Teufelskreis Das Eis der Erde schmilzt – mit katastrophalen Folgen

dpa

21.9.2019

Die Eisschmelze auf Grönland geht immer schneller und grossflächiger vonstatten.
Die Eisschmelze auf Grönland geht immer schneller und grossflächiger vonstatten.
Bild: EPA/Steffen M. Olsen/Danish Meteorological Institute/Keystone

Aufgrund der Erderhitzung dehnt sich das Meerwasser aus, die Eismassen schmelzen – und der Meeresspiegel steigt. Den Einfluss von CO2 auf Meer und Eis beleuchtet nun ein neuer Report.

Die Eismassen der Erde schmelzen immer schneller, der Meeresspiegel steigt mit zunehmender Geschwindigkeit und die Ozeane werden warm und sauer. New York plant neue Mauern gegen Überflutungen, die Fidschi-Inseln haben sogar schon einige Bewohner umgesiedelt.

Rund 100 Forscher haben die Auswirkungen der menschengemachten Treibhausgase auf Ozeane, Eis und somit auch auf Mensch und Natur für den Weltklimarat IPCC analysiert und ihre Erkenntnisse zu einem Report zusammengefasst. Seit dem 20. September debattieren sie mit Delegierten der IPCC-Mitgliedsstaaten über exakte Formulierungen, um den Report später in Monaco präsentieren zu können.

Die Ozeane mögen vielen Landbewohnern fern erscheinen – sie sind aber lebenswichtig, und zwar nicht nur als Nahrungsquelle: «Etwa 50 Prozent des Sauerstoffs, den wir atmen, werden im Meer gebildet», sagt Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) im deutschen Bremerhaven. Jeder zweite Atemzug eines Menschen stamme quasi daher. «Zudem spielen die Ozeane eine Schlüsselrolle im Klimasystem.»



Meeresbewohner wandern in die Polregionen ab

Das menschengemachte Kohlendioxid (CO2) erwärmt die Ozeane, macht sie sauer und führt zu geringeren Sauerstoffkonzentrationen. «Wir sprechen hier von einem tödlichen Trio», sagt Pörtner mit Blick auf das Leben in den Meeren. «Die Faktoren verstärken sich gegenseitig.» Sauer wird das Wasser, weil durch CO2 im Wasser Kohlensäure entsteht.

Wegen der Erwärmung der Ozeane wandern viele Meereslebewesen bereits in Richtung der kühleren Polregionen ab. Schon jetzt werde die hochspezifische arktische Tierwelt in einigen Regionen zurückgedrängt, mahnt Pörtner.

Es gebe zwar auch positive Tendenzen – so habe sich etwa der Dorsch in der russischen Barentssee vermehrt. «Wenn der CO2-Ausstoss jedoch fortschreitet, wird der Dorsch seine Laichgründe verlieren, denn die Eier und Larven sind besonders empfindlich gegenüber Wärme und die Versauerung steigert dies noch», sagt Pörtner mit Verweis auf Laborversuche. 

Versauerung hat bereits Folgen

Erste Effekte dieser Versauerung gebe es bereits. «Man sieht schon jetzt eine abnehmende Schalendicke zum Beispiel bei winzigen Flügelschnecken», erläutert Pörtner. Sie seien wichtige Nahrung für Fische wie etwa Lachse im Pazifik. «Gleichzeitig sehen wir einen Verlust von Sauerstoff.»

Zum einen nehme wärmeres Wasser weniger Sauerstoff auf, zum anderen mache die Erwärmung des oberen Wasserbereichs die Schichtung des Wassers stabiler, sodass den Fischen in den unteren Lagen nicht mehr so viel Sauerstoff zur Verfügung stehe.

Grönland, Kulusuk: Die Eismassen schmelzen.
Grönland, Kulusuk: Die Eismassen schmelzen.
Bild: AP Photo/Felipe Dana

Verheerende Eisschmelze

Im Sommer seien auf einigen Gletschern Grönlands bereits Gummistiefel nötig, erklärt Glaziologin Angelika Humbert vom AWI. Dort gebe es oft Schneematsch. 2012 sei erstmals seit Beginn der Satellitenbeobachtung Anfang der 90er-Jahre sogar die gesamte Oberfläche von Grönland aufgetaut – und die ist bis zu gut 3'000 Meter dick.

