Interview Daniel Koch: «Die Fallzahlen sind momentan viel zu hoch»

Von Jennifer Furer

28.7.2020

Daniel Koch sagt im Interview, dass uns im Herbst und Winter eine zweite Welle bevorsteht, wenn wir jetzt nicht handeln.
Daniel Koch sagt im Interview, dass uns im Herbst und Winter eine zweite Welle bevorsteht, wenn wir jetzt nicht handeln.
Keystone/Allesandro della Valle

Daniel Koch war bis Mai Covid-19-Delegierter des Bundes. Noch immer verfolgt er die Situation mit Argusaugen. Im Interview spricht er über die Maskenpflicht, eine mögliche zweite Welle – und über Alain Berset. 

Herr Koch, fahren Sie in die Sommerferien?

Nein, ich habe erstens keine Zeit und zweitens auch gar nichts geplant.

Einige Ausflüge in der Schweiz liegen aber schon drin?

Ich wohne sehr nahe an den Bergen und geniesse die Zeit hier mit meinen Hunden. Da ich ein paar Einladungen habe, treibt es mich aber ein-, zweimal etwas weiter weg in die Berge.

Anders als Sie reisen Schweizerinnen und Schweizer derzeit im Inland umher. Einige zieht es auch ins Ausland. Es wird deshalb befürchtet, dass es zu einem Wiederanstieg der Ansteckungen nach den Sommerferien kommt.

Es ist eine schwierige Situation, in der wir uns befinden. Je mehr Leute sich bewegen, umso grösser ist die Gefahr, dass sich Leute anstecken. Noch sind die Zahlen nicht so hoch, dass wir uns in einer zweiten Welle befinden. Aber sie sind definitiv zu hoch.

Steht uns eine zweite Welle bevor?

Das Risiko ist sehr gross, dass die Fallzahlen im Herbst oder Winter wieder massiv ansteigen. Selbst wenn sie auf dem jetzigen Stand bleiben, laufen wir Gefahr, viele Infizierte nicht zu erkennen, die das Virus ungehindert weiterverbreiten können.

Wieso?

Weil sich alle Menschen mit Symptomen testen lassen müssten. Das funktioniert selbst jetzt noch nicht. Im Herbst und Winter könnte sich die Situation verschärfen, weil Corona-Symptome womöglich nicht als solche wahrgenommen werden. Hinzu kommt, dass momentan vieles dafür und wenig dagegen spricht, dass sich das Virus bei feuchten und kalten Wetterbedingungen leichter überträgt.

Was muss jetzt getan werden?

Es ist möglich, dass im Herbst und Winter eine zweite Welle verhindert werden kann. Das zeigt Neuseeland. Dort werden nur wenige Fälle verzeichnet, obwohl dort jetzt Winter herrscht. Wir müssen wie Neuseeland jetzt die Fallzahlen runterkriegen und die Infektionsketten unter Kontrolle bringen. Das ist sehr aufwendig und kostet viel Geld.

Wieso?

Weil wir viel mehr testen müssen.

Warum geschieht das jetzt noch nicht?

Im Moment sind die Hürden, sich testen zu lassen, zu hoch: Man muss sich beim Arzt oder Spital anmelden und dann dort hingehen. Das ist relativ aufwendig. Wenn eine Person nur leichte Symptome hat, besteht die Gefahr, dass sie sich nicht testen lässt – oder erst viel zu spät, wenn die Symptome sich verschlimmert haben. Dabei geht viel Zeit verloren. Es ist so sehr schwierig oder in manchen Fällen praktisch kaum mehr möglich, Kontakte nachzuverfolgen und diese unter Quarantäne zu stellen. Testen muss einfacher werden. So einfach, wie sich ein Gipfeli zum Zmorge zu kaufen.

Daniel Koch kritisiert, dass das Testen momentan zu aufwendig sei. Er schlägt vor, einen Test für zu Hause einzuführen.
Daniel Koch kritisiert, dass das Testen momentan zu aufwendig sei. Er schlägt vor, einen Test für zu Hause einzuführen.
dpa-Zentralbild

Was müsste sich konkret ändern?

