Bondo 5 Jahre nach dem Bergsturz «Es hörte nicht mehr auf zu donnern, trotz blauem Himmel»

Von Monique Misteli

23.8.2022

Vor fünf Jahren ereignete sich der Bergsturz von Bondo

Vor fünf Jahren ereignete sich der Bergsturz von Bondo

Am 23. August 2017 kam es am Piz Cengalo zu einem riesigen Felssturz. Drei Millionen Kubikmeter Fels donnerten zu Tal. Das Südbündner Bergdorf Bondo entging knapp einer Zerstörung. Acht Berggänger verloren beim Unglück ihr Leben.

23.08.2022

Geröll und Steine statt Wiesen und Bäume – die Folgen des Felssturzes am Piz Cengalo sind im südbündnerischen Bondo auch fünf Jahre später noch sichtbar. Die Bevölkerung hat sich an die veränderte Gefahrenlage angepasst.

Von Monique Misteli

«Es hörte nicht mehr auf zu donnern, trotz stahlblauem Himmel», erinnert sich Esther Giovanoli. Als sie und die anderen Mitarbeitenden der Schreinerei realisieren, dass der Bondasca-Fluss anschwillt und dunkles, schlammiges Wasser führt, klopft es bereits an die Tür.

Mitarbeiter der Gemeinde warnen vor der anrollenden Naturgewalt und fordern die Menschen auf, die Schreinerei sofort zu verlassen. «Wären nicht drei Häuser beim Dorfeingang umgekippt und hätten eine Art Schutzwall gebildet, wäre wohl das ganze Dorf überschwemmt worden», erzählt die Bergellerin blue News.

Bergsturz von Bondo

Der Bergsturz forderte den Tod von acht Berggängern an der Nordflanke des Piz Cengalo. Zu Beginn ermittelte die Staatsanwaltschaft Graubünden wegen fahrlässiger Tötung und ging der Frage nach, ob die Wanderwege hätten gesperrt werden müssen. Die Untersuchungen wurden aber im Sommer 2019 eingestellt. Doch die Angehörigen der Todesopfer zogen den Entscheid weiter bis ans Bundesgericht, das zugunsten der Angehörigen entschied. Das Bundesgericht verwies den Fall zurück an das Bündner Kantonsgericht, um die Kosten und Entschädigung zu regeln sowie an die Staatsanwaltschaft, um die Strafuntersuchung neu aufzurollen.

Es ist nun genau fünf Jahre her, seit sich drei Millionen Kubikmeter Gestein (das entspricht einem Volumen von zirka 35 Einfamilienhäusern, Anm. d. Red.) vom Dreitausender Piz Cengalo lösten und ins Val Bondasca stürzten. Die Geröll- und Schlammlawine wälzte sich durch das Seitental ins gut vier Kilometer entfernte Bergdorf. Acht Wanderer starben am Berg, viele Häuser wurden zerstört, alle Anwohner in Sicherheit gebracht.

Das Auffangbecken, das die Gemeinde vor zehn Jahren im Wissen um einen möglichen Bergsturz mit anschliessender Gerölllawine gebaut hatte, füllte sich rasend schnell mit Schlamm und Gestein – und lief innert Kürze über.

Die Schreinerei war eines der evakuierten Gebäude. Die Mitarbeitenden fanden Unterschlupf bei einer anderen Firma, bevor sie im Januar 2018 wieder in den eigenen Betrieb zurückkehren konnten, erinnert sich Esther Giovanoli. Die Renovationsarbeiten seien auch heute noch nicht ganz abgeschlossen, aber der Betrieb laufe wieder normal, erzählt die Einheimische weiter.

Die Gemeinde Bregaglia, zu der Bondo gehört, hat auf das Unglück reagiert: Sie richtete eine weitere Messstation ein, investierte in ein besseres Frühwarnsystem, dehnte das Flussufer aus und baute Schutzmauern zwischen das Ufer und die Strasse.

Die Verantwortlichen senkten zudem die Limite für einen bedrohlichen Wasserstand am Auffangbecken. Das bedeutet, dass Anwohner neu vier statt zwei Minuten Zeit haben, um sich zu retten. Einmal im Jahr probt das ganze Dorf den Ernstfall, die zuständige Sicherheitskommission informiert regelmässig per SMS.

Der Jahrestag werde im Dorf nicht speziell begangen, sagt Gemeindepräsident Fernando Giovanoli. Er findet, der Bergsturz sei auch so noch präsent genug, Bäume und Wiesen seien Geröll und Steinen gewichen. Auch die unfertigen Rennovationsarbeiten würden noch lange daran erinnern.

Die SAC-Hütte Sciora sei auch fünf Jahre später noch immer nicht zugänglich, sagt er und ergänzt: «Ein neuer Bergwanderweg ist geplant, der ab 2024 den Zustieg zur Hütte ermöglichen soll.»

Die Anwohner seien vorsichtiger geworden, besonders bei schlechtem Wetter wollten sie rascher über die Sicherheitslage informiert werden. Doch keiner der Bewohner sei weggezogen – und auch die Touristen würden weiterhin kommen, sagt Giovanoli am Telefon und fügt hinzu: «Wir haben gelernt, damit zu leben.»