Das Wasser dringe in das Eisschild ein und bilde Wasserschichten (Aquifere), die die Eisschmelze wiederum beschleunigen könnten. «Die Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis verlieren an Masse und der Verlust beschleunigt sich. Das ist das Beunruhigende an der Sache.»

Die übrigen Gletscher der Erde schmelzen ebenfalls mit zunehmender Geschwindigkeit, weltweit verlieren sie laut einer Studie vom April jährlich rund 335 Milliarden Tonnen an Eis. Das lässt nicht nur den Meeresspiegel steigen – mit ihnen schwinden auch wichtige Wasserspeicher für Mensch und Natur.



Die Lösung: Schutzbauten?

Die Stadt New York möchte riesige Schutzbauten gegen Überflutungen von Manhattan und Staten Island errichten. Auf den Fidschi-Inseln sind Bewohner mehrerer Dörfer in höhere Gebiete gezogen. Gründe sind in beiden Fällen jedoch nicht nur der steigende Meeresspiegel, sondern auch zerstörerische Wirbelstürme. Auf Fidschi kam das Abholzen von Mangrovenwäldern hinzu, die ein bedeutender Küstenschutz sind. An der nordamerikanischen Atlantikküste und ausgerechnet auch bei den Tropeninseln steige der Meeresspiegel allerdings besonders rasch, sagt der Ozeanograph Detlef Stammer von der Universität im deutschen Hamburg.

Ursachen für Unterschiede im Anstieg seien etwa Meeresströmungen, Winde und Anhebungen des Ozeanbodens. Grönland und der angrenzende Meeresboden werden sich laut Stammer weiter erheben – um rund einen Meter bis 2100. Eine der Ursachen: Wegen der Eisschmelze laste weniger Gewicht auf Grönland. Das Wasser, das durch das Anheben verdrängt werde, fördere andernorts wieder den Meeresspiegelanstieg.

Der Meeresspiegel steigt nach Auskunft der Weltwetterorganisation WMO durch Eisschmelze und Wassererwärmung immer schneller: derzeit im Schnitt über drei Millimeter pro Jahr. Und das System sei träge, sagt Stammer. «Der Meeresspiegel wird etwa 1'000 Jahre weiter ansteigen, auch wenn wir heute die Temperaturerhöhung stoppen würden.»

Bilder wie diese gehören mittlerweile zur Normalität. Weltweit schmilzt das Eis.
Bilder wie diese gehören mittlerweile zur Normalität. Weltweit schmilzt das Eis.
Bild: Keystone/AP Photo/Greenpeace/Beltra

«Ein gigantisches Experiment»

Insgesamt sei der Meeresspiegel seit 1900 im globalen Durchschnitt schon um über 20 Zentimeter gestiegen, sagt Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung im norddeutschen Kiel. «Das klingt nach wenig, aber etwa bei Hurrikans ist es bedeutend, ob bestimmte Stadtflächen überflutet werden oder nicht», ergänzt der Ozeanograf.

Bis Ende des Jahrhunderts könnten es ein Meter oder mehr werden. Es gebe eine grosse Unsicherheit bei der Vorhersage. Latif sieht eine besondere Gefahr darin, dass sich die Eisschmelze auf Grönland oder in der Antarktis sehr beschleunigt, sich verselbstständigt und dann nicht mehr zu stoppen ist.

«Wir wissen nicht, ob solche Kipppunkte schon überschritten sind», sagt Latif. Es gebe zwar die Hoffnung, dass solche Punkte bei einer Erderwärmung von maximal 1,5 Grad noch nicht erreicht werden. Doch vieles dabei sei für den Menschen noch nicht abzusehen: «Wir führen ein gigantisches Experiment auf unserem Planeten aus.»

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