China ist nicht das ProblemAutobranche muss sich elektrifizieren – oder zahlen
Stefan Michel
8.7.2024
Die EU hat vor Kurzem Strafzölle für chinesische E-Autos erlassen. Die Schweiz macht da nicht mit. Die Autoimporteure haben grössere Herausforderungen als China – etwa das Einhalten von CO₂-Grenzwerten.
Stefan Michel
08.07.2024, 07:20
Stefan Michel
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Die EU versucht, chinesische E-Autos mit Strafzöllen auszubremsen. Die Schweiz macht da nicht mit.
Die Schweizer Autoimporteure kämpfen mit anderen Problemen: Um die CO₂-Vorgaben des Bundes zu erfüllen, müssen sie mehr Elektrofahrzeuge verkaufen.
Liegen die durchschnittlichen CO₂-Emissionen der verkauften Autos über dem Grenzwert, müssen die Importeure und letztlich die Kund*innen dafür bezahlen.
Für Thomas Rückert von Auto-Schweiz braucht es eine bessere Ladeinfrastruktur, damit mehr Menschen ein E-Auto statt eines Verbrenners kaufen.
Die Schweiz hat seit gut zehn Jahren ein Freihandelsabkommen mit China und beteiligt sich nicht an den Strafzöllen der EU. Die Statistik von Auto-Schweiz zeigt jedoch: Der Anteil chinesischer E-Autos auf Schweizer Strassen ist ohnehin sehr klein. Weniger als ein Prozent machen chinesische Fabrikate wie BYD, Aiways oder JAC bei den Neuzulassungen aus.
Dennoch sind sie für Thomas Rücker, Direktor von Auto-Schweiz, nicht unbedeutend und könnten in den nächsten Jahren deutlich zulegen. «Bei den batterieelektrischen Fahrzeugen sind die chinesischen Hersteller technologisch voraus und können günstiger produzieren als die europäischen.»
Ist die E-Euphorie vorbei?
In der Schweiz scheint die Elektroeuphorie fürs Erste verebbt. Nach Jahren starken Wachstums haben 2023 jene Autos, die über einen Stecker mit Energie versorgt werden können, gegenüber den übrigen Antriebsklassen Marktanteil verloren.
Rücker relativiert. Das Wachstum der PW mit alternativem Antrieb habe sich abgeschwächt. «Alle Hybridsysteme zusammen sind von Januar bis Mai aber um 13 Prozent gewachsen, Plug-in-Hybride allein auch noch um sechs Prozent.»
Reiner Elektroantrieb ist aber die sauberste Technologie – sofern der Strom aus nicht fossiler Quelle stammt. «Batterieelektrische Fahrzeuge müssen schneller wachsen, wenn wir die Klimavorgaben des Bundes erfüllen wollen», streicht Rücker hervor.
Importeure müssen für zu viel CO₂ bezahlen
Mit den Vorgaben meint er den durchschnittlichen CO₂-Ausstoss der importierten Fahrzeuge in der Schweiz. Überschreitet ein Importeur mit dem Mittelwert der durch ihn eingeführten Autos den Grenzwert, muss er gemäss Verordnung zum CO₂-Gesetz eine Strafgebühr, «Sanktion» genannt, zahlen.
Aktuell liegt dieser Wert bei 118 Gramm CO₂ pro Kilometer. Alle Importeure zusammen sind 2023 bei den PW auf einen Durchschnitt von 112,7 Gramm gekommen. Für Nutzfahrzeuge gelten höhere Grenzwerte. Das Bundesamt hat die Zahlen für das vergangene Jahr Ende Juni publiziert.
Schon im kommenden Jahr sinkt der Grenzwert auf 93,6 Gramm pro Kilometer, also weitere 17 Prozent weniger. Diesen könne die Branche nur erreichen, wenn sie genügend Elektrofahrzeuge verkaufe, erklärt Rücker. «Im Rahmen der Roadmap E-Mobilität will die Branche 50 Prozent Steckerfahrzeuge verkaufen, um dieses Ziel zu erreichen», erklärt Rücker. «Davon sind wir nicht weit entfernt, aber wir müssen noch zulegen.»
Am Ende zahlen die Endkund*innen
Die Sanktion für das Überschreiten des Grenzwerts kann ins Geld gehen, wie das Bundesamt für Energie auf Anfrage von blue News erklärt. Pro Auto und Gramm CO₂ verrechnet der Bund dem Importeur 95 Franken. Verfehlt ein Unternehmen den Zielwert um ein Gramm CO₂ pro Kilometer und hat dieses 1000 Autos verkauft, muss es also 95'000 Franken Sanktion zahlen.
Bei den grössten Importeuren, die jährlich mehrere 10'000 Autos absetzen, kann die Sanktion in die Millionen gehen. Amag, die Nummer eins der Schweiz, zahlte 2021 über 21 Millionen Franken. So will der Bund die Branche dazu bewegen, ihren Kunden möglichst emissionsarme Autos anzubieten.
Die Importeure und Händler reichen diese Gebühr an ihre Kundschaft weiter. Wer ein Auto mit besonders hohem CO₂-Ausstoss kauft, zahlt mehr – sofern der jeweilige Importeur in jenem Jahr den Grenzwert überschreitet. Dieser kalkuliert, ob er im Abrechnungsjahr den Grenzwert überschreitet oder nicht, und passt seine Fahrzeugpreise entsprechend an. Die Anhänger schwerer Verbrenner müssen also darauf hoffen, dass möglich viele andere ein E-Auto oder einen Kleinwagen kaufen.
Rücker sieht die Handhabe der Branche als begrenzt an: «Die Schweizer Autohändler importieren, was die Kundschaft kaufen will.» Die Nachfrage nach Wagen mit alternativen Antrieben, speziell nach batterieelektrischen Autos sei der begrenzende Faktor. «Am Anfang ist die Nachfrage dank derjenigen schnell gestiegen, die der Technologie gegenüber offen waren. Jetzt aber müssen wir die breite Masse erreichen.»
Lückenhafte Ladeinfrastruktur
Dabei sieht der Auto-Schweiz-Direktor vor allem die Ladeinfrastruktur als Hindernis. «Die Kunden zögern, wenn sie keinen eigenen Parkplatz haben oder ihr Vermieter nichts von Steckdosen in der Parkgarage wissen will.»
Kompliziert sei auch, dass die verschiedenen Anbieter von Ladestellen unterschiedliche Systeme entwickelt hätten: «Es braucht drei verschiedene Karten und fünf verschiedene Apps oder mehr, um das E-Auto überall laden zu können. Das ist nicht ideal.» Rücker hofft, dass in den nächsten Jahren ein schweizweit oder noch besser europaweit einheitliches Ladenetz entsteht, das mit allen gängigen Fahrzeugen kompatibel ist.
Ein weiteres Problem seien undurchsichtige Tarife: «Bei der heutigen Ladeinfrastruktur sind die Energiepreisunterschiede markant und zu wenig transparent – das fördert Misstrauen statt Vertrauen in eine neue Lösung.»
Auch der Preis hält manche davon ab, ein E-Auto zu kaufen. Diese sind nach wie vor teurer als Verbrenner. Hier könnten chinesische Marken einen Unterschied machen und ihre Position ausbauen. Mit den EU-Zöllen müssen sie allerdings massiv billiger produzieren, um tatsächlich günstigere Fahrzeuge in Europa anbieten zu können.
In der Schweiz gibt es zwar, wie erwähnt, keine solchen Strafgebühren. Ob der kleine Schweizer Markt den chinesischen Herstellern besondere Anstrengungen wert ist, ist eine andere Frage. Ein Sanktionssystem wie das schweizerische kennt auch die EU – und dieses operiert sogar mit noch tieferen Grenzwerten.
Branche setzt weiterhin auch auf Verbrenner
So will die EU erreichen, dass ab 2035 keine CO₂-ausstossenden Fahrzeuge neu in Verkehr gesetzt werden. Die europäischen Hersteller sind also gefordert, ihre Flotte mit alternativem Antrieb auszubauen. Doch auch auf Herstellerseite scheint die E-Euphorie fürs Erste abgeklungen zu sein.
Sie präsentieren neue Verbrenner und in der Werbung sind Elektrofahrzeuge weniger präsent als noch vor wenigen Jahren. Rücker stellt in Abrede, dass die europäischen Autohersteller auf die Verbrenner zurück orientieren. «Das wäre angesichts des Sanktionsregimes der EU verheerend.»
Dass trotzdem Benzin- und Dieselfahrzeuge weiterentwickelt werden, liege daran, dass die Elektrifizierung aus den genannten Gründen nicht so schnell voranschreite wie erhofft. «Deshalb müssen die Hersteller auch die Verbrenner weiterentwickeln.»
Rücker ist überzeugt, dass es in Europa eine namhafte Batterieproduktion brauche. «Die Branche muss mehr Wertschöpfung nach Europa holen. Nur so können die Hersteller mit China konkurrieren.»
Die Importeure und Händler sieht er in der Pflicht, die Kundschaft für Elektrofahrzeuge zu gewinnen. Dazu hofft er auf Hilfe von der Energiewirtschaft, die den Zugang zu Ladeinfrastruktur vereinfachen könnte. Und zuletzt könnte der Bund mit einem Anreizsystem helfen, dass es den Menschen leichter fällt, auf das E-Auto umzusteigen.
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