Riskmanagement erklärt «Die Frage ist, ob die UBS schlicht und einfach ‹too big› ist»

Monique Misteli

2.4.2023

Nach der Übernahme der CS durch die UBS stellt sich für Bankenexperte Patrick Hauf die Frage, ob sich die Schweiz eine so grosse Bank leisten will.
Nach der Übernahme der CS durch die UBS stellt sich für Bankenexperte Patrick Hauf die Frage, ob sich die Schweiz eine so grosse Bank leisten will.
Keystone

Mangelndes Risikomanagement ist einer der Hauptgründe für den Untergang der Credit Suisse. blue News hat nachgefragt, was gutes Risikomanagement ist und worauf die neue XXL-UBS achten muss. 

Monique Misteli

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Einer der Hauptgründe für den Untergang der Credit Suisse ist, dass die Bank die Risiken zu wenig im Griff gehabt hat.
  • Patrick Hauf, Banken- und Risikoexperte der ZHAW, sagt, was gutes Risikomanagement braucht und worauf die neue Superbank achten muss, um nicht denselben Fehler zu machen.
  • Hauf erklärt 7 Voraussetzungen für eine gute Risikokultur.
  • Für Hauf stellt sich auch die Grundsatzfrage: Ist die Megabank nicht «too big to fail», sondern schlicht und einfach «too big»?

Es gilt als die Wurzel allen Übels in der Causa Credit Suisse – mangelndes Risikomanagement.

Im am Dienstag veröffentlichte Jahresbericht 2022 wirft die Finanzaufsichtsbehörde Finma nebst der schweren Rüge wegen dem «Greensill»-Fonds»-Kollaps der Credit Suisse auch vor, Risiken nicht angemessen erfasst und überwacht zu haben.

Aber auch die UBS wird getadelt. Eine unabhängige Untersuchung zeigt, dass die UBS grosse Schwächen im Bereich Risikomanagement und Risikokontrolle hat. Daraufhin hat die Grossbank zahlreiche Korrekturen umsetzen müssen.

Was heisst das nun für die neue XXL-UBS? Wie muss ihr Risikomanagement aufgebaut sein, damit es in Zukunft nicht zu einem «too big to fail»-Fall kommt? 

blue News hat sich von Patrick Hauf, Dozent für Banking und Finance an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Financial Risk Manager das hochkomplexe Feld des Risikomanagements bei Banken erklären lassen.

Zuerst ganz grundlegend: Warum haben Banken Risiken?

Es ist wichtig zu verstehen, dass Banken in einer Volkswirtschaft als Finanzintermediäre eine zentrale Funktion innehaben. Eine klassische Bank übernimmt Risiken und transformiert Fristen. Letzteres heisst, dass die Bank die ihr zur Verfügung stehenden Gelder auch dazu nutzt, ihren Kunden lang laufende Kredite zu gewähren. Zeitgleich muss sie aber ihre eigene Liquidität, auch Zahlungsfähigkeit genannt, zu jeder Zeit sicherstellen. Kredite können ausfallen, Einlagen abgezogen werden. Eine Bank, die keine Risiken nimmt, gibt es nicht.

Wie stark variieren solche Risiken?

Nicht jede Bank ist gleich. Es gibt unterschiedliche Arten von Banken, dementsprechend variieren die Risiken je nach Finanzinstitut anders. Schon die Finanzkrise 2007/08 hat gezeigt, dass die beiden stark international verflochtenen Grossbanken UBS und Credit Suisse mit ihren ausgeprägten Investmentbanking-Aktivitäten andere Risiken zu tragen haben als eine lokal aufgestelltere Raiffeisen oder PostFinance. Auch weil insbesondere im Investmentbanking Fehler gemacht wurden, sind Grossbanken vermehrt in der Kritik gestanden.

Und welches sind die Risiken einer Bank konkret?

