Kunst des «Kanonen-Königs» Darum birgt die Sammlung von Emil G. Bührle Sprengstoff

Von Uz Rieger

9.11.2021

Werke aus der Sammlung Emil Bührle im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich.
Werke aus der Sammlung Emil Bührle im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich.
Bild: Keystone

Die Kunstsammlung des Waffenfabrikanten Emil G. Bührle im Zürcher Kunsthaus ist unter Experten einmal mehr Stein des Anstosses. Was hat es mit der Sammlung auf sich? Und wie lauten die Vorwürfe?

Von Uz Rieger

Was ist die Sammlung Bührle?

Bei der Sammlung E. G. Bührle handelt es sich um eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen der Welt. Sie geht auf den Unternehmer Emil Georg Bührle zurück und wurde von dessen Erben in eine Stiftung umgewandelt. Bis zum Jahr 2015 konnte ein grosser Teil der insgesamt 203 Bilder und Skulpturen in einem eigenen Haus in Zürich besichtigt werden.



Seit Oktober 2021 sind rund 170 Werke der Sammlung im vom Star-Architekten David Chipperfield entworfenen Nebengebäude des Kunsthauses Zürich zu sehen. Darunter befinden sich berühmte Gemälde alter Meister wie Rubens, Rembrandt oder Goya, Impressionisten wie Manet, Monet, van Gogh und Gaugin und Künstler der Moderne wie Chagall, Braque du Picasse, um nur einige zu nennen.

Wer war Emil G. Bührle?

Der gebürtige Deutsche Emil G. Bührle (1890–1956) war langjähriger Geschäftsführer und Mehrheitsaktionär der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon. Bührle, der 1937 die schweizerische Staatsbürgerschaft erhielt, sanierte das Unternehmen – und das nicht zuletzt, indem er Waffen produzierte und diese – mit dem ausdrücklichen Segen des Bundesrats – in grosser Zahl auch an Nazi-Deutschland und an das faschistische Italien lieferte.

Die hierbei erzielten Gewinne machten Bührle zum reichsten Schweizer. Dabei galt der Unternehmen nicht als Sympathisant der Nazis, wie die NZZ hervorhebt. Allerdings kannte er demnach in Geschäftsangelegenheiten auch wenig Skrupel. Bührle betätigte sich bereits während des Zweiten Weltkriegs als Mäzen – und musste sich schon damals seine indifferente Haltung bezüglich der Nationalsozialisten vorwerfen lassen: Das Zürcher Schauspielhaus lehnte im Jahr 1941 eine Zuwendung in Höhe von zwei Millionen Franken ab, mit der Begründung, man wolle kein «Blutgeld».

Was ist an der Sammlung problematisch?

Nicht nur die Tatsache, dass das Vermögen Bührles grossteils aus Waffengeschäften und hier mit den Nationalsozialisten und den italienischen Faschisten resultierte, stellt den Ankauf der Kunstwerke in ein schräges Licht.

Ebenfalls kritisiert wird, dass Bührle die meisten Stücke der Sammlung noch während des Zweiten Weltkriegs erworben hat. 13 der Werke wurden etwa als Raubkunst identifiziert. Sammler Bührle musste sie daraufhin wieder an die ursprünglichen Besitzer zurückgeben, kaufte später aber wieder neun von ihnen zurück. Haften bleibt zudem der Vorwurf, dass viele der ursprünglichen jüdischen Besitzer die Kunst in einer existenziellen Notlage und unter Wert verkauften.

Auch heftet am Geschäftsmann Bührle das Makel an, dass ihm in Dietfurt SG seit 1941 eine Spinnerei mit angeschlossenem Mädchenheim gehörte. Dort sollen junge Frauen gegen ihren Willen und einen Hungerlohn für den damals reichsten Schweizer gearbeitet haben und dessen Gewinn weiter maximiert haben, wie der «Beobachter» recherchiert hat. Historiker sehen darin eine auch damals in der Schweiz verbotene «Zwangsarbeit». Bis heute hätten die Frauen keine Entschuldigung erhalten.

