Sanija Ameti von der Operation Libero«Wir wünschen der FDP viel Glück, obschon ihre Chancen gering sind»
Von Alex Rudolf
16.1.2022
Sanija Ameti von der Operation Libero : «Wir wünschen der FDP viel Glück, obschon ihre Chancen gering sind»
Geht es um die Beziehung der Schweiz zur EU, ist Sanija Ameti eine Meinungsmacherin. Die Co-Präsidentin der Operation Libero erklärt ihren Kampf gegen konservative Kreise und für eine Beteiligung der Schweiz in Europa.
14.01.2022
Geht es um die Beziehung der Schweiz zur EU, ist Sanija Ameti eine Meinungsmacherin. Die Co-Präsidentin der Operation Libero erklärt ihren Kampf gegen konservative Kreise und für eine Beteiligung der Schweiz in Europa.
Von Alex Rudolf
16.01.2022, 00:00
16.01.2022, 09:15
Alex Rudolf
«Das hier sind die Bundesräte bei den Verhandlungen mit der EU», sagt Sanija Ameti, Präsidentin der Operation Libero, und zeigt auf ihre Krawatte, die sie zwischen ihren Fingern dehnt. Darauf zu sehen sind Donald Duck, Daisy und weitere Charaktere aus dem Disney-Universum. «Und das hier» – sie zeigt auf Dagobert, der gerade einen Schreikrampf hat – «sind wir, das Stimmvolk.»
Dass Ameti um die Macht der Bilder weiss und gekonnt damit spielt, zeigt sich nicht nur auf ihrem Instagram-Profil, sondern auch am Interviewtermin mit blue News. Über die vergangenen Monate wurde Operation Libero zu einer gewichtigen Stimme, wenn es um die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU geht: Ihr Ziel ist die Sicherung und Weiterentwicklung der Bilateralen.
Frau Ameti, Sie sagten jüngst, dass wer die Abhängigkeit der Schweiz von der EU leugne, in einem Disneyland der Selbstlüge lebe. Wen meinen Sie damit?
Hauptsächlich jene Rechtskonservative, die für das Scheitern des Rahmenabkommens verantwortlich sind und den Billionaire-Boys-Club von Konrad Hummler und Fredy Gantner. Sie wollen unter dem Vorwand der Souveränität die Bilateralen durch ein Freihandelsabkommen ersetzen.
Zur Person
Fabienne Berner
Die Juristin Sanija Ameti ist 28 Jahre alt und doktoriert an der Universität Bern in Cyber Law. Der breiten Öffentlichkeit wurde sie bekannt, als sie sich im vergangenen Frühling im Kampf gegen das Anti-Terror-Gesetz engagiert hatte. Im Oktober wurde sie zur Co-Präsidentin der Operation Libero gewählt, am 13. Februar will sie für die Stadtzürcher Grünliberalen in den Gemeinderat einziehen.
Was wäre daran so schlimm?
Der Zugang zum EU-Binnenmarkt wäre nicht gesichert. Diese Kreise pochen auf eine Souveränität der Schweiz, die in den 1960er-Jahren steckengeblieben ist. Die grösste Selbstlüge ist der autonome Nachvollzug von EU-Gesetzen, der eine Souveränität vortäuscht, die wir schon lange verloren haben. Die Staaten sind heute vernetzter und abhängiger voneinander. Souveränität heisst im 21. Jahrhundert Handlungsfähigkeit. Die Schweiz muss ihre Interessen im kontinentalen Gesetzgebungsprozess einbringen können. Denn an diese Regeln wird sie sich so oder so halten müssen, wenn sie wirtschaftlich mitmachen und im Wettbewerb mithalten will.
Würde auch Grossbritannien besser dastehen, wenn das Land in der EU geblieben wäre?
Ja. Dort muss man nach dem Brexit nun feststellen, dass eine vermeintliche Autonomie von der EU auf dem Papier überhaupt keine Rolle spielt. Die wirtschaftlichen, politischen und geografischen Abhängigkeiten von der EU lassen sich nicht vertraglich ändern. Sie sind eine Realität – und die Briten zahlen jetzt den Preis für ihre Selbstlüge.
Diese zeigt das Problem beispielhaft. In der Schweiz machen wir uns vor, dass wir unseren eigenen Strom produzieren könnten, dazu müssten wir nur mehr Kraftwerke bauen. Aber das stimmt nicht. Ein Kraftwerk braucht im Umkreis von 200 Kilometern Verstärker und drei Leitungen. Mindestens eine, wenn nicht gar zwei dieser Leitungen gehen über unsere EU-Nachbarländer, mit denen die Schweiz die Stromkapazitäten reguliert. Diese Kapazitätsallokation setzt aber Marktzugang in der EU voraus. Und den Marktzugang bekommt man nur mit einem Stromabkommen mit der EU.
