Krise beim grössten Detailhändler Die Migros verdient kaum noch Geld im Supermarkt-Geschäft

SDA

30.10.2022

Die dezentrale Organisationsstruktur soll schlecht fürs Kerngeschäft sein.
Die dezentrale Organisationsstruktur soll schlecht fürs Kerngeschäft sein.
Keystone

Im Kerngeschäft, den Supermärkten, läuft es bei der Migros gar nicht gut. Viele der zehn regionalen Genossenschaften schreiben rote Zahlen – oder sind nah daran.

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Vergangenen Montag hat der Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen alle überrascht. Der Neuenburger verlässt den Detailhändler im kommenden Frühling.

Doch der unvorhergesehene Abgang dürfte nicht die einzigen Turbulenzen für die Migros bleiben. Das zeigen zumindest Recherchen der Sonntags Zeitung.

Zwei von zehn regionalen Genossenschaften schreiben noch deutliche Gewinne

Einer der wichtigsten Gründe für Zumbrunnens Abgang sei der schlechte Geschäftsgang in den Supermärkten, schreibt die Zeitung. In der Zentrale in Zürich befürchte man, dass die Migros fürs Geschäftsjahr 2022 im Kerngeschäft rote Zahlen wird präsentieren müssen.

Bis zum Geschäftsabschluss dauert es noch ein paar Wochen, doch die Recherche zeigt: In den Supermärkten, die von den zehn regionalen Genossenschaften betrieben werden, sind die Umsätze im laufenden Jahr so stark gesunken, dass auch die Gewinne dramatisch geschrumpft sind. Überall liegen die Umsätze unter jenen vom Vorjahr.

Aktuell sind bereits mindestens drei Genossenschaften – Zürich, Tessin und Wallis – in den roten Zahlen. Basel und Waadt schrammen nach deutlichen Gewinneinbrüchen knapp an der Defizitgrenze vorbei. Genf und Neuenburg/Freiburg schreiben nur noch wegen ihrer Wechselstuben einen geringen Gewinn.

Die mächtige Genossenschaft Aare (Bern, Solothurn, Aargau) ist zwar deutlich im Plus. Dies aber nur dank Verkäufen von Immobilien und Beteiligungen. Von den zehn regionalen Genossenschaften sind nur zwei, nämlich die Ostschweiz und Luzern, deutlich in der Gewinnzone.

Vor allem die Nebengeschäfte halten die Migros über Wasser

Das Gesamtbild jedenfalls ist düster: Der Betriebsgewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf immaterielle Vermögenswerte wie Patente, Marken, Verträge oder Kundenbeziehungen ist in diesem Jahr in den zehn Genossenschaften bislang um gut 40 Prozent geschrumpft. Wenn man die zahlreichen Sondereffekte berücksichtigt, beträgt das Minus sogar knapp 60 Prozent.

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Ausgerechnet in ihrem Kerngeschäft mit den Supermärkten verdient also die Migros fast nichts mehr. Über Wasser gehalten wird sie im laufenden Jahr nur noch dank jenen Geschäften, die nicht unter der Kontrolle der Regionalgenossenschaften, sondern der Zentrale in Zürich sind.

Etwa der Reiseveranstalter Hotelplan schreibt erstmals seit Jahren einen satten Gewinn, die Migros-Bank verzeichnet eine gute Geschäftsentwicklung, die Migrol-Tankstellen schreiben aufgrund der hohen Benzin- und Dieselpreise schwarze Zahlen. Und auch der neu aufgebaute Gesundheitsbereich läuft gut, insbesondere dank reger Nachfrage in den Zahnarztzentren.

Insgesamt werden die Verluste in den Supermärkten der zehn Genossenschaften durch höhere Umsätze im Reise-, Gesundheits- und Tankstellengeschäft wettgemacht. Das bedeutet, dass die Migros-Gruppe als Ganzes für 2022 wohl einen höheren Umsatz ausweisen wird. Der Reingewinn wird jedoch nach verlässlichen Informationen deutlich tiefer ausfallen, berichtet die Sonntags Zeitung.

Coop macht es besser und ist zentral gelenkt

Am Umsatz- und Gewinneinbruch seien vor allem hausgemachte Probleme schuld. Allen voran: Die Migros betreibt im Gegensatz zu ihrem Konkurrenten Coop viele grosse, zentral gelegene Filialen. Das ist ein entscheidender Nachteil, weil sich nach der Pandemie das Arbeits- und Einkaufsverhalten der Konsument*innen verändert hat.

Zudem ist die Zeit des grossen Wocheneinkaufs vorbei. Stattdessen tätigen viele Kundinnen und Kunden mehrmals wöchentlich kleine Spontaneinkäufe – und dafür braucht es keine grossen Filialen, sondern kleine in der Nähe des Wohn- und Arbeitsorts.

Das zweite grosse Problem ist die schwerfällige Struktur der Migros. Während Coop zentral von Basel aus gesteuert wird, haben bei der Migros die regionalen Genossenschaften das Sagen. Jede leistet sich einen eigenen Verwaltungsapparat, kauft ihre Produkte weitgehend selber ein, gestaltet ihr Sortiment selber und entscheidet autonom über ihr Filialnetz.

Zumbrunnen kapitulierte vor Eigeninteressen der Filialen

Zumbrunnen versuchte vergeblich, das Steuer im kriselnden Supermarktgeschäft herumzureissen. Er schlug vor, dass die zehn Regionalgesellschaften bei Einkauf, Sortiment und Verwaltung zusammenspannen. Damit hätte man wohl Kosten in der Beschaffung sparen können, doch die Regionalleiter*innen wehrten sich gegen ihre Entmachtung.

Mit dem Projekt «Puma» wollte Zumbrunnen, dass die Genossenschaften in der Logistik enger zusammenarbeiten. «Das ist nicht passiert, das Projekt ist versandet», sagt ein Migros-Kenner.

Eine weitere Quelle aus dem nahen Umfeld der Migros-Führungsspitze wird in der Sonntags Zeitung wie folgt zitiert: Sonntags Zeitung: «Zumbrunnen wusste sehr genau, dass er keine Chance hat, sich gegen die mächtigen Regionalfürsten durchzusetzen, deshalb hat er sich zu diesem Schritt entschieden». Dies bestätigt eine Recherche von Tamedia, wonach Zumbrunnen kapitulierte, weil die regionalen Genossenschaften ihre Eigeninteressen voranstellen, statt zusammenzuspannen.

Ob Zumbrunnens Nachfolger*in die Genossenschaften zusammenrücken kann, wird sich ab nächstem Frühjahr zeigen.