Experte zum WEF-Abschluss «Weniger Glamour, mehr Inhalt würde dem WEF ganz gut tun»

Von Monique Misteli

20.1.2023

Die 53. Ausgabe des Weltwirtschaftsforums ist am Freitag zu Ende gegangen. Was bleibt von dem Prestigetreffen in Davos? 

Von Monique Misteli

Viele Fortschritte seien erzielt worden, um das Wachstum nachhaltiger zu gestalten, resümiert WEF-Präsident Børge Brende am Freitag vor den Gästen. Indem man so zusammekomme könne man eine Zukunft eine bessere Zusammenarbeit schaffen, schliesst der Norweger die 53. Ausgabe des Weltwirtschaftforums –  auch um ganz dem Motto treu zu bleiben: «Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt».

Politik verdrängt Wirtschaft

1971 lud Klaus Schwab das erste Mal die Wirtschaftselite nach Davos ein. Doch von Wirtschaft war in den vergangenen fünf Tagen zumindest vordergründig nicht viel zu spüren. Anstatt CEOs trafen sich Spitzenpolitiker fast im Minutentakt. 

So waren auch sechs der sieben Schweizer Landesregierungsmitglieder diese Woche in Davos zugegen. Für Wirtschafsminister Guy Parmelin sei es denn auch ein intensives WEF gewesen, sagte der Bundesrat kurz vor seiner Abreise zu den Medien.

«Die Politik hat das WEF gekapert», sagt Tilman Slembeck von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Damit habe sich auch die Funktion des Forums geändert, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Experte für Wirtschaftspolitik. Was vor gut 50 Jahren als privates Netzwerk-Treffen unter Wirtschaftsleuten ins Leben gerufen wurde, habe sich zu einer Plattform für Politik gewandelt, vermehrt reisten wichtige Politiker, ja sogar Präsidenten an. Das Treffen gewann somit an Bedeutung, erklärt Slembeck.

So verwundert es auch nicht, dass das diesjährige Programm sich, nebst der Inflation, mehr den gesamtpolitischen als den wirtschaftlichen Herausforderungen widmete: Energie- und Klimakrise, Ernähruns- und Gesundheitssicherheit, begleitet von der Aktualität: Dem Ukraine-Krieg.

Wer hofft, dass bei dem Treffen messbare Entscheide gefällt werden, wird enttäuscht. Für Tilman Slembeck ist das logisch, denn in all dem Glamour werde gerne vergessen, dass das WEF nicht einer Proklamation entsprechen müsse, wie ein Klimagipfel etwa. Und somit auch keine handfesten Entscheide getroffen werden müssen.

Die vier Funktionen

Das WEF hat laut dem Ökonomen vier unterschiedliche Funktionen:

1) Die Networking-Funktion: Nach wie vor treffen sich viele hochrangige Wirtschaftsvertreter zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch, sowie zum Netzwerken. 

2) Die Plattform-Funktion: Das Forum ist eine Plattform für Politiker, NGO's, aber auch für Aktivist*innen wie Greta Thunberg, um ihre Anliegen kund zu tun. Die grosse Medienpräsenz bietet eine enorme Reichweite.

3) Prestige-Funktion: Beim WEF-Besuch schwingt auch immer das «sehen und gesehen werden» mit. So sind auch nahmhafte Ex-Politiker mit nach wie vor grossem Einfluss zugegen. Etwa der Unternehmer und ehemalige US-Vizepräsident Al Gore.

4) Die Diplomatie-Funktion: Am Forum können inoffizielle Treffen stattfinden, die sonst kaum möglich wären, schon gar nicht in so kurzer Zeit und der Dichte, sagt Slembeck. Etwa der Kosovo und Serbien dürfen sich offiziell gar nicht treffen, aber in Davos sei das machbar. Und ein wichtiger Faktor dürfe man, trotz all den technischen Möglichkeiten, nicht vergessen, mahnt Slembeck: Das persönliche Treffen ist meist ein Anstoss für weitere Dialoge. 

Die Diplomatie-Funktion gehe bei all dem Prestige manchmal ein bisschen unter, sagt Slembeck und meint:«Weniger Glamour, mehr Inhalt würde dem WEF ganz gut tun. »

Für Slembeck ist das WEF dennoch nicht verzichtbar. Es werde noch wichtiger in Zukunft. Auch wenn unmittelbar nichts zählbares am WEF entschieden werde, kehren die Entscheidungsträger zurück in ihre Länder und würden allenfalls etwas ins Rollen bringen, das am WEF diskutiert wurde.