7 Fakten zu Assads Vernichtungslager Retter finden Kinder und Frauen in geheimen Kammern

Philipp Dahm

10.12.2024

Retter finden Kinder und Frauen in geheime Kammern
1:57

Retter finden Kinder und Frauen in geheime Kammern

In Gruppen durchkämmen Retter das Militärgefängnis Saidnaya: Assads Folter-Knast entpuppt sich als Vernichtungslager mit geheimen Kammern im Untergrund, die von einem hochrangigen Nazi inspiriert sein könnten.

In Gruppen durchkämmen Retter das Militärgefängnis Saidnaya: Assads Folterknast entpuppt sich als Vernichtungslager mit geheimen Kammern im Untergrund, die von einem hochrangigen Nazi inspiriert sein könnten.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Mit dem Sturz Baschar al-Assad wurde auch das berüchtigte Militärgefängnis Saidnaya unweit von Damaskus befreit.
  • Hafiz al-Assad hat es 1986 für 10'000 bis 20'000 politische Gegner gebaut.
  • Seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 hat das Regime Saidnaya ausgiebig genutzt: Es gab Berichte über Exekutionen.
  • Nach Assads Sturz sind bis zu 50'000 Menschen dort befreit worden. Weil geheime unterirdische Kammern entdeckt worden sind, hält die Suche nach Inhaftierten an.
  • Die Inhaftierten kommen aus allen Schichten. Männer, Frauen, Kinder und Alte haben Saidnaya verlassen.
  • Nun ist klar, dass es systematische Folter, Vergewaltigungen und Exekutionen gegeben hat. Es gab auch ein Krematorium.
  • Der am Holocaust beteiligte Nazi Alois Brunner, der in Syrien gestorben ist, könnte den Bau der Anlage beeinflusst haben.
  • Die Verantwortlichen sollen zur Rechenschaft gewogen werden.

Mit dem Sturz von Syriens Diktator Baschar al-Assad wird auch das berüchtigte Militärgefängnis Saidnaya befreit: In der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember nehmen südliche Rebellengruppen – es sind Sunniten und Drusen – die Anlage ein, die 17 Kilometer nördlich von Damaskus liegt.

Was du darüber wissen musst, liest du hier in 7 Punkten nach.

Was ist das für ein Ort?

1986 baut der damalige Machthaber Hafiz al-Assad ein Gefängnis für Regimegegner, das Verteidigungsministerium und Militärpolizei führen. Es ist für 10'000 bis 20'000 Gefangene ausgelegt.

Zivile Personen werden im dreiflügeligen Gebäude und Militärangehörige in den weissen Gebäuden westlich davon untergebracht. Das 1400 Hektar grosse Areal wird durch insgesamt vier Sicherheitsringe geschützt.

Das Militärgefängnis Saidnaya von oben.
Das Militärgefängnis Saidnaya von oben.
Google Earth

1987 ziehen die ersten Häftlinge ein. Nach dem Tod seines Vaters im Juni 2000 wird Baschar al-Assad Präsident. Das Gefängnis scheint zunächst wenig ausgelastet: 2008 spricht der syrische Aktivist Ammar al-Qurabi von nur 1500 bis 2000 Insassen.

Wie wurde Saidnaya zum Folterknast?

Mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 2011 ändert sich auch die Rolle von Saidnaya: Ab 2016 gibt es die ersten Berichte über Massenhinrichtungen.

Im Mai 2017 werfen die USA Syrien vor, ein Krematorium auf dem Gelände zu betreiben, um Leichen zu beseitigen. Darauf würden Satellitenbilder hindeuten, weil auf dem Gebäude im Winter kein Schnee liege. Geklärt wird das Ganze zunächst nicht. Im Januar 2021 schätzen Aktivisten die Zahl der dort seit 2011 Getöteten auf 30'000.

Was wird zunächst vorgefunden?

Die Befreiung zeigt: Was mit Blick auf das Gefängnis befürchtet wurde, stimmt, und es ist offenbar noch viel schlimmer. Die Nachrichtenagentur dpa schreibt, dass geschätzt bis zu 50'000 Menschen in Saidnaya befreit worden sind.