Nebst den Risiken, die die einzelnen Geschäftsfelder der Banken mit sich bringen, ist jede Bank vereinfacht gesagt, den folgenden drei Risiken ausgesetzt, die ebenfalls durch Eigenkapital unterlegt werden müssen:

Erstens, das Marktrisiko: Das entsteht durch Kapitalmarktnähe der Banken. Aktien- und Rohstoffpreise schwanken sekündlich, Zinssätze ändern und Ausfallsrisiken werden ständig neu bewertet. Alles das beeinflusst auch das Risiko der Bank, die viele kapitalmarktnahe Instrumente auch in ihren Büchern hält.

Zweitens, das Kreditrisiko: Gewährte Kredite an Gegenparteien können ausfallen.

Drittens, das operationellen Risiken: Hier und da wird vielleicht mal eine falsche Überweisung ausgelöst oder bei einem Trade eine Null zu viel eingeben. Das kann kostspielig werden und stellt ebenso ein relevantes Risiko dar. Diese Risiken gilt es zu berechnen, analysieren und zu managen.

War es das?

Nebst diesen drei Risiken gibt es noch weitere, die teilweise nicht unerheblich sind. Hier ist ganz prominent das Liquiditätsrisiko zu nennen.

Welche Aufgaben haben Risikomanager*innen in einer Bank?

Je nachdem bei welcher Bank und in welchem Geschäftsfeld Risikomanager*innen tätig sind, unterscheiden sich die Aktivitäten. Auch die verwendeten Risikomodelle können sich zwischen Instituten unterscheiden. Die meisten sind direkt oder indirekt dem Chief Risk Officer (CRO) angehängt. Für jede Bank ist wichtig sicherzustellen, dass das Risikofunktion unabhängig von der Marktseite ist, wo dann das Geld verdient wird. Sonst entstehen Interessenkonflikte und die Kontrollfunktion ist nicht sichergestellt.

Was für Konflikte meinen Sie?

Würde ein Risikomanager direkt dem Chef des Private Banking unterstehen, hätten wir einen klassischen Steuerungskonflikt. Gemäss der Zielvereinbarung des Chefs des Private Bankings muss dieser zum Zinserfolg der Bank beitragen und erhält je nach Zielerreichungsgrad mehr oder weniger Bonus. Sollte ein risikoreicherer Kunde gerne ein grösseres Darlehen beziehen, könnte das einen lukrativen Abschluss mit hohen Zinsen für das Private Banking bedeuten. Das hohe Ausfallrisiko wäre aus Sicht des Private Banking Chefs vielleicht zweitrangig und er könnte Einfluss auf seinen ihm disziplinarisch unterstellten Risikomanager oder Risikomanagerin ausüben, den Kredit durchzuwinken, obgleich die Risiken zu hoch sind. Oft gilt eben die Regel: Mehr Risiko gleich mehr Rendite. Daher ist das Business tendenziell bereit höhere Risiken in Kauf zu nehmen, als langfristig gesund für die Bank.

Wie ist es denn überhaupt noch möglich, risikoreichere Geschäfte abzuschliessen? 

Weil Entscheidungen im Risikomangement nicht immer klar schwarz oder weiss sind, kommt es eben gerne zu Diskussionen zwischen Business und Risikomanagement – dieser Austausch ist auch wichtig. Denn am Schluss muss die Bank bestimmte Risiken nehmen, keine Bank kann ohne Risiko «geschäften». Die Frage ist nur, wann Risiken unverhältnismässig hoch sind. Und da gibt es durchaus Interpretationsspielraum. Das Risikomanagement hat sicherzustellen, dass die Bankrisiken nicht signifikant und dauerhaft den vom Verwaltungsrat festgelegten Risikoappetit übersteigen.

Was braucht es für ein gutes Riskmanagement?

Erstens, eine sauber aufgesetzte Risk Governance: Das heisst, dass Organe wie Verwaltungsrat und Geschäftsleitung aktiv in das Risikomangement der Bank einbezogen werden und wichtige Entscheidungen nicht von Einzelpersonen abhängen, sondern entsprechende (Experten-)Gremien durchlaufen. Zuständigkeiten müssen klar geregelt sein.

