Zürcher Kunsthaus Unbestritten ist nur, dass alles umstritten ist

Von Alex Rudolf

9.10.2021

Dieses Wochenende eröffnet das Zürcher Kunsthaus seinen Erweiterungsbau und wird damit zum grössten Kunstmuseum der Schweiz. Der Einzug der rund 200 Bilder des Waffenfabrikanten Emil Bührle wirft Schatten auf das Prestige-Projekt.

Von Alex Rudolf

Wie ein riesengrosser Tresor wirkt der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses vom Heimplatz aus gesehen – eine undurchdringbare Box mit streng geometrischen Formen. In den vergangenen Monaten zogen Kunstschätze in den 206-Millionen-Bau aus beigem Jurakalkstein. Am Samstag öffnet er seine Tore für die Öffentlichkeit.

Noch bevor die erste Besucher*in durch das goldene Eingangstor schreiten konnte, ist klar: Am Bau des britischen Architekten David Chipperfield scheiden sich die Geister. Die einen freuen sich über die vielen Quadratmeter, die die Kunst nun gleich gegenüber des Stammhauses erhält. Dank des neuen Gebäudes erhofft man sich mehr Besucher und neue Impulse für die angestaubte Zürcher Institution.

Für die anderen handelt es sich um einen Protz-Bau, der am falschen Ort steht, keinen städtebaulichen Bezug zu seinem Umfeld schafft und Kunst beherbergt, die umstrittener nicht sein könnte.

Mit dem Neubau, der über rund 5000 Quadratmeter Ausstellungsfläche verfügt, kann das Kunsthaus doppelt so viel Kunst zeigen wie vorher. Neben der eigenen Sammlung zeigt das Kunsthaus neu auch andere Sammlungen und übernimmt diese als Dauerleihgaben. Neben jenen von Hubert Looser und Werner Merzbacher stand jene von Emil Bührle im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Bevor 2008 ein bewaffneter Raubüberfall auf ein Privat-Museum im Stadtzürcher Seefeld die Bührle-Sammlung weltberühmt machte, war sie nur wenig bekannt. Dies änderte sich mit dem spektakulären Fall. Einige Bilder wurden innert weniger Tage noch in Zürich gefunden, andere vier Jahre später in Serbien. Die sechs damals erbeuteten Gemälde mit einem Gesamtwert von rund 180 Millionen Franken sind mittlerweile zurück im Besitz der Stiftung.

Geschäfte mit Nazi-Deutschland

Dass das Zürcher Kunsthaus insgesamt 203 Werke als Dauerleihgabe bis mindestens 2034 übernimmt, stösst aus zwei Gründen auf öffentliche Kritik. Einerseits machte Emil Bührle sein Vermögen mit dem Verkauf von Waffen, ab 1930 belieferte er auch Nazi-Deutschland. Am Geld, das für die Kunstwerke ausgegeben wurde, klebt das Blut von Millionen Menschen.

«Man fokussiert auf den Kunstgenuss ohne Störgeräusche.»

Die Verbindung zu Nazi-Deutschland ist aber weitaus grösser. Nicht nur machte Bührle sein Vermögen durch Geschäftsbeziehungen: Bei einigen Werken handelt es sich um Raubkunst, die Bührle nach Kriegsende zurückgeben musste (und teils anschliessend erneut erworben hatte). Vermutet wird, dass sich derzeit noch Bilder im Besitz der Sammlung befinden, die von jüdischen Flüchtlingen in Notlagen veräussert wurden.

Den Ursprüngen wollte die Stadt gemeinsam mit dem Kanton und der Bührle-Stiftung auf den Grund gehen und führte ein Untersuchung zur Herkunft der Werke durch. Ein an den Arbeiten beteiligter Historiker kritisierte aber im Nachgang, dass diese Untersuchungen keineswegs frei durchgeführt wurden. Zahlreiche Verbindungen zum Holocaust seien beschönigt worden, moniert er. Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) sagte im Rahmen eines Eröffnungs-Events für geladene Gäste, dass diese Untersuchungen Ausgangspunkt für weitere Forschung seien.

Wie geht das Kunsthaus damit um? In einem Dokumentationsraum setzt man sich mit der Entstehung der Sammlung auseinander und verweist auf die teils unklare Herkunft. Auch diese Handhabung wird kritisiert. Denn: «Es wird getrennt, was zusammengehört», sagt «SRF»-Kulturedaktorin Ellinor Landmann. So würden die Besuchenden nicht erfahren, wem welches Bild unter welchen Umständen gehört habe. «Man fokussiert auf den Kunstgenuss ohne Störgeräusche», sagt sie.

Der Vorwurf, das Kunsthaus habe taube Ohren für die Geschichte seiner Kunst, kann schon weit vor dem Einzug der Bührle-Sammlung gemacht werden. So war der 1956 verstorbene Bührle Mäzen des Kunsthauses und spendierte gar einen Anbau. Ein Saal ist nach ihm benannt.

Zürich
Wie findest du die Kunsthaus-Erweiterung?

Vergangene Woche erschien ein Buch zu diesem Thema. «Das kontaminierte Museum» des Historikers Erich Keller, der Teil des Forschungsprojekts der Universität Zürich war, das die Geschichte der Bührle-Sammlung aufarbeiten sollte. Im Buch «beschreibt er die Provenienz-Forschung der Stiftung Bührle, die sich gern internationaler Standards rühmt.» Dabei könne er zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Bilder von verfolgten Jüd*innen unter Zwang veräussert worden sein dürfte, schreibt die «WOZ» in einem Beitrag Ende September.

Nicht nur der Inhalt, auch die Form des neuen Kunsthauses wird kritisiert. Architekt Chipperfield ist zwar international angesehen, dennoch sei der Bau enttäuschend. Die «Republik» schreibt etwa, dass er überhaupt nicht einladend, sondern einschüchternd – nicht verbindend, sondern exklusiv wirke: «Statt eines Gesichts zeigt er die kalte Schulter.»

Die Qualität der Architektur liegt im Auge des Betrachters. So wird der Besucher-Andrang darüber entscheiden, ob der Chipperfield-Bau ein Erfolg ist. Mit pompösen Neubauten wollen in der Schweiz immer wieder Museen für Aufsehen sorgen und mehr Besucher*innen anlocken. 2016 weihte das Basler Kunstmuseum seinen Neubau der Architekten Christ und Gantenbein ein. Im gleichen Jahr vollendeten dieselben Architekten die Erweiterung des Landesmuseums in Zürch, drei Jahre später folgte der markante Neubau des Lausanner Kunstmuseums unweit des Bahnhofs.