Corona-Krise Venedig sucht nach neuen Visionen für den Tourismus

AP/toko

19.5.2020

Zwei Gondoliere sitzen auf dem Markusplatz auf einer Bank und unterhalten sich, während sie auf Kunden warten.
Zwei Gondoliere sitzen auf dem Markusplatz auf einer Bank und unterhalten sich, während sie auf Kunden warten.
Francisco Seco/AP/dpa

Das Ausbleiben der Besucherströme in der Corona-Zeit gibt dem sonst völlig überlaufenen Venedig die Chance, seine Tourismus-Strategien zu überdenken. Für viele Betriebe allerdings geht es erst einmal ums Überleben.

Venedig ist bekannt für zu viele Touristen und zu wenige Anwohner im Zentrum. Jetzt fallen im Kern der Lagunenstadt spielende Kinder auf. In den Wasserbussen, den Vaporetti, sind nur die Pendler mit Atemschutzmasken und Handschuhen unterwegs. Die berühmten Gondeln liegen still, Hotelzimmer stehen leer. Die Türen der Museen sind geschlossen, der Markusplatz ist nahezu menschenleer.

Während der ungebremste Zustrom der Touristen Venedig in den vergangenen Jahren fast erdrückte, ist die Existenzkrise nun anderer Art: Wegen der Corona-Pandemie bleiben die Besucher seit Ende Februar aus, die Wirtschaft leidet. Schon ungewöhnlich heftige Überschwemmungen im November hatten der Stadt einen ersten wirtschaftlichen Schlag versetzt. Das Virus hat Venedig zum Erliegen gebracht.



Rund drei Milliarden Euro lassen die jährlich etwa 30 Millionen Urlauber sonst in der Stadt und damit einen Grossteil der venezianischen Einnahmen. Das bleibt nun aus, und die für dieses Jahr zugesicherte Hilfe der Regierung fliesst nur langsam.

Doch die Krise bietet nach Ansicht mancher eine Chance, Venedig neu zu denken. «Das erlaubt es uns, das Leben im historischen Zentrum zu überdenken», sagt Bürgermeister Luigi Brugnaro. «Venedig ist eine langsame Stadt», erklärt er. «Die Langsamkeit Venedigs ist die Schönheit Venedigs.» Statt Touristenmassen, die die Stadt überrennen, wünscht er sich einen neuen Ansatz.

Dazu gehören etwa Vorschläge der venezianischen Ca‘Foscari-Universität, bisher Touristen vorbehaltene Wohnungen an Studenten zu vermieten, um wieder mehr Anwohner in der Innenstadt zu bekommen. Dort leben derzeit nur noch rund 53'000 Menschen, ein Drittel weniger als vor einer Generation.

Kommt nach Venedig, wenn ihr euch bewegen dürft»: Bürgermeister Luigi Brugnaro wirbt in der Corona-Krise auf Twitter für seine Stadt. (Archivbild)
Kommt nach Venedig, wenn ihr euch bewegen dürft»: Bürgermeister Luigi Brugnaro wirbt in der Corona-Krise auf Twitter für seine Stadt. (Archivbild)
KEYSTONE/AP/Andrew Medichini

Brugnaro schwebt mit Blick auf die Anfälligkeit der Stadt für Überflutungen auch ein Zentrum zur Erforschung des Klimawandels vor. Das könnte Wissenschaftler anlocken, die sich wiederum im historischen Zentrum niederlassen könnten. Auch andere Ausländer sind willkommen: Brugnaro denkt an eine Art Renaissance, die Kreative nach Venedig holt.

Die Visionen für Venedig umfassen auch Rufe nach Steuererleichterungen für Traditionshandwerk. Einwohner haben Anreize für das Wiederaufleben von Traditionen des venezianischen Stadtlebens vorgeschlagen. Dabei haben sie unter anderem an die alten Ruderboote gedacht, die die Einwohner über Jahrhunderte hinweg nutzten, die sich aber inzwischen nur schwer gegen ihre motorisierten Nachfolger behaupten können. Auch die Geschäfte sollen sich diesen Wünschen zufolge ändern: Wo Touristenläden wegen der Corona-Pandemie schliessen mussten, sollen nachhaltigere Unternehmen Einzug halten.

«Zum Neustart muss Venedig in seine Vergangenheit zurückkehren», sagt Rodolfo Bevilacqua. Die Stadt dürfe nicht «täglich entweiht» werden. Derzeit ist die Familienweberei Bevilacqua, die Luxusstoffe auch für Modehäuser wie Dior, Valentino oder Dolce & Gabbana fertigt, die einzige Manufaktur am Canal Grande.

Für viele geht es um die Existenz

Ein saubereres, entschleunigtes Venedig für die Nach-Corona-Zeit durchzusetzen, stösst allerdings auf grosse Schwierigkeiten. Jane da Mosto, Geschäftsführerin der Organisation «We Are Here Venice» etwa beklagt, dass Bars, die jetzt wieder eröffnen, Wegwerfgeschirr nutzen statt nachhaltigerer Alternativen.

Und für viele Betriebe geht es schlicht um die Existenz. Nach Schätzungen von Stadt und Tourismusbehörde dauert es mindestens ein Jahr, bis die Besucher wieder in grosser Zahl nach Venedig kommen. Bis dahin werden viele Jobs verloren sein. «Es wird ein Kampf ums Überleben», sagt Claudio Scarpa, der Vorsitzende des Hotelverbands der Stadt.

Bürgermeister Brugnaro hofft derweil, im Juli ein besonders öffentlichkeitswirksames Signal der Erholung senden zu können - mit dem Erlöserfest, an dem jährlich der Befreiung von der Pest 1577 gedacht wird. Auf dem Programm stehen dabei neben einer Prozession und Konzerten auch Regatten und ein spektakuläres Feuerwerk.


Bilder des Tages

Zurück zur Startseite