Steinzeit in der Schweiz Parallelgesellschaften in der Steinzeit

SDA

20.4.2020 - 17:46

Schicht mit menschlichen Überresten in ihrer ursprünglichen Lage im Dolmen von Oberbipp.
Schicht mit menschlichen Überresten in ihrer ursprünglichen Lage im Dolmen von Oberbipp.
Source: Universität Bern

Auf dem Gebiet der heutigen Schweiz dürften bereits vor 5'000 Jahren Parallelgesellschaften bestanden haben. Dies legt eine Studie mit Beteiligung der Universität Bern nahe.

Durch die Einwanderung von Nomaden aus der eurasischen Steppe kam es in Europa zum Ende der Jungsteinzeit zu einer umfassenden Bevölkerungsumwälzung. Über die Vermischung der beiden Bevölkerungsgruppen in Zentraleuropa war bisher wenig bekannt.

In der neuen Studie, die in der Fachzeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht wird, hat ein Forschungsteam 96 alte Genome aus Fundstätten in Deutschland, der Schweiz und dem französischen Elsass analysiert. Sie geben neue Einblicke in die Abstammung heutiger Europäerinnen und Europäer, wie die Universität Bern am Montag mitteilte.

Aus den Steppen

Auf das Ende der Jungsteinzeit, ca. 2800 v. Chr., wird das erste Auftreten archäologischer Funde aus dem Kulturkomplex der sogenannten Schnurkeramik datiert. Im gleichen Zeitraum lassen sich in der genetischen Abstammung der Menschen Spuren finden, die ihren Ursprung in den pontisch-kaspischen Steppengebieten, auf dem Gebiet des heutigen Russlands und der Ukraine, haben.

Ein internationales Forschungsteam von den Universitäten Tübingen und Bern sowie dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena ist den Spuren genauer nachgegangen. Die Feststellungen der Forschenden deuten darauf hin, dass sich die Gene der neuen und altansässigen Bevölkerungsgruppen erst allmählich mischten.

«Bemerkenswerterweise fanden wir mehrere weibliche Individuen, deren Gene keinerlei Spuren der Vorfahren aus der Steppe aufwiesen – und das, obwohl die Steppen-Menschen bereits seit 1'000 Jahren in der Region lebten, wird die Erstautorin der Studie Anja Furtwängler vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen in der Mitteilung zitiert.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Menschen der schnurkeramischen Kultur, die hauptsächlich genetische Einflüsse der Einwanderer aus der Steppe aufwiesen, eine relativ einheitliche Bevölkerungsgruppe bildeten. Sie besetzte in der frühen Bronzezeit grosse Teile Zentraleuropas. «Daneben existierten jedoch über Hunderte von Jahren auch Gruppen ohne Ahnen aus der Steppe.»

Dolmengrab von Oberbipp

Der Auslöser für das vom Schweizerischen Nationalfonds und der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Forschungsprojekt war die Ausgrabung eines Grossen Steingrabs (Dolmen) in Oberbipp BE. Dort waren mindestens 40 Menschen in zwei Phasen bestattet worden.

«Der Fund eines intakten Dolmengrabs in der Schweiz war eine Sensation. Nun konnten wir sogar genetische Profile der Jahrtausende alten Skeletten gewinnen», wie die Mitautorin der Studie, Sandra Lösch vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern, sagte.

Paläogenetische Erkenntnisse der letzten Jahre belegen zwei grosse Migrationsereignisse im Holozän, die jeweils zu einem fundamentalen Wandel in der frühen europäischen Geschichte führten.

Um 5500 v. Chr. sind es Menschen aus dem anatolisch-ostmediterranen Raum. Um 2800 v. Chr. kamen sie aus dem nördlichen Schwarzmeer- und der Kaukasusgebiet. Die Studie bestätigt den zweiten Zustrom, zeigt aber auch, dass nicht die gesamte Bevölkerung ausgetauscht wurde, sondern es zu einem Nebeneinander kam.

Früher Milchtrinker aus dem Aargau

Die sprichwörtliche Liebe zu Milchprodukten scheinen die Schweizer bereits früh entwickelt zu haben, wie die Studie ausserdem nahelegt.

Die Forscherinnen und Forscher identifizierten bei ihrer Arbeit nämlich aus einer Fundstätte in Spreitenbach AG einen der bisher weltweit ältesten als laktosetolerant bekannten Menschen. Er konnte sich von grösseren Mengen unvergorener Milch und Milchprodukten ernähren und lebte rund 2400 Jahre v. Chr.

Milch stand ursprünglich nicht auf dem Speisezettel der urzeitlichen Jäger und Sammler. Sie waren genetisch so veranlagt, dass sich die Enzyme für die Verwertung von Milchzucker nach dem Säuglingsalter zurückbildeten. Für die Urmenschen waren Proteine wichtiger. Erst mit der Haltung von Haustieren begannen die Menschen, sich an die Milch zu gewöhnen.


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