Zweitens, effektive und effiziente Prozesse: Es braucht transparente Kreditprozesse, gut durchdachte Notfallpläne, und klare Leitlinien. Wie häufig die Risiken von bestimmten Portfolios neu bewertet werden, sollte nicht dem Zufall überlassen sein.

Drittens, eine korrekt Methodik: Ist der Risikowert mit der richtigen Methode berechnet, sind die Limite richtig bestimmt?

Viertens, eine solide IT- und Systeminfrastruktur: Habe ich eine gute, stets aktuelle Übersicht über meine Risiken? Kann ich Veränderungen schnell erkennen und allenfalls Eskalationen einleiten?

Fünftens, hoch-qualitative Daten. Kann ich mich auf die Zahlen in meinen Risikoberichten verlassen?

Sechstens, und wahrscheinlich das Wichtigste, eine gesunde Risikokultur: Welche Einstellungen habe ich zu Risiken. Ist mir als Bank wichtig, verantwortungsbewusst mit Risiken umzugehen? Oder gewinnt immer das Business auf Kosten des Risikos oder umgekehrt?

Stichwort Risikokultur: Laut Medienberichten soll diese bei den beiden Schweizer Grossbanken nicht so gut gewesen sein. Woran liegt’s?

Was braucht es für eine gute Risikokultur?

Risikomanagement war lange Zeit in den Augen vieler Banker ein notwendiges Übel. Ein Kostenfaktor dessen Vorteile nicht unmittelbar ersichtlich sind. Das hat sich in den letzten Jahren verbessert und war teilweise auch schlecht organisierten, zu schematisch agierenden Risikomangement-Einheiten anzulasten. Es braucht eine klare Risikostrategie, die von ganz oben vorgegeben wird. Klare Transparenz bei den Verantwortlichkeiten, und gute Führung, um flexibel auf veränderte Risiken zu reagieren – auch wenn das mal bedeutet, in den sauren Apfel zu beissen und ein Geschäft nicht abzuschliessen. Und zu guter Letzt braucht es – und diese bilden auch wir als ZHAW hoffentlich aus – die richtigen Leute fürs Risikomanagement.

Was bedeutet das jetzt für die UBS?

Dass sie die Fehler im Risk Management der Credit Suisse nicht einfach im neuen Gewand weiterschreibt. Es gilt eine saubere Risikokultur zu etablieren und die richtigen Personen an den richtigen Orten zu platzieren. Ob die UBS es schafft, die richtigen Strukturen für ein effektives Risikomanagement zu schaffen und auch die geeigneten Talente für Schlüsselfunktionen anzuziehen, wird sich zeigen.

Wie realistisch ist es, dass die UBS eine saubere Risikokultur einführen kann?

Ich kenne die aktuelle Risikokultur der UBS zu wenig. Auch kann ich schwer von aussen beurteilen, wie schwer es sein wird, das Risikomanagement der ehemaligen Credit Suisse auf ein solideres Fundament zu stellen. Wichtig ist in jedem Fall ein fester Wille. Leichtfertig exzessive Risiken auf Kosten des Staates in Kauf zu nehmen, weil man am Schluss sowieso gerettet wird, wäre moralisch höchstkritisch.

Eine allfällige Rettung könnte sich die Schweiz ja gar nicht leisten.

Was die Schweiz sich leisten kann, kann ich nicht beurteilen. Aber eine weitere Bankrettung will sie sich sicherlich nicht leisten. Meines Achtens braucht es eine politische Diskussion, ob ein Land wie die Schweiz sich so eine grosse Bank leisten will. Die Frage ist vielleicht nicht mehr, ob die UBS «too big to fail» oder «too big to safe» ist, sondern schlicht und einfach «too big» ist. Im internationalen Kontext stellt sich die Frage übrigens nicht nur für die UBS.

Was dann?

Man könnte sich überlegen, die Banken nicht mehr so gross werden zu lassen. Altbekanntes Stichwort hier ist das Trennbankensystem – aber vielleicht neu gedacht.