Es gibt verschiedene denkbare Lösungen, wie man dem Problem entgegenwirken kann. Ich stelle mir etwa mobile Testzentren oder Drive-ins vor. Es wäre auch möglich, dass man die Probeentnahme für den Test zu Hause selbst macht.

Wie kann das funktionieren?

Nasenabstriche müssen professionell erfolgen. Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit, mittel Rachenabstrich zu testen. Diese Methode ist zwar etwas weniger gut, es ist aber dennoch besser, als gar nicht zu testen.

Nasenabstriche zu nehmen ist ziemlich unangenehm. Wie ist das beim Rachenabstrich?

Man muss das Stäbchen so weit in den Rachen stossen, dass der Brechreiz ausgelöst wird.

Studien belegen, dass Menschen ohne Symptome mitunter gefährliche Superspreader sind. Sollten in dem Fall nicht alle getestet werden – unabhängig ob sie Symptome haben oder nicht?

Es ist so, dass das Virus bereits zwei Tage, bevor man krank wird, ausgeschieden werden kann. Die Infektionskette in diesen zwei Tagen nachzuverfolgen, ist machbar. Deshalb bringt es nichts, jetzt wild umherzutesten. Aber es ist zentral, dass bei Menschen mit leichten Symptomen schnell ein Test durchgeführt wird.

Wieso?

Wenn diese eine Woche warten und sich erst testen lassen, wenn sie wirklich krank sind, haben sie womöglich schon zig Menschen angesteckt. Diese Infektionskette nachzuverfolgen, ist dann kaum mehr möglich.

Viele gehen womöglich nicht zum Arzt, weil sie glauben, ihr Fall sei nur eine Bagatelle.

Das ist eben falsch. Es geht hier nicht um den einzelnen Patienten. Es spielt keine Rolle, ob die Symptome leicht oder schwer sind. Es geht nur darum, das Virus früh zu erkennen.

Hat der Bund die Leute dafür genug sensibilisiert? Oder bräuchte es hier etwa eine nationale Kampagne, die zum Testen auch bei leichten Symptomen ausruft?

Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen, sondern jene der Behörden. Es wäre aber sinnvoll, in diese Richtung zu gehen.

Wird im Moment ungenügend informiert?

Ich stelle nur fest, dass im Moment zu spät und zu wenig getestet wird. Es wäre falsch, wenn ich die Arbeit des Bundes beurteilen würde. Das liegt mir nicht.

Sie sind sehr diplomatisch.

Ich würde nicht von Diplomatie sprechen. Die Fachleute des Bundes sind durchaus fähig, die Situation zu beurteilen.

Was würden Sie Gesundheitsminister Alain Berset jetzt raten?

Die Leute müssen motiviert und informiert werden. Es funktioniert nicht, wenn die Bevölkerung jetzt einfach Befehle entgegennimmt. Es muss gelingen, sie zu überzeugen, richtig zu handeln, sprich die Abstand- und die Hygieneregeln einzuhalten. Und das Wichtigste: Die Regeln für den Umgang mit dem Coronavirus müssen möglichst einfach sein.

Einfach wäre, überall eine Maskenpflicht einzuführen.

Es ist sinnvoll, dort Masken zu tragen, wo der Abstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann.

Umfrage
Befürworten Sie eine Ausweitung der Maskenpflicht?

Sie befürworten also keine generelle Maskenpflicht?

Es ist fatal, wenn man glaubt, dass Masken das Problem lösen. Es ist wichtig, dass die Leute wissen, was die Möglichkeiten und Grenzen sind. Masken sind nämlich keine Garantie, nicht angesteckt zu werden oder andere anzustecken.

Die Corona-Taskforce des Bundes empfiehlt aber eine Ausweitung der Maskenpflicht.

Masken können helfen, sie können die Infektionsrate drücken. Das allein reicht aber nicht, um das Coronavirus in den Griff zu bekommen.

Sondern?

Es ist viel wichtiger, die Leute zu informieren, wie man sich konkret ansteckt. Und, dass Ansteckungen nicht durch Masken alleine verhindert werden können. Helfen kann da nur eine strikte Handhygiene und das Einhalten der Abstandsregeln. Ich muss immer den Kopf schütteln, wenn ich sehe, dass jemand eine Maske anhat, aber schnurstracks am Desinfektionsspender vorbeiläuft.

Länder mit einer ausgedehnten Maskenpflicht haben weniger Fälle. Das ist also kein Indiz dafür, dass sie die Lage im Griff haben?

Viele Länder gehen so vor, dass sie zuerst die Leute einsperren. Sie denken sich, dass die Leute problemlos wieder rauskönnen, wenn alle eine Maske tragen. Es ist bereits jetzt zu beobachten, dass diese Vorgehensweise nicht funktioniert. Auch in Ländern, in denen das so gehandhabt wird, steigen die Fallzahlen.

Sie dämpfen aber die Kurve ab und verhindern womöglich einen exponentiellen Anstieg der Fallzahlen. Zudem können Masken durchaus einzelne Übertragungen verhindern.

Es geht aber jetzt darum, Infektionsketten zu verhindern. Das ist der einzige Weg, um nicht in eine zweite Welle zu geraten.

Liegt das auch daran, dass wir Normalbürgerinnen und -bürger einfach nicht mit Masken umgehen können?

Masken kommen aus dem Spital, genauer aus dem chirurgischen Bereich. Dort wird ganz anders mit ihnen umgegangen, als wir es jetzt tun. Im Operationssaal darf niemand etwas anfassen. Das würde für uns im ÖV nicht infrage kommen. Es ist folglich logisch, dass wir Speichel und Nasensekret an den Händen haben. Wenn dann die Hände nicht desinfiziert werden, verbreiten wir die Viren schnell mal über die Maske in die Mund-Rachen-Gegend. Es ist also eine Illusion, dass durch Maskentragen alles unter Kontrolle ist.

Sie sagen, dass das frühzeitige Testen die Rückverfolgung von Kontakten ermöglicht. Was ist mit der Swiss-Covid-App?

Sie ist kein Allerheilsmittel. Wie das Maskentragen kann sie helfen, aber sie bekämpft das Problem nicht. Und: Die App funktioniert nur, wenn frühzeitig getestet wird.

Während Ihrer Zeit als Corona-Delegierter des Bundes haben sie viele Fans, aber auch viele Kritiker gewonnen. Auch wegen Aussagen gegen die Maskenpflicht.

Das ist völlig normal und ist für mich in Ordnung. Von einer Krise sind alle betroffen. Einige haben persönlich Schaden genommen.

Einige werfen Ihnen vor, sich nach der Krise zu vermarkten.

Die Kritik kam vor allem auf, weil ich mich ins Handelsregister habe eingetragen lassen. Ich habe dies getan, weil ich eine Einzelfirma habe – und es Pflicht ist, sich im Handelsregister einzutragen, wenn man Rechnungen stellen will.

Mit einem Bad im Anzug in der Aare sorgte «Mister Corona» Daniel Koch nach seiner Pensionierung für Aufsehen. Jetzt hilft er bei der SLRG, Unfälle zu verhüten.
Mit einem Bad im Anzug in der Aare sorgte «Mister Corona» Daniel Koch nach seiner Pensionierung für Aufsehen. Jetzt hilft er bei der SLRG, Unfälle zu verhüten.
Instagram/Daniel Koch

Sie haben sich auch auf den sozialen Medien inszeniert.

Ich habe das immer nur gemacht, wenn ich eine Botschaft vermitteln wollte.

Und Sie schreiben ein Buch.

Dieses Projekt war schon geplant, als es noch keinen Hype um meine Person gab. Es wird zudem keine Biografie sein, sondern es wird Themen aus meinem Berufsleben zum Gegenstand haben. Die Leute, die es interessiert, können es kaufen, die anderen sind dazu ja nicht gezwungen.

Erst kürzlich erschien ein Buch über Alain Berset. Geschrieben wurde es von Jessicca Jurassica. Es handelt sich um einen erotischen Roman mit dem Titel ‹Die verbotenste Frucht im Bundeshaus›. Haben Sie ihn gelesen?

Nein, das ist wirklich an mir vorbeigegangen.

Haben Sie eigentlich noch Kontakt mit Alain Berset?

Ich habe ihn seit meiner Pensionierung gesehen. Im Moment arbeiten wir aber nicht zusammen. Er weiss aber: Wenn er etwas braucht, kann er sich bei mir melden.

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