Die Zivilschutzgruppe Weisshelme durchkämmt laut ihrem Leiter Raid Al Saleh das Gebiet mit fünf spezialisierten Notfallteams, um weitere Inhaftierte zu finden: Entdeckt haben sie dabei geheime Kammern unter dem Gefängnis, berichten Reporter der türkischen Nachrichtenagentur «Anadolu Ajansı».

Ehemalige Häftlinge unterstützen die Retter. Auch Geräuschsensoren und Hunde sind im Einsatz. Problematisch ist offenbar, dass elektronische Türen wegen fehlender Codes nicht geöffnet werden können: Einige Gefangene müssen unter grösster Anstrengung aus ihren Zellen herausgebohrt und -gehämmert werden.

Welche Schicksale gibt es?

Zehntausende.

Was viel über Saidnaya aussagt, ist der Ansturm der Familien auf das Gefängnis. Als die Nachricht von der Befreiung die Runde macht, strömen nicht nur jene, deren Verwandte dort einsitzen, dorthin, sondern auch all jene, die jemanden vermissen.

Es werden Menschen jedweden Alters und Herkunft befreit. Männer, Frauen. Auch Kinder. Und Alte. Sie sitzen mitunter seit Jahrzehnten ein und sind gezeichnet von Folter und Misshandlung. Die weiblichen Insassen wurden oft vergewaltigt und haben Kinder geboren, die nie Tageslicht oder einen Baum gesehen haben. Viele der Bilder kann man hier nicht zeigen. 

Ein Befreiter kann sein Glück kaum fassen: «Unsere Exekution war vor einer halben Stunde angesetzt. 54 Leute ...», wird er zitiert. «Unsere Exekution war heute!»

Was zeigt der zweite Blick?

Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass hinter der unmenschlichen Grausamkeit System steckt. Es gibt Dutzende Videos, die Befreite zeigen, die deutliche physische wie psychische Spuren von Folter zeigen, die schwer zu ertragen sind.

Die Überwachung der Gefangenen war offenbar allgegenwärtig.

Exekutionen sind an der Tagesordnung gewesen, zeigen Daten und Videos. Die Häftlinge wurden in Massengräbern erschossen oder anderweitig getötet und verbrannt. «Es gab Leichen in den Öfen. Es war absurd, was wir miterlebt haben, und dieses Verhalten ist gegen die Menschlichkeit», sagte Weisshelm Al Saleh dem Nachrichtensender Al-Dschasira.

Was hat Assad von den Nazis gelernt?

Die Bilder von Saidnaya erinnern viele Kommentatoren an die Konzentrationslager des «Dritten Reichs». Tatsächlich könnte das Militärgefängnis von einem Nazi inspiriert worden sein: Alois Brunner. Als SS-Hauptsturmführer und Vertrauter von Adolf Eichmann war er massgeblich an der Planung und Durchführung des Holocausts beteiligt.

Brunner war 1954 aus Westdeutschland geflohen, bevor er in Syrien landete und als Berater für die Regierung gearbeitet hat. In welcher Sache er Damaskus beraten hat, ist nicht bekannt. Brunner ist entweder 2001 oder 2010 in der syrischen Hauptstadt gestorben, wird vermutet.

Wie geht es nun weiter?

Die Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) will die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere in Syrien namentlich in einer Liste nennen und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen.

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Im Militärgefängnis Saidnaja befinden sich nach dem Sturz der syrischen Regierung keine Gefangenen mehr. Laut dem Leiter der Weisshelme, Raid Al Saleh, sollen insgesamt rund 150.000 Menschen inhaftiert gewesen sein. Unter ihnen waren laut der Organisation Tausende unschuldige Zivilisten inhaftiert.

10.12.2024

«Wir werden jedem Belohnungen anbieten, der Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellt, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren», teilte HTS-Anführer Ahmed al-Scharaa mit, der zuvor mit seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Dschulani auftrat. In einer ersten Liste sollten die Namen der ranghöchsten beteiligten Ex-Offiziere veröffentlicht werden.

Weiter hiess es in der Erklärung: «Wir werden nicht zögern, die Kriminellen, Mörder, Sicherheits- und Armeeoffiziere zur Rechenschaft zu ziehen, die an der Folter des syrischen Volks beteiligt waren. Wir werden Kriegsverbrecher verfolgen und Länder, in die sie geflohen sind, um deren Überstellung bitten.»

Mit Material von dpa.


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