Berühmte Holocaust-Zeugin Sie hoffte bis zum Schluss – vor 75 Jahren wurde Anne Frank deportiert

tmxh/dpa

4.8.2019

Ihr Tagebuch gilt als wohl berühmtestes Zeugnis des Holocaust. Die Hoffnung bewahrte Anne Frank in ihrem Versteck bis zuletzt. Vor 75 Jahren wurde das jüdische Mädchen mit ihrer Familie entdeckt und deportiert. 

«Ich werde nicht unbedeutend bleiben», schreibt Anne Frank am 11. April 1944 in ihr später weltberühmtes Tagebuch – «Ich werde in der Welt und für die Menschen arbeiten.» Die Hoffnung erlischt an jenem warmen Amsterdamer Sommertag vor 75 Jahren, am 4. August 1944.

Kurz nach 10 Uhr hält ein Auto an der Prinsengracht 263. SS-Oberscharführer Karl Josef Silberbauer und holländische Polizisten stürmen das Versteck. Es wurde verraten. An jenem Schicksalstag verstecken sich Anne und ihre Familie seit 761 Tagen im Hinterhaus. 

Die acht Untergetauchten werden ins Deportationslager Westerbork und dann nach Auschwitz gebracht. Von dort kommen Anne und ihre Schwester ins KZ Bergen-Belsen. Dort wird Anne noch von einer Schulfreundin gesehen. Sie war «ein gebrochenes Mädchen», erinnert jene sich. Am 12. Juni dieses Jahres wäre Anne Frank 90 Jahre alt geworden.

Versteck hinter dem Bücherregal 

Anne wird am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren. Die Familie emigriert nach der Machtergreifung Hitlers 1933 nach Amsterdam und lebt dort knapp sieben Jahre lang relativ unbeschwert im Süden der Stadt. Anne hat viele Freundinnen. Sie sprüht vor Leben, ist witzig und ziemlich frech. So erinnern sich Schulkameraden später.

Als aber die deutsche Wehrmacht 1940 die Niederlande besetzt, ändert sich auch das Leben von Anne. Sie darf nicht mehr das öffentliche Schwimmbad besuchen, muss auf eine jüdische Schule und wie alle Juden ab 1942 einen gelben «Judenstern» auf ihren Kleidern tragen.

Zum 13. Geburtstag bekommt Anne ein kleines rotkariertes Tagebuch geschenkt. «Ich kann dir hoffentlich alles anvertrauen», so schreibt sie auf die erste Seite. «Ich hoffe, dass du eine grosse Stütze für mich sein wirst.»

Die Verfolgung der Juden wird im besetzten Amsterdam immer bedrohlicher. Als Annes Schwester Margot 1942 die Deportation droht, taucht die Familie unter. Anne ist 13 Jahre alt.

Das Versteck ist im Dachgeschoss der Handelsfirma von Vater Otto Frank untergebracht. Hinter einem Bücherregal führt eine steile Stiege zu dem Versteck, in dem insgesamt acht Menschen mehr als zwei Jahre lang leben werden. Das Bücherregal ist das Scharnier von Freiheit und Unfreiheit, von Licht und Dunkel.

Während in die unteren Räume Tageslicht fällt, sind oben die Fenster abgedichtet – niemand darf die Untergetauchten sehen oder hören. Das Knarren der Holzdielen oder die Klospülung kann sie verraten. «Aus dem Fenster schauen oder nach draussen gehen, dürfen wir natürlich nicht», schreibt Anne.

Briefe an die fiktive Freundin

Über ihr Bett hat sie Starfotos auf die Tapeten geklebt: Greta Garbo, Heinz Rühmann. An einer Wand markiert Vater Otto Frank mit Bleistiftstrichen, wie viele Zentimeter seine Töchter wachsen.

Dort hinein schreibt Anne Briefe an «Liebe Kitty», eine fiktive Freundin. Sie schildert den Alltag im Versteck, die allgegenwärtige Bedrohung, die Ängste, die Spannungen und die Hoffnungen. Und doch: Anne ist auch ein ganz normaler Teenager. Sie hat Stress mit ihrer Mutter, ist genervt von ihrer Schwester Margot und verliebt in Peter, den 15-jährigen Sohn der Familie van Pels, die ebenfalls im Versteck lebt. Mit ihm führt sie lange Gespräche über Gefühle und die Zukunft.

Ein Aufruf der niederländischen Exilregierung, Briefe und Tagebücher aufzubewahren, bringt Anne auf eine Idee. Sie will aus ihrem Tagebuch einen Roman machen und nach dem Krieg veröffentlichen. Auch den Titel weiss sich schon: «Das Hinterhaus.» Nun überarbeitet sie ihre eigenen Texte, schreibt ganze Passagen neu. 

Die Entdeckung

Bis schliesslich jener sonnige Tag vor 75 Jahren anbricht, an dem die Versteckten entdeckt werden. Zunächst durchsuchen die Männer die Büros im ersten Stock: «Die Polizei ging nach oben in den Lagerraum im Vorderhaus und sie wollten wissen, was in den ganzen Kisten, Säcken und Ballen war. Ich musste alles aufmachen. Ich dachte bei mir, wenn es nur eine Hausdurchsuchung ist, ist es hoffentlich schnell vorbei», erinnert sich Bürodirektor Victor Kugler später.

Inspiziert wird auch der Raum mit jenem schwenkbaren Bücherschrank, hinter dem sich das ganze Haus befindet, in dem Anne und ihre Familie versteckt sind. Die Polizisten entdecken den geheimen Zugang und nehmen die insgesamt acht Untergetauchten fest. Zuvor müssen sie alle Wertsachen abliefern und sich für den Transport bereitmachen. Bei der Durchsuchung der Räume fallen Annes Tagebücher unbeachtet auf den Boden.

Verhaftet werden auch die Helfer Victor Kugler und Johannes Kleiman. Nach einem gemeinsamen Verhör im SD-Gebäude an der Euterpestraat werden die Helfer und die Untergetauchten getrennt. Anne Frank, ihre Familie und die anderen werden in das Gefängnis an der Weteringschans gebracht. Im Hinterhaus-Versteck finden die Helferinnen Miep Gies und Bep Voskuijl Annes Tagebücher, die noch immer auf dem Boden liegen. Sie bewahren sie in einer Schublade im Büro auf. 

Nur Vater Otto Frank überlebt. Als er zurückkehrt, übergeben ihm die Helfer der Untergetauchten die Tagebücher seiner Tochter. 1947 erfüllt Otto den Wunsch seiner Tochter. Anne Franks Tagebuch erscheint mit dem Titel: «Das Hinterhaus.»

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite