Die Schweiz wartet abWie viele Fälle fehlen, bis 2G kommt?
Von Andreas Fischer
10.11.2021
«Die Zahlen sind noch nicht so schlecht», erteilte der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri 2G eine Abfuhr. Dabei steigen Corona-Infektionen und Spitaleinweisungen weiter an. Wie «schlecht» dürfen die Zahlen werden?
Von Andreas Fischer
10.11.2021, 06:45
10.11.2021, 08:10
Von Andreas Fischer
Ein Zertifikat nur für Geimpfte oder Genesene? Die 2G-Regel ist in der Schweiz zurzeit noch kein Thema. Dies betonten sowohl Virginie Masserey, Leiterin der Sektion Infektionskontrolle beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), als auch der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri, Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, am Dienstag vor den Medien in Bern.
«Jetzt ist es richtig, dass wir bei 3G sind. Die Zahlen sind noch nicht so schlecht», sagte Hauri auf der Medienkonferenz. «Das bedeutet auch, dass die Tests noch eine gewisse Wirkung haben.» Man müsse die Entwicklung aber beobachten, fügte Hauri hinzu. Einige Fachleute plädieren bereits für die Einführung der 2G-Regel in der Schweiz.
Auf welche Zahlen sich der oberste Kantonsarzt eigentlich bezieht, erklärt er auf Nachfrage von blue News: «Auf unsere eigene epidemiologische Lage in der Schweiz mit Blick auf die damalige zweite Welle und nicht auf einen Vergleich mit Österreich oder Deutschland.»
Bei den Nachbarn ist 2G bereits angekommen
In den beiden Nachbarländern der Schweiz wurde die 2G-Regel bereits eingeführt. Sind die Zahlen in Österreich und Deutschland so viel schlechter als in der Schweiz?
Der Vergleich zeigt: In Österreich gibt es bei Neuinfektionen in der Tat signifikant mehr Fälle als in der Schweiz. Die 7-Tage-Inzidenz* liegt dort bei 625 – in der Schweiz beträgt sie derzeit 195**. In Deutschland allerdings ist die Inzidenz nur unwesentlich höher als in der Schweiz und beträgt knapp 214. Die Zahlen sehen dort ungefähr genauso aus wie hierzulande.
Ab wann sind die Zahlen also so schlecht, dass 2G in der Schweiz eingeführt werden muss? «Es gibt keinen Richtwert, ausgedrückt in Fallzahlen», antwortet Rudolf Hauri.
Zahlen spielen eine Rolle
In Österreich gilt 2G landesweit, in Deutschland haben einzelne Bundesländer die Regel bereits ganz oder teilweise eingeführt, andere planen sie in den nächsten Tagen. Auffällig dabei: Zwei der drei derzeit am stärksten betroffenen deutschen Bundesländer – bei den Neuinfektionen wie bei der Auslastung der Intensivstationen – sind bei den 2G-Regeln vorgeprescht.
Allen voran Sachsen mit einer 7-Tage-Inzidenz von 483,7 (Stand 9.11., Quelle: RKI), wo die Massnahme seit Wochenbeginn umfassend gegen die rasant steigenden Corona-Zahlen einsetzt wird. Nur Geimpfte und Genesene dürfen noch in Restaurants, Kneipen oder Diskotheken, ein negativer Test nützt nichts.
Darüber wird heftig gemurrt, vor allem von Gastwirten. Doch wird Sachsen nicht allein bleiben. Millionen Menschen in Deutschland müssen sich darauf einstellen, bald im Alltag das Covid-Zertifikat vorzulegen – oder vor der Tür zu stehen. In Baden-Württemberg (7-Tage-Inzidenz: 256,9, Stand 9.11., Quelle: RKI) und Bayern (7-Tage-Inzidenz: 348, Stand 9.11., Quelle: RKI) gelten 2G-Regeln schon teilweise, auf der Tagesordnung stehen sie unter anderem in Berlin und Brandenburg.
Möglich ist 2G überall, wo Infektionszahlen in die Höhe schnellen und Kliniken voll werden. In Sachsen und Bayern ist bereits jedes fünfte Intensivbett mit Covid-19-Patient*innen belegt, und in einigen Regionen gibt es überhaupt keine freien Intensivbetten mehr. Das Sozialministerium Sachsen nennt dann auf Nachfrage von blue News auch den Hospitalisierungsgrad und die Belegung der Intensivbetten als ausschlaggebende Kriterien für die Einführung der 2G-Massnahmen.
Hospitalisationen im Blick behalten
Auch in der Schweiz «nimmt die Zahl der Spitaleintritte zu», bestätigt Virginie Masserey, «allerdings nicht so schnell wie die Ansteckungen». Allerdings: Während es die meisten Infektionen bei jungen Erwachsenen gebe, sind von Spitaleinweisungen vor allem ältere Personen betroffen. Rudolf Hauri betont im Gespräch mit blue News: «Vor allem im Blick bleiben die Hospitalisationen. Wenn es hier zu deutlichen Anstiegen kommt, dann werden weitere Massnahmen geprüft werden müssen.»
«Das Problem der Pandemie ist», sagte Masserey vor den Bundeshaus-Medien, «dass das Virus sehr schnell und rasch zirkuliert.» Die Einschätzung wird vom Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr geteilt. «Wir haben ehrlich gesagt nicht viel Zeit zuzuschauen, wie wir auf die Klippe zurasen», sagte der Experte für Corona-Prognosen der Deutschen Presse-Agentur. 2G-Regeln könnten Risikokontakte verhindern und die Impfbereitschaft von Unentschlossenen erhöhen.
2G ist ein Booster für die Impfkampagne
In Österreich scheint das zu funktionieren. Wie von der Regierung erhofft, holten sich viele Menschen am Wochenende sozusagen in letzter Minute ihren ersten Stich, berichtet die Nachrichtenagentur DPA. Allein am Samstag meldete das Gesundheitsministerium demnach fast 32'000 Impfungen, wodurch die Wochenstatistik auf 213'000 kletterte – so viele Dosen wurden zuletzt Anfang August verabreicht.
Auch in Deutschland ist die erwünschte Nebenwirkung der 2G-Diskussion zu beobachten: Die Impfzahlen gehen hoch – selbst in Sachsen, das bisher die niedrigste Impfquote Deutschlands vorweist. In Baden-Württemberg, in Berlin, Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern – überall steigt die Nachfrage.
Teilweise waren Impfstützpunkte, etwa im norddeutschen Greifswald, «tageweise völlig überrannt». «In einzelnen Rückmeldungen wird die zunehmende Anwendung von 2G als Grund für die Impfentscheidung angeführt», berichtete Sprecher Christoph Wohlleben. Für den Saarbrücker Experten Lehr ist genau das der Zweck von 2G: «Ich glaube, dass wir fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung noch einmal zum Impfen bewegen können.»
In der Schweiz zeigt man sich davon unbeeindruckt. Der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri erklärt: «Die Schweiz setzt in Bezug auf die Impfung auf die Aufklärung und Kampagne.»
*Alle Daten mit Stand 9.11. **Das BAG gibt die Inzidenz für die Schweiz regulär als 14-Tage-Wert an (Stand 9.11.: 332,1).
Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und SDA.