Gleichstellung«Corona zeigt, wie unverzichtbar Pflege- und Care-Arbeit sind»
Von Julia Käser
17.6.2020
Die Corona-Krise macht sichtbar: Unbezahlte Arbeit wird (zu) oft von Frauen erledigt. Nun widmet sich der Nationalrat dem Thema. Sechs Jungpolitiker erzählen, wie sie betroffen sind – und was sich in Zukunft ändern muss.
Am Donnerstag führt der Nationalrat eine aktuelle Debatte zur Gleichstellung und Vereinbarkeit nach der Corona-Krise. Gefordert werden unter anderem der Ausbau von familienexterner Kinderbetreuung, eine umfassende Prävention von Gewalt gegen Frauen sowie würdige Arbeitsbedingungen für Haushaltshilfen.
Wie die GLP-Fraktion schreibt, habe die Krisensituation junge Familien speziell belastet und verdeutlicht, dass «bei der Gleichstellung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf enormer Handlungsbedarf besteht».
«Bluewin» hat bei Jungpolitikerinnen und Jungpolitikern nachgefragt, wie das Thema ihren Alltag tangiert – und was sie auf politischer Ebene künftig verändern wollen.
Matthias Müller, Präsident Jungfreisinnige
«Gleichstellung war schon lange vor Corona ein Thema und ist auch jetzt aktuell», sagt Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen. Weil während der Krise viel Homeoffice gemacht worden sei und es wenig familienexterne Kinderbetreuung gegeben habe, hätten die Männer im Haushalt mehr mit angepackt. «Das klassische Familienmodell und die traditionelle Rollenverteilung gelten in meiner Generation aber ohnehin immer seltener.»
So sind schlecht bezahlte Berufe und mangelhafte Arbeitsbedingungen laut Müller denn auch kein rein weibliches Phänomen. «In meinem Umfeld gibt es sehr viele Frauen mit spannenden und gut entlohnten Jobs.» Handlungsbedarf erkennt er hingegen bei der externen Kinderbetreuung, diese sei entscheidend für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
«Jedoch braucht es hierbei keine staatlichen Eingriffe, sondern den Abbau der absurden Bürokratie für private Kita-Betreiber», bilanziert der Jungpolitiker. Diese Überregulierung müsse politisch angegangen werden.
Weiter unterstützt Müller die von der GLP geforderte Verbesserung der Arbeitsanreize für Zweiteinkommen. «Dabei handelt es sich um nichts anderes als die Individualbesteuerung, die seit Langem eine Forderung der Jungfreisinnigen ist.»
Julia Küng, Co-Präsidentin Junge Grüne
Julia Küng, Co-Präsidentin der Jungen Grünen, setzt sich schon lange mit Gleichstellung auseinander. Dennoch sei sie erschrocken, als sie für das Frauenstreik-Kollektiv Zug angesichts der Krise vertiefter nachgeforscht habe. «Gespräche mit Pflegefachfrauen und ausführliche Recherchen zu häuslicher Gewalt haben mir gezeigt, wie tief die Ungleichheit in unserer Gesellschaft verwurzelt ist.»
Zwar wisse die Mehrheit der Bevölkerung, dass Gleichstellung noch nicht zu 100 Prozent realisiert sei, die Tragweite des Problems wird laut Küng aber meist verkannt. Sie hofft, dass die Krise das Bewusstsein vieler nun geschärft hat – etwa in Bezug auf die typischen «Frauenberufe». Deren Aufwertung sei zwingend nötig. «Corona hat verdeutlicht, wie unverzichtbar Pflege- und Care-Arbeit sind, wenn es hart auf hart kommt.»
Sie selbst sei gerade im Lockdown sehr dankbar dafür gewesen, ein Zuhause zu haben, in dem respektvoll miteinander umgegangen und kommuniziert werde. «Für viele, speziell für Frauen, ist das Zuhause leider kein sicherer Ort – und da müssen wir helfen.»
Küng erklärt: «Die Dunkelziffer ist bei häuslicher Gewalt sehr gross. Weil sie sich schämen, holen viele Betroffene keine Hilfe.» Das müsse geändert werden, etwa mit Aufklärungsarbeit in der Schule, öffentlichen Kampagnen und dem Ausbau von Anlaufstellen für Gewaltbetroffene.
David Trachsel, Präsident der Jungen SVP
Kein Verständnis für die aktuelle Debatte hat David Trachsel, JSVP-Präsident: «Dass man jetzt sogar die Corona-Krise nutzt, um den Geschlechterkampf zu befeuern, finde ich befremdend.» Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen erlebt der Jungpolitiker auch am Arbeitsplatz als sehr ausgeglichen und entspannt.
Aus der Krise ziehe er deshalb anderweitig Lehren. Wie wertvoll und vergänglich unsere Freiheiten seien zum Beispiel – und wie lohnenswert Krisenvorsorge sowie Sparsamkeit in guten Zeiten.
In Bezug auf die aktuellen politischen Forderungen spricht Trachsel von der «klassischen linken Doppelmoral». So werde nun wiederholt über Gewalt gegenüber Frauen gesprochen, gleichzeitig habe sich die linke Seite jüngst dagegengestellt, Vergewaltigungsdelikte härter zu bestrafen. «Auf der Strasse die bösen Männer beschimpfen und hinterher schlimmste Gewalt in Schutz nehmen», fasst er zusammen.
