Samariter aus dem Maggiatal «Als wir die Helis hörten, war klar, dass etwas nicht stimmt»

Carlotta Henggeler

3.7.2024

Die Brücke bei Cevio wurde durch die reissende Maggia zerstört.
Die Brücke bei Cevio wurde durch die reissende Maggia zerstört.
Bild: Keystone

Als die Unwetter das Tessin verwüstet haben, standen die Samariter im Maggiatal an vorderster Front. Ein Augenzeuge schildert die dramatischen Ereignisse der ersten Stunden und Tage.

Carlotta Henggeler

3.7.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Tessiner Oscar Dadò ist Samariter in Cavergno im Maggiatal. 
  • Er schildert blue News seine ersten Eindrücke nach dem Unwetter im Tessin.
  • Der freiwillige Helfer Dadò hat einen grossen Wunsch: dass alle Vermissten bald gefunden werden. 

Wo waren Sie zum Zeitpunkt der Unwetter?

Zu Hause in Cavergno im Maggiatal.

Wann wurden Sie zum Einsatz gerufen?

Als Samariter-Sektion haben wir keine eigene Notrufnummer, wir arbeiten eng mit der Feuerwehr zusammen. Als uns um 9 Uhr morgens ein paar Informationen erreichten und wir begriffen haben, wie schwerwiegend die Auswirkungen der Katastrophe waren, haben wir uns bei der Feuerwehrzentrale in Cevio bereitgestellt.

Wie hat sich Ihr Einsatz gestaltet?

Wir eilten zum Ambulanz-Posten in Cevio. Wir haben die Samariter dort mit Material eingedeckt, weil die Brücke eingestürzt war und sie deshalb Dinge wie Verbandsmaterial, Decken oder Transportliegen nicht dabeihatten. Wir haben das Material von unserem Sitz in Cavergno organisiert. Danach haben wir die Touristen und Einwohner*innen ohne Obdach unterstützt.

Von dort aus haben Sie die wegen des Unwetters obdachlosen Menschen unterstützt?

Sie sind von sich allein zu Fuss nach Cevio gekommen, die Rega brachte Leute aus den Tälern. Von dort aus haben wir die Leute zusammen mit der Feuerwehr in die Sekundarschule gebracht, um dort – möglicherweise – die Nacht zu verbringen. Wir waren in der Lage, den Leuten in der Schule am Mittag eine erste Mahlzeit zukommen zu lassen. Am Abend wurde uns mitgeteilt, dass die Brücke zu Fuss wieder begehbar ist, und so sind die Leute wieder weiter.

Welches sind die grössten Herausforderungen wegen des Unwetters aus Ihrer Sicht?

Die Lage normalisiert sich langsam. Die Notfälle, die sich in der Nacht oder frühmorgens ereignet haben, sind alle schon mit der Rega hospitalisiert worden. Seitdem gab es keine neuen Notfälle. Unser Einsatz auf dieser Seite der Brücke für die Gemeinde von Cevio und die umliegenden Täler konzentriert sich darauf, bereit zu sein für weitere Einsätze in unserem Einzugsgebiet. Zurzeit ist es eher eine Nachkontrolle der Situation als ein Notfall. Das Spital mit dem Arzt ist in Betrieb. Momentan wird evaluiert, ob die Fussgängerbrücke auch von Autos befahren werden kann. Der Notfall ist 24 Stunden garantiert, mit Ambulanzen und Samaritern.

Sie haben vom ganzen Unwetter nichts mitbekommen?

Nein, weil die Region um Cavergno nicht wirklich betroffen war. Der Fluss im Val Bavona war stark angestiegen, er hatte unglaublich viel Wasser. Die Spitze des Hochwassers war wohl in der Nacht erreicht, weil wir das Gefühl hatten im Haus, dass alles bebt. Die Passerelle aus Eisen vor unserem Haus wurde weggespült. So wie andere Treppen in der Region auch. 

Wann haben Sie das Ausmass verstanden?

Als wir die Rega-Helikopter hörten, die um 1 Uhr morgens rein- und rausflogen von den Tälern, da habe ich kapiert, dass etwas nicht stimmen kann, etwas Grösseres passiert sein muss. Dass ein Helikopter mal das Val Bavona anfliegt, kann schon passieren. Aber nicht gleich zwei um diese Uhrzeit, da hat es Klick gemacht.

Samariter Oscar Dadò berichtet von seinem Einsatz auf LinkedIn. 
Samariter Oscar Dadò berichtet von seinem Einsatz auf LinkedIn. 
Bild: LinkedIn

Eine unbekannte Situation im Tessin?

Eine derart schwere Situation haben wir bisher im Tessin nicht gekannt. Murgänge und Erdrutsche gab es schon in der Vergangenheit, aber nie in dieser Grössenordnung. Aber zwei Täler, die gleichzeitig von schweren Murgängen verwüstet werden, das gab es noch nie.

Welche Hilfe braucht die Region am dringendsten?

Trinkwasser wird momentan in die Val Lavizzara geliefert, wir haben heute Morgen einen Lastwagen mit Wasser ausgeladen. Essen gibt es auch. Wasser konnten wir zudem in die Täler rauffliegen. Jetzt müssen wir evaluieren, wie wir die Strassen wieder öffnen können.

Nicht genau bekannt ist zurzeit die Situation oberhalb von Prato, da kann ich nichts dazu sagen. Die Leute dort sind isoliert, die haben – so weit ich weiss – nicht mal Elektrizität ganz oben auf dem Berg.

Wieder auf die Beine zu kommen, wird nicht einfach sein. Es sind zwei Täler verwüstet worden. Es gibt Menschen, die haben alles verloren.

Ein grosses Kompliment an alle Behörden, die mitgeholfen haben. Wir sind nur eine kleine Samariter-Sektion, die sich zur Verfügung gestellt hat. Die Feuerwehr ist gleich eingeschritten, war sehr schnell vor Ort und hat geholfen. Auch die Gemeinde mit allen Angestellten war voll dabei. Und die Bevölkerung hat tatkräftig mitgeholfen. Wer Sanitäter ist, hat Hand angelegt, um mit dem Wasser klarzukommen. Auch die Polizei hat Grosses geleistet. Ein ganz grosses Dankeschön an alle, die mitgeholfen haben.

Ihr grösster Wunsch?

Mein grösster Wunsch? Dass jetzt alle Vermissten gefunden werden!


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