PersonenkultWieso die Schweizer Klimajugend ohne eigene Greta auskommt
Von Gil Bieler
29.8.2019
Greta Thunberg wird in New York wie ein Staatschef empfangen. Was man bei der Schweizer Klimajugend über den Hype denkt, warum die Bewegung hierzulande ohne Aushängeschilder auskommt und was sie geplant hat.
Solch ein Willkommenskomitee ist den wenigsten vergönnt: Nicht weniger als 17 Segelboote der UNO begrüssten Greta Thunberg vor Manhattan, als sie am Mittwoch nach zwei Wochen auf See die USA erreichte. Schaulustige und Gleichgesinnte jubelten, als die 16-Jährige an Bord der Segeljacht «Malizia» anlegte. Kaum ausgestiegen, warteten die Mikrofone und Kameras der Medien. «All das ist überwältigend. Der Boden wackelt noch», sagte die junge Schwedin.
Der Hype um Greta Thunberg ist nicht neu. Die Schülerin, die mit ihrem Klimaprotest eine weltweite Bewegung angestossen hat, kennt heute so gut wie jedes Kind. Als sie Anfang Monat am Gipfel der europäischen Klimajugend in Lausanne teilnahm, zog sie wie selbstverständlich das grösste Interesse auf sich. Doch dass sie in New York nun wie eine Mischung aus Popstar und Staatsoberhaupt empfangen wird – ist nicht auch das etwas zu viel der Ehre?
Nein, findet zumindest Miriam Rizvi von der Schweizer Klimajugend-Bewegung. Die 18-jährige Gymnasiastin aus St. Gallen erachtet es als positiv, dass Thunbergs Reise ein so grosses Medienecho auslöst – «gerade in den USA, wo immer noch viele Menschen überhaupt nicht an den Klimawandel glauben». Rizvi ist selber in den Vereinigten Staaten aufgewachsen und findet es eine «sehr starke Aktion», dass Thunberg den Atlantik mit der Jacht statt mit dem Flugzeug überquert hat.
Bewegung statt Einzelpersonen im Fokus
In der Schweiz hat die «Fridays for Future»-Bewegung keine prominenten Aushängeschilder hervorgebracht. Dahinter stehe ein bewusster Entscheid, sagt Rizvi. «Wir wollen als Bewegung wahrgenommen werden, nicht als Einzelpersonen.» Hinzu komme, dass, wer sich so stark exponiere wie Greta Thunberg, auch enormen Druck auf sich nehme. «Wenn man dann nicht alles perfekt macht, wird man gleich kritisiert.»
So wie Thunberg. Dass sie polarisiert, kann man in den Kommentarspalten zu jeder Greta-Meldung auf Newsportalen und auf Facebook nachlesen. Ihre Anhänger duellieren sich dort leidenschaftlich mit ihren Gegnern. Letztere werfen der Schülerin etwa vor, mit ihrem Segeltörn habe sie de facto mehr Schadstoff-Emissionen verursacht, als wenn sie ins Flugzeug gestiegen wäre – etwa weil eine fünfköpfige Crew nötig sei, um die Jacht zurück nach Europa zu bringen, wie die deutsche «taz» enthüllt hatte.
Ein Kritikpunkt, den auch Steve Milloy, Kommentator beim konservativen US-Sender Fox News, gleich nach Thunbergs Ankunft genüsslich aufgegriffen hat. Auf Twitter beschimpft er sie zum wiederholten Male als «Klima-Marionette» und wettert – übrigens ja genauso wie der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel – allgemein gegen die angebliche «Klima-Hysterie».
Greta the Climate Puppet will be flying back, tho.
Then there's the crew who had to be flown over to sail the boat back.
Of course, the boat wouldn't exist but for fossil fuels.
The whole stunt is a phony as climate hysteria & the Putin-funded youth climate activism it fronts. https://t.co/nVDzXbbywe
Die Klimaschützerin Rizvi dagegen spricht konsequent von einer «Klimakrise». Und der Kritik an der Umweltbilanz des Segeltörns hält sie entgegen: «Greta gibt mit dieser Aktion auch ein kritisches Statement ab. Nämlich dass es noch immer keinen ökologischeren Weg gibt, um über lange Distanzen zu reisen.»
Klimaproteste auf dem Land geplant
In New York will Thunberg am 21. September am Jugend-Klimagipfel der Vereinten Nationen teilnehmen. Aus der Schweiz wird laut Rizvi voraussichtlich keine Delegation an den Gipfel reisen. Doch auch so mangelt es nicht an Projekten: Am kommenden Samstag, 31. August, wollen die Klimajugendlichen ihren Protest erstmals aus der Stadt aufs Land tragen. Von Aarau bis Zollikofen sind Demonstrationen angekündigt. Rizvi ist gespannt, wie viele Leute sich mobilisieren lassen werden.
Am 20. September wollen die Klimaaktivisten bekannt geben, welche der rund 4'000 Kandidaten für die Parlamentswahl ihre Klima-Charta ausgefüllt haben. Darin können die Kandidaten Stellung zu vier zentralen Forderungen der Jugendlichen beziehen.
Wie organisiert sich die Bewegung eigentlich in der Schweiz? Gemäss Rizvi treffen sich die Klimajugendlichen aus allen Landesteilen alle paar Monate, um über das weitere Vorgehen zu befinden. 250 bis 400 Teilnehmer können solche nationalen Treffen zählen, und weil die Jungen erst Erfahrungen sammeln mussten, litt in der Vergangenheit manchmal die Effizienz. Deshalb habe man das Verfahren gestrafft. Entschieden wird aber immer noch streng basisdemokratisch per Abstimmung im Plenum.
Mehr Tempo gefordert
Der Amazonas brennt, die Gletscher schmelzen – verlieren die jungen Klimaschützer angesichts der Nachrichten aus den letzten Wochen nicht langsam die Geduld? «Natürlich ist es frustrierend, wie lange alles dauert» sagt Rizvi. Sie wünscht sich unter anderem mehr Mut vom Bundesrat: Die Landesregierung gab diese Woche bekannt, dass die Schweiz per 2050 klimaneutral werden soll.
«Ich bin zwar froh, dass sie einen Schritt vorwärts machen, aber das genügt nicht», sagt Rizvi. Die Klimajugend fordert mehr Tempo – der Ausstoss von Treibhausgasemissionen soll schon bis 2030 auf null gesenkt werden.
Monokulturen und Pestizide: Die veränderte Landnutzung gehört mit Fischerei, Klimawandel und Verschmutzung zu den Hauptursachen für den Niedergang der Artenvielfalt.
Bild: Jinning Li/Shutterstock.com
Rund ein Drittel der riffbildenden Korallen ist vom Aussterben bedroht. Von Korallenriffen sind wiederum eine Vielzahl weiterer Arten abhängig.
Bild: Andrey Armyagov/Shutterstock.com
Fangnetze mit Heringen werden auf dem Greifswalder Bodden an Bord eines Fischkutters gezogen. Die weltweite Rate des Artensterbens sei derzeit zehn- bis hundertmal höher als im Schnitt der vergangenen 10 Millionen Jahre, heißt es in dem Kernpunktepapier, das der Weltbiodiversitätsrat IPBES vorstellte.
Bild: Jens Büttner/dpa
Indonesien, Jantho: Ein Sumatra-Orang-Utan ruht auf einem Baum im Sumatra Orang-Utan Conservation Program (SOCP), in der Jantho Reintroduction and Quarantine Station. Laut IPBES sterben immer mehr Arten aus.
Bild: Hotli Simanjuntak/EPA/dpa
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