Guanziroli am Gericht Tochter will Vater mit Luftinjektion erlösen

Silvana Guanziroli

4.4.2019

Die Tochter setzt eine mit Luft gefüllte Spritze am Venen-Katheter des Vaters an. Weil Pflegepersonal ins Zimmer kommt, bricht sie ihr Vorhaben ab. 
Die Tochter setzt eine mit Luft gefüllte Spritze am Venen-Katheter des Vaters an. Weil Pflegepersonal ins Zimmer kommt, bricht sie ihr Vorhaben ab. 
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Nach einem Schlaganfall ist ein 86-jähriger Zürcher in schlechtem Zustand. Ihren Vater so leiden zu sehen, kann die 58-jährige Tochter kaum ertragen. Vor einem Spitalbesuch fasst sie einen tragischen Entschluss.

Im Februar 2018 liegt Paul Konrad* im Zürcher Stadtspital Triemli auf der Intensivstation. Der 86-jährige demente Mann hat vor wenigen Tagen einen  Schlaganfall erlitten. Gesundheitlich geht es dem Patienten sehr schlecht, er kann kaum essen und trinken, ohne sich zu verschlucken.

Paul Konrads Zustand macht seiner Familie schwer zu schaffen. Vor allem die Tochter kann kaum zusehen, wie ihr Vater leidet. Sie glaubt, dass ihm durch den Schlaganfall auch noch seine letzte Freude, das genussvolle Essen, genommen worden ist. 

Die Frau, die im Kanton Aargau wohnt, fasst deshalb vor ihrem nächsten Spitalbesuch einen Entschluss. Sie packt eine Einweg-Kunststoffspritze in ihre Jackentasche. Gegen 16.25 Uhr desselben Tages steht sie im Zimmer 100 des Triemlispital. Sie beobachtet ihren Vater, der im Spitalbett liegt. Er schläft, doch sein Leiden sei ihm auch so deutlich anzusehen gewesen, wie sie es später den Untersuchungsbehörden schildert.

Der Ambulanzbereich des Zürcher Stadtspitals Triemli. In dieser Klinik wollte die Frau ihren Vater von seinen Leiden erlösen.
Der Ambulanzbereich des Zürcher Stadtspitals Triemli. In dieser Klinik wollte die Frau ihren Vater von seinen Leiden erlösen.
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Luft in der Vene sollte Embolie auslösen

Die Frau nimmt die Spritze aus der Tasche und tritt ans Bett ihres Vaters. Sie öffnet den Verschlussdeckel des Venenkatheters in seinem Arm und setzt die Spritze an. Das Ziel der Tochter: Sie will Luft in die Vene spritzen und damit eine Embolie und so letztlich den Tod ihres Vaters herbeiführen. 

Doch die Tochter kann ihre Tat nicht vollenden, wie die Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift schreibt. «Sie brach dieses Vorhaben ab, weil Mitarbeiterinnen des Spitals intervenierten», heisst es in den Unterlagen. Danach habe die Frau die Spritze wieder in ihre Tasche gesteckt.

Gemäss Strafuntersuchungsbehörden hat der Vater den Vorfall überlebt und keinen Schaden davongetragen. Einen Monat später stirbt der 86-jährige Mann krankheitsbedingt in einem Pflegeheim. 

Direkte aktive Sterbehilfe ist in der Schweiz verboten

Die Tochter muss sich heute vor dem Bezirsgericht Zürich wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verantworten. Die Staatsanwaltschaft fordert für die 58-jährige Frau eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Da sie rechtlich gesehen nicht vorbelastet ist, soll die Strafe bedingt ausgesprochen werden. 

Das Schweizer Recht unterscheidet bei der Sterbehilfe verschiedene Formen, wovon ein Teil illegal, ein anderer legal ist:

Direkte aktive Sterbehilfe 

Hier handelt es sich um eine gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines anderen Menschen. Eine Person verabreicht der Person absichtlich eine Spritze, die direkt zum Tod führt.

Diese Form der Sterbehilfe ist strafbar. Zum Zuge kommen diese Straftatbestände: vorsätztliche Tötung (Art. 111 StGB), Tötung auf Verlangen (Art. 114 StGB) oder Totschlag (Art. 113 StGB). 



Indirekte aktive Sterbehilfe

Zur Linderung von Leiden werden Mittel, zum Beispiel Morphium, verabreicht. Diese Mittel können als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen. 

Gemäss dem Bundesamt für Justiz ist diese Art der Sterbehilfe im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als grundsätzlich erlaubt. Auch die Richtlinien über die Sterbehilfe der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW-Richtlinien) betrachten diese Form der Sterbehilfe als zulässig.

Passive Sterbehilfe

Verzicht auf die Aufnahme oder den Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen. Wenn zum Beispiel ein Sauerstoffgerät für die künstliche Beatmung abgestellt wird.

Auch diese Form der Sterbehilfe ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Doch auch sie gilt gemäss Bundesamt für Justiz als erlaubt. 

Beihilfe zum Selbstmord

Sterbehilfe-Organisationen leisten Suizidhilfe im Rahmen des Gesetzes. Sie vermitteln Patienten eine tödliche Substanz, die sie ohne Fremdeinwirkung selber einnehmen. Die Organisationen machen sich nicht strafbar, solange ihnen keine selbstsüchtigen Motive vorgeworfen werden können. 

Ansonsten gilt Artikel 115 des Strafgesetzbuches. Wer «aus selbstsüchtigen Beweggründen» zum Suizid Hilfe leistet, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft.

Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli musste sich 2018 vor Gericht verantworten. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft war, er handle mit seiner Organisation nach eigennützigen Motiven. Das Bezirksgericht Uster folgte dem Antrag nicht und sprach Minelli vollumfänglich frei.
Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli musste sich 2018 vor Gericht verantworten. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft war, er handle mit seiner Organisation nach eigennützigen Motiven. Das Bezirksgericht Uster folgte dem Antrag nicht und sprach Minelli vollumfänglich frei.
Keystone

* Name der Redaktion bekannt


«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
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