Handlungsbedarf sieht Trachsel vorwiegend an einem Punkt: «Damit Leute mit Teilzeitpensum genügend abgesichert sind, muss man geringere Vermögen in der Pensionskasse stärker einbeziehen.» Die JSVP fordere, dies in die Revision der beruflichen Vorsorge einzubeziehen.
Ronja Jansen, Präsidentin Juso
Ronja Jansen, Juso-Präsidentin, hingegen begrüsst die Debatte im Parlament. «Wichtig ist aber, dass nicht nur die bezahlte Arbeit, sondern auch die unbezahlte Arbeit gerechter verteilt wird.» Die Juso setze sich schon lange dafür ein, dass auch Care-Arbeit als «richtige Arbeit» anerkannt werde.
Laut Jansen hat die Krise die tragende Rolle der Care-Arbeit in unserem Zusammenleben ans Licht gebracht. «Deshalb muss sie künftig auch in der Wirtschaft ins Zentrum gerückt werden.» Es könne nicht sein, dass sich die Pflegenden mit Applaus begnügen müssten, während andere Branchen mit grossen Beträgen gerettet worden seien.
Weiter, so Jansen, sei nochmals klar geworden, dass die Finanzierung der externen Kinderbetreuung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei – und keine familieninterne. «Gratis-Kitas sollten allen zur Verfügung stehen.»
Mit solchen Vereinbarkeitsaspekten ist die Jungpolitikerin auch in ihrem Alltag konfrontiert. Regelmässig beobachte sie, wie etwa Freundinnen mit alten Rollenmustern konfrontiert würden, sobald sie mit einem Partner zusammenlebten: «Noch immer sind es die jungen Frauen und nicht die Männer, die scheinbar die Wahl haben zwischen Karriere und Familie.»
Sarah Bünter, Präsidentin Junge CVP
Allein wegen der Corona-Krise das ganze System umzukrempeln, findet Sarah Bünter, Präsidentin der JCVP, falsch. Solche Notsituationen würden stets von ausserordentlichen Schwierigkeiten begleitet. Wichtig sei hingegen, aus der Krise gezogene Lehren in geplante Reformen einzubeziehen und diese mit einer langfristigen Perspektive anzupassen.
Punkto Familienpolitik sei vor allem die kommende Abstimmung entscheidend. Nebst der Vorlage zu Steuerabzügen für Kinder befürwortet die JCVP auch einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. «Ausländische Studien zeigen, dass Familien, in denen der Vater einen Urlaub bezieht, mit der Vereinbarkeit später weniger Probleme haben», führt Bünter aus.
Grundlegend für Gleichstellung und Vereinbarkeit seien die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. «Der Staat sollte den Familien nicht vorgeben, welches Modell sie zu leben haben, aber er sollte sicherstellen, dass alle frei wählen können.»
Schliesslich spricht die Jungpolitikerin vom bedeutsamen Zusammenhalt der Generationen, der in der Krise ins Zentrum gerückt sei. «Die Jungen haben sich auch zum Schutz der älteren Generation an bestimmte Massnahmen halten müssen. Das erfordert Rücksicht und Solidarität.» Nachbarschaftshilfe, aber auch Generationenprojekte wie die Zeitvorsorge in St. Gallen sollten laut Bünter künftig mehr Gewicht erhalten.
Tobias Vögeli, Co-Präsident der Jungen Grünliberalen
Tobias Vögeli, Co-Präsident der GLP, erkennt punkto Vereinbarkeit mehrfach Handlungsbedarf – auch wenn sich die Rollenbilder im Gegensatz zu früher verändert hätten. «Gut ausgebildete Leute müssen wir auch dann auf dem Arbeitsmarkt halten können, wenn sie eine Familie gründen.» Dazu müsse die Politik bestimmte Rahmenbedingungen schaffen.
«In den letzten Wochen hat sich erneut gezeigt, welch grosse Aufgabe die Kinderbetreuung ist», so Vögeli. Anders als Jansen lehnt er Gratis-Kitas aber ab. «Können sich Eltern einen Kitaplatz leisten, sollen sich an den Kosten beteiligen.» Die restlichen Familien hingegen hätten ein Anrecht auf volle staatliche Unterstützung, etwa in Form von Betreuungsgutscheinen.
Zudem würden steuertechnisch noch immer falsche Anreize geschaffen. Durch die gemeinsame Besteuerung von Paaren würden Frauen gewissermassen «bestraft», wenn sie einem Zweiterwerb nachgingen. «Eine Studie von Avenir Suisse hat gezeigt, dass die Individualbesteuerung hier Abhilfe schaffen könnte», weiss der Jungpolitiker.
Im Hinblick auf die Abstimmung vom September sagt er: «Nach Corona sollte man die Prioritätensetzung der Vereinbarkeitsmassnahmen noch einmal überdenken. Die 370 Millionen Franken, die für die Kinderabzüge ausgegeben würden, würden dann an einem sinnvolleren Ort fehlen.»