Nach dem Abbruch der Verhandlungen des Bundesrats mit der EU herrschte erst Ratlosigkeit. Nun kommen allmählich Ideen. Beispielsweise jene der FDP, wonach sektoriell verhandelt werden soll.
Dieses Vorgehen wird seit 2009 immer wieder vorgeschlagen und aufs Neue verworfen. Wir wünschen der FDP viel Glück, obschon ihre Erfolgschancen gering sind: Denn die Verhandlung wird mit dem wichtigsten Sektor beginnen, der Personenfreizügigkeit.
Und dort werden sich alle Probleme, die beim Rahmenabkommen nicht gelöst wurden, wieder stellen. Nach dieser verlorenen Zeit werden die Bilateralen nicht mehr zu retten sein und drohen durch ein blosses Freihandelsabkommen ersetzt zu werden. Wenn die FDP unsere Teilhabe am Binnenmarkt sichern will, muss sie sich jetzt gegen diese Idee wenden.
Nationalrät*innen von Mitte-Links wollten im Dezember eine Erhöhung der Kohäsionsmilliarde als positives Zeichen an die EU erfolglos durch das Parlament bringen. Ist sie ein geeignetes Mittel?
Die Kohäsionsmilliarde ist nett, aber sie ist nicht mehr als Pflästerlipolitik. Die grossen Streitfragen bei der Unionsbürgerrichtlinie, der Rolle des Europäischen Gerichtshofs und den flankierenden Massnahmen bleiben bestehen. Es wäre viel zielführender, ein Infrastruktur- und Kohäsionsabkommen mit der EU abzuschliessen.
So können wir uns direkt an transeuropäischen Projekten etwa für die Energiewende und die Digitalisierung beteiligen. Diese sind für unseren Wirtschaftsstandort zentral. Dies, statt nach dem Giesskannenprinzip ausschliesslich Kleinprojekte in Osteuropa zu finanzieren.
Auch Sie sind nicht untätig: Die Operation Libero entwirft derzeit gemeinsam mit den Grünen eine Initiative, mithilfe derer die Beziehungen zur EU geregelt werden sollen.
Wir wollen mit der Initiative nicht das Mittel vorgeben, sondern das Ziel definieren. Dieses Ziel ist die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge hin zu einem institutionellen Abkommen. Dieses soll ermöglichen, neue Abkommen mit der EU zu schliessen, etwa Strom- und weitere Infrastruktur-Abkommen in der Digitalisierung. Und natürlich: ein Freihandelsabkommen abwenden.
Stehlen Sie sich nicht aus der Verantwortung, wenn Sie das Ziel vorgeben, ohne einen Lösungsweg vorzuschlagen?
Nein. Wenn es nach uns ginge, wäre das Rahmenabkommen der Lösungsweg gewesen. Der Bundesrat hat es begraben, ohne Parlament oder Volk zu fragen. Es liegt jetzt in seiner Verantwortung, einen neuen Lösungsweg zu präsentieren, der ihm passt. Das Ziel aber soll das Volk mit der Initiative diesmal verbindlich festlegen.
Dass der Bundesrat die Gespräche abgebrochen hat, können Sie nicht nachvollziehen: Wird bei Verhandlungen eine Schmerzgrenze überschritten, muss diese doch gestoppt werden?
Nein, das verstehen wir in der Tat nicht. Ist man unzufrieden mit dem Ergebnis einer Verhandlung, verhandelt man weiter und weiter und weiter. Aber man verlässt nicht den Tisch. Das weiss jede Diplomat*in. Schon gar nicht hätte der Bundesrat die Lösung des grössten strukturellen Problems des Landes abbrechen dürfen, ohne sich demokratisch abzusichern.
Die Gegner des Rahmenabkommens monieren, es hätte vor dem Volk keine Chance gehabt.
Diese freihändige Behauptung entspricht nicht der Wahrheit: Laut Umfragen sprachen sich letztes Jahr 64 Prozent für das Rahmenabkommen aus und dieses Jahr wurde diese Zustimmung in erneuten Umfragen wieder bestätigt.
Denken Sie, die Schweiz ist in 15 Jahren Mitglied der EU?
Es gibt zahlreiche Abhandlungen, die sich mit den Vor- und Nachteilen eines Beitritts befassen. Darüber zu sprechen, was in 15 Jahren sein könnte, ist wie schwimmen an Land – zwecklos.