Warum kommen die Vorwürfe jetzt?

Die Kritik an der Bührle-Sammlung ist alt und auch nie ganz verstummt. Laut wurde sie allerdings wieder im Zusammenhang mit dem Chipperfield-Neubau des Zürcher Kunsthauses und der damit verbundenen Frage nach den Intentionen und der Verantwortung des Museums.

Gerade der Neubau solle die Stadt Zürich als Kulturmetropole aufwerten, schreibt etwa die ARD. Allerdings seien dabei die notwendige Erinnerungskultur und die Forschungsfreiheit unter «den Druck einer neoliberalen Standortpolitik» geraten. So würden die Besucherinnen und Besucher des Kunsthauses in der Ausstellung selbst nicht darüber informiert, bei welchen Kunstwerken es sich um mögliches Fluchtgut handle. Zwar solle ein Dokumentationszentrum Bührles Geschichte aufarbeiten, doch das geschehe räumlich getrennt und im Mittelpunkt stehe eher der Sammler und Industrielle und weniger der fragwürdige Erwerb der Kunstwerke, wie auch der Schweizer Historiker Erich Keller, der Verfasser des Ende September erschienenen Buches «Das kontaminierte Museum. Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Bührle», kritisiert.

Eingeschaltet in die Diskussion haben sich jüngst auch ehemalige Mitglieder der Bergier-Kommission, die einen «Affront gegenüber potenziellen Opfern von Raubgut» sehen. Die Historikerinnen und Historiker hatten im Auftrag des Bundes vor rund 20 Jahren die Verstrickung der Schweiz mit dem NS-Regime aufgearbeitet. In einer Medienmitteilung von Sonntag, über die der «Tages-Anzeiger» berichtete, erklärten sie, sie hätten den Eindruck, dass die Stiftung und die Familie Bührle damals die «Unwahrheit» berichteten.

Sie fordern nun, dass die Geschichte der Kunstsammlung umfassend aufgearbeitet wird. Laut dem Historiker Jakob Tanner habe zudem gerade jetzt eine breite Öffentlichkeit verstanden, «dass einiges im Argen und die aktuelle Situation unhaltbar ist». Richtige Forderungen müsse «man immer erheben, dafür ist es nie zu spät», wird Tanner vom «Tages-Anzeiger» zitiert.

Wie geht es weiter?

Während Stadt und Kanton Zürich die Kritik begrüssen und weitere Forschungsarbeiten zur Sammlung fordern, ist es mehr als ungewiss, ob es jemals so weit kommen wird, vermutet der «Tages-Anzeiger»: Bei der Bührle-Stiftung sei man der Meinung, dass man die Herkunft der Kunstwerke bereits korrekt aufgearbeitet und die entsprechenden Informationen dazu auch weitergegeben habe. Beim Bund sehe man wegen «bis dato nur wenige strittige Einzelfälle» wenig Veranlassung für die Einrichtung einer unabhängigen Experten-Kommission zur Provenienzforschung.

Beim Kunsthaus Zürich sei man sogar regelrecht verärgert hinsichtlich der Forderungen. Hier weise man die Forderungen der Historiker deutlich zurück: Es scheine, als hätten diese den aktuellen Stand nicht intus und hätten ihre Medienmitteilung «vor zwei Jahren redigiert» und einen entsprechenden Experten-Bericht nicht zur Kenntnis genommen, schreibe das Kunsthaus in einer Stellungnahme. Zudem hätten Fachleute die Aufarbeitung der Bührle-Geschichte durch das Kunsthaus beurteilen und kommentieren können, noch bevor der Dokumentationsraum eingerichtet worden sei. Das letzte Wort in der Diskussion um die Sammlung dürfte damit noch längst nicht gesprochen sein.