelle Normen nicht einfach so verändern lassen. Dahinter steht diese Vorstellung: meine Moral – deine Moral. Wir sind nicht in der Lage, das Thema universalistisch anzugehen und verschiedene Moralvorstellungen auch stehenzulassen.
Staaten wollen nun möglichst autark produzieren und handeln. Schlägt das Pendel von der Globalisierung nun zurück zum Protektionismus und zu gelenkten Industrien?
Ja, aber dieser Trend lässt sich schon länger beobachten. Das fing schon mit dem Erstarken des Populismus und den Migrations- und Überfremdungsdebatten an, die das angefacht haben. Wenn von Vielfalt gesprochen wird, geht es auch um das Ausmass: Ich denke, in gewissen Bereichen wurde zu weit gegangen und das Augenmass ging verloren. Das schwenkt nun befördert vom Thema Nachhaltigkeit in Protektionismus um.
Ist das einer bestimmten politischen Richtung vorbehalten?
Alle Parteien von den Linken über die Grünen bis zu den Rechten setzen aus verschiedenen Gründen gerade auf Protektionismus. Aber der Mensch als Wesen braucht eben auch lokale Anbindung. Wir nennen das Zurückschwappen der Globalisierung auf lokale Einheiten Glokalisierung.
Was ist das?
In der Soziologie gibt es schon seit den 90er Jahren die Debatte, dass es so linear nicht weitergehen kann. Der Mensch lebt nicht global, sondern ist lokal verwurzelt. Das Gefährliche an der Protektionismus-Diskussion ist, dass der Eindruck entstehen kann, dass Importe der Wirtschaft schaden.
Benzin-Rabatt, Steuerabschläge für Lebensmittel: Viele westliche Staaten greifen mit Subventionen zugunsten der Bürger in den Markt ein. Ist die Marktwirtschaft überhaupt noch ein Modell mit Zukunft?
Das ist eine gute Frage. Der Markt reguliert sich häufig selbst am besten. Das Problem ist, dass wir teilweise zu viel Regulierung und staatliche Eingriffe haben. Wenn es die richtigen Massnahmen sind, ist das super. Aber es gibt eben häufig diese unintendierten Effekte, die immens sind. Sie werden politisch nicht bedacht, während die Wissenschaft oft davor warnt. Weil die Politik sehr schnell Signale setzen muss und Wählerstimmen braucht, kümmert es sie wenig, was in zehn Jahren ist.
Gerade im liberalisierten Strommarkt zeigte sich zuletzt, dass die neoliberalen Mechanismen nicht funktionieren wie erhofft: Wie viel Regulierung braucht es?
Es gibt ganz klar Bereiche, die sich dem Marktdenken entziehen. Dazu gehören neben dem Strommarkt auch Bereiche wie Bildung oder Gesundheit, aber auch der Sozialstaat. Ich würde auch die Umverteilung dazuzählen. Hinter der steht ein Versagen des Staates.
Das müssen Sie bitte erklären.
Ungleichheit ist ein Riesen-Thema und es wird gesagt, die Marktwirtschaft stosse an ihre Grenzen. Aber das Problem ist hier, dass die Körperschaftssteuern seit Jahren sinken, während die Einkommenssteuern steigen. Um die soziale Ungleichheit zu bekämpfen, müsste es umgekehrt sein. Auch Erbschaftssteuern sind ein Thema. Allerdings hat der Nationalstaat hier gar keine Handlungskompetenz mehr – wegen der Globalisierung.
Stichwort: Steuer-Konkurrenz.
Die Unternehmen drohen mit Abwanderung oder machen sie auch. Wenn eine Erbschaftssteuer kommt, verlassen die Reichen wie in Frankreich das Land.
Wie kann sich die Globalisierung unter diesen Vorzeichen entwickeln?
Es gibt natürliche Tendenzen. Man sieht es deutlich am WEF: Es gibt weniger Nachfrage, die Leute interessiert es einfach nicht so sehr. Auch Corona hat dazu beigetragen, dass heute nicht mehr jeder für Geschäftsreisen irgendwo hinfahren muss und es wegen der Nachhaltigkeit weniger Riesen-Konferenzen gibt. Auch machen Leute verstärkt Ferien in der Heimat. Wir haben in gewissen Bereichen eine Back-to-the-roots-Bewegung. Das wird aber wahrscheinlich nicht ausreichen: Die Luftfahrtindustrie wird nicht umsonst damit rechnen, dass in ein bis zwei Jahren wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht wird.
Was wirkt denn eigentlich wirklich nachhaltig?
Die Trends auf gesellschaftlicher Ebene sind die kräftigsten. Die funktionieren – da wirkt der Markt. Es gibt politische Bemühungen wie beim Klimawandel, aber auch Grossunternehmen, die wie die Universitäten das Fliegen stark einschränken. Dadurch wird die Globalisierung automatisch abgeschwächt. Die grösste Herausforderung ist aber, das Kollektivproblem zu überwinden: Sobald es einen Akteur gibt, der das Fliegen nicht limitiert oder weniger Steuern fordert, funktioniert das Konstrukt nicht. Die Frage ist, wie man damit umgeht.