Gefangen auf hoher See Covid-19 lässt Handelsschiffe stranden

AP/toko

7.6.2020

Zehntausende Seeleute sitzen wegen der Corona-Pandemie auf Frachtschiffen fest.
Zehntausende Seeleute sitzen wegen der Corona-Pandemie auf Frachtschiffen fest.
Bild: Petros Giannakouris/AP/dpa (Symbolbild)

Zehntausende Seeleute weltweit sitzen wegen der Corona-Pandemie auf Frachtschiffen fest. An Bord liegen vielfach die Nerven blank. Gewerkschaften warnen vor Unfällen und Streiks.

Andrej Kogankow und seine Crew haben seit fast vier Monaten keinen Fuss mehr an Land gesetzt. Da die Coronavirus-Pandemie den globalen Reiseverkehr lahmgelegt hat, ist der russische Kapitän mit seinem Öltanker schon drei Monate länger auf See als geplant. Wann er wieder nach Hause kommen kann, weiss Kogankow noch immer nicht.

Länder weltweit haben Lockdowns verhängt, Grenzen geschlossen und internationale Flüge ausgesetzt, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Die Besatzungen von Handelsschiffen gehören zu den Leidtragenden.



Nach Angaben der International Chamber of Shipping sitzen etwa 150'000 Seeleute auf dem Meer fest und warten auf eine Ablösung. Rund 150'000 weitere sind an Land gestrandet und können nicht zurück an ihre Arbeit. Das könne nicht unbefristet so weitergehen, sagt ICS-Generalsekretär Guy Platten.

Da gemessen an der Menge mehr als 80 Prozent des Welthandels über den Seeweg abgewickelt werden, kommt den weltweit mehr als zwei Millionen Handelsseeleute hohe Bedeutung zu. «Sie werden wenig gesehen und wahrgenommen, aber sie sind dennoch absolut unverzichtbar für den Transport von Kraftstoffen, Lebensmitteln, Medizinbedarf und alle den anderen wichtigen Gütern des Welthandels», betont Platten.

Internationale Schifffahrtsorganisationen, Gewerkschaften und Unternehmen der Branche bemühen sich aktuell bei Regierungen darum, Handelsseeleute zur systemrelevanten Berufsgruppe zu erklären. Sie fordern für die Besatzungen die Erlaubnis, zu reisen und Crew-Wechsel vornehmen zu können.

80 Prozent des Welthandels werden über den Seeweg abgewickelt.
80 Prozent des Welthandels werden über den Seeweg abgewickelt.
Ingo Wagner/dpa (Symbolbild)

Steve Cotton, Generalsekretär der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF), sagt: «Man kann nicht erwarten, dass Leute persönliche Schutzausrüstungen, Medikamente und all die Dinge transportieren, die wir im Kampf gegen Covid-19 brauchen, und Städte und Länder im Lockdown versorgen, wenn man keine Fracht auf Schiffen transportiert.» Die Staaten müssten «das Opfer anerkennen, das Seeleute für unsere globale Sicherheit bringen».

Einer davon ist Kapitän Kogankow. Er hatte einen Vertrag über vier Monate, nun harrt er schon sieben Monate an Bord aus. Kogankow sollte eigentlich Mitte März in Katar abgelöst werden. Wenige Tage vor seiner Ankunft verhängte das Emirat aber einen Lockdown und verbot internationale Flüge.

Keine Flüge, keine Heimreise.

So fuhr der Öltanker von Katar nach Südkorea, Japan, wieder nach Südkorea, weiter nach Singapur und Thailand. Doch die Lage war überall dieselbe: Lockdown, keine Flüge, keine Heimreise.

Die Ungewissheit, die Verantwortung für seine 21-köpfige Crew und ein Schiff mit entflammbarer Fracht fordern ihren Tribut von Kogankow. «Nach sieben Monaten an Bord ist man körperlich und psychisch erschöpft», sagt er per Satellitentelefon aus Thailand. «Wir arbeiten rund um die Uhr. Wir haben keinen Freitag- oder Samstagabend und keine Wochenenden. Nein, das Schiff fährt die ganze Zeit.»

Auch Cotton zeigt sich besorgt über die Situation. Seine Gewerkschaft befürchtet, dass es angesichts der hohen Belastung vermehrt zu Unfällen an Bord kommen könnte, wie er sagt. Auch sei bereits ein hohes Mass an Frustration und Angstzuständen unter Besatzungsmitgliedern zu beobachten.

Es könne zermürbend sein, «nicht zu wissen, wann man von einem Schiff herunter kommt», sagt Cotton. Wenn keine Crew-Wechsel erlaubt würden, bestehe die Gefahr, dass Seeleute aus Protest zu drastischeren Massnahmen wie Streiks greifen könnten.

Lockdowns in mehreren Häfen hintereinander

Und es ist nicht nur die fehlende Aussicht auf eine Ablösung, die den Seeleuten während der Pandemie zu schaffen macht. Auch der Zugang zu ärztlicher Hilfe ist für sie schwierig geworden. Das musste etwa Kapitän Stephan Berger erfahren, als eines seiner Besatzungsmitglieder erkrankte – und zwar nicht an Corona.

Lockdowns in mehreren Häfen hintereinander machten es unmöglich, den Patienten zu einem Arzt zu bringen. Mehrere Anrufe und gemeinsame Bemühungen Bergers, der deutschen Reederei und eines Rettungssanitäters aus Dubai führten schliesslich dazu, dass der Mann versorgt werden konnte. Er verbrachte drei Wochen im Krankenhaus.

Von den 23 Menschen an Bord von Bergers Schiff «Berlin Express» erwarteten 18 ihre Ablösung, als sie Ende Mai im spanischen Valencia anlegten. Die Offiziere hatten ihren eigentlich auf drei Monate angelegten Einsatz schon auf vier oder fünf Monate verlängert. Die überwiegend philippinische Crew war seit acht oder neun statt drei oder vier Monaten an Bord.

«Manchmal fühlt es sich an wie ein Gefängnis»

Der Reederei Hapag-Lloyd gelang es schliesslich, dass die sieben europäischen Crewmitglieder am 30. Mai in Barcelona an Land gehen konnten. Für die Philippiner gibt es aber noch immer keine Heimflüge. «Manchmal fühlt es sich an wie ein Gefängnis», sagt Berger.

Die Seeleute arbeiteten sehr im Verborgenen. «Wir sind an Bord unserer Schiffe, und die Leute sehen vielleicht die grossen Schiffe in den Häfen kommen und gehen, aber die Menschen, die die Schiffe bedienen, sehen sie nur sehr selten», sagt der Kapitän. «Wir hoffen, dass die Leute uns jetzt ein bisschen mehr wahrnehmen.»

David Hammond, Gründer der Organisation Human Rights at Sea, sagt, viele Seefahrer seien wegen der Vertragsverlängerungen «wirklich am Ende ihrer Kraft». Solange es keine globale Zusammenarbeit unter den Staaten und den Schifffahrtsgesellschaften gebe, werde die Frage der Crew-Wechsel sehr problematisch bleiben.


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