Guanziroli am Gericht 79-Jährige stirbt nach Angriff in Zürich – Modeberaterin ist angeklagt

Von Silvana Guanziroli

16.8.2019

Die Modeberaterin griff die Rentnerin in Zürich-Affoltern an. Drei Tages später verstarb die Frau im Spital (Symbolbild).
Die Modeberaterin griff die Rentnerin in Zürich-Affoltern an. Drei Tages später verstarb die Frau im Spital (Symbolbild).
Keystone

Warum sie es getan hat, ist bis heute ein Rätsel. Eine Modeberaterin greift an einer Bushaltestelle eine betagte Frau an. Die Rentnerin stürzt und stirbt drei Tage später im Spital. Am Montag kommt es in Zürich zum Prozess.

Die 79-jährige Rentnerin Hildegard M.* will an jenem Morgen im Mai 2018 ein paar Besorgungen in der Stadt erledigen. Gegen 9.40 Uhr wartet sie an der VBZ-Haltestelle in Zürich-Affoltern auf den nächsten Bus. Doch in diesen einzusteigen, das schafft Hildegard M. nicht mehr.

Denn neben ihr an der Bushaltestelle steht eine 30-jährige Modeberaterin. Nur wenige Augenblicke nach der ersten Begegnung kommt es zwischen den Frauen zur Eskalation. Die jüngere stösst die betagte Rentnerin mit voller Wucht. Gemäss Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft fällt Hildegard M. daraufhin kopfüber auf den Asphalt, schlägt mit Gesicht und Knien auf dem Boden auf. Der Aufprall sei so heftig gewesen, dass die oberen Schneidezähne und die Zahnbrücke ausgeschlagen worden seien, wie es weiter heisst.

Während die 79-Jährige am Boden liegt und aus dem Mund blutet, ergreift die Modeberaterin die Flucht. Hildegard M. wird mit der Ambulanz ins Spital gebracht. Doch ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich in den folgenden Tagen dramatisch. In einer Meldung schreibt die Kantonspolizei Zürich damals: «Bei einer Auseinandersetzung an der VBZ Haltestelle Zehntenhausplatz in Zürich, Kreis 11, ist eine Frau schwer verletzt worden. Drei Tage später verstarb die 79-Jährige an ihren schweren Verletzungen.»

Hier am Zehntenhausplatz in Zürich kam es im Mai 2018 zur verhängnisvollen Begegnung. Bei der VBZ-Haltestelle stösst die Modeberaterin die betagte Frau um. 
Hier am Zehntenhausplatz in Zürich kam es im Mai 2018 zur verhängnisvollen Begegnung. Bei der VBZ-Haltestelle stösst die Modeberaterin die betagte Frau um. 
Street View

Schwere Körperverletzung statt Totschlag

Nach einem Zeugenaufruf und erst nach weiteren zwölf Tagen geht die Beschuldigte der Polizei schliesslich ins Netz. Seit ihrer Verhaftung im Juni 2018 sitzt die heute 31-Jährige in Sicherheitshaft. So hat es die Staatsanwaltschaft beantragt. Vorausetzung dafür ist neben dem dringenden Tatverdacht eine Flucht-, eine Kollusions-, eine Ausführungs- oder eine Wiederholungsgefahr. Welcher Haftgrund konkret vorliegt, dazu wollte sich die Staatsanwaltschaft nicht äussern.

Der Fall wird am Bezirksgericht Zürich verhandelt.
Der Fall wird am Bezirksgericht Zürich verhandelt.
Keystone

Spannend ist in diesem Fall die Anklage selbst: Die Beschuldigte muss sich nicht wegen der Tötung der Rentnerin verantworten. Sie steht lediglich wegen schwerer versuchter Körperverletzung vor Gericht. Wie ist das möglich? «Der Kausalzusammenhang zwischen dem Sturz und dem Tod der Frau konnte nicht nachgewiesen werden», so der zuständige Staatsanwalt zu «Bluewin».

Zwei Jahre und eine stationäre Massnahme

Die Kausalität ist in der Schweizer Rechtsprechung ein immer wieder vieldiskutierter Bereich. Grundsätzlich geht es um den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Im konkreten Fall heisst das: Die Untersuchungsbehörden konnten nicht beweisen, dass der Stoss der Modeberaterin ursächlich für den Tod der Rentnerin war. Und weil die Todesursache somit nicht mit dem Fall zusammenhänge, könne die Staatsanwaltschaft dazu auch keine weiteren Angaben machen.

Die mutmassliche Täterin ist nicht geständig. Der Frau, die gemäss dem Amtsblatt des Kantons Bern seit Jahren stark verschuldet ist, droht dennoch eine Freiheitsstrafe. Beantragt sind zwei Jahre sowie eine Anordnung einer stationären Massnahme zur Behandlung einer psychischen Störung.

* Name der Redaktion bekannt.


«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
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