Hack auf TelegramIslamisten kapern Schweizer Botanik-Chatgruppe
Von Lia Pescatore
31.8.2021
Plötzlich ging es nicht mehr ums wohldosierte Giessen der Geranien, sondern um den bewaffneten Kampf gegen die Ungläubigen: Schweizer Hobbygärtner haben ihre Telegram-Chatgruppe an Islamisten verloren.
Von Lia Pescatore
31.08.2021, 06:47
31.08.2021, 08:01
Lia Pescatore
Eigentlich ist der Telegram-Chat Botanik-Helpline zum Austausch über kränkelnde Monstera oder von Ungeziefer angefressenen Tomaten gedacht. Doch seit gut einer Woche sind die Hilferufe besorgter Schweizer Hobbygärtner verschwunden: «Der Chat wirkt, als wurde er von Extremisten übernommen», schreibt jemand in einem anderen Pflanzenliebhaber-Chat diese Woche darüber.
Wer auf den Einladungslink zum Chat klickt, stösst nicht mehr auf Pflanzen-Bilder, sondern auf eine Reihe von Propaganda-Videos: Darin werden Geschichten von Märtyrern und Konvertiten erzählt, in Gesängen zum Kampf aufgerufen gegen die Ungläubigen, alles unterlegt mit Bild- und Soundeffekten, die an Videogames oder Hollywoodfilme erinnern.
Der Grossteil der Videos ist auf Deutsch, die Quelle des Inhalts: al-Hayat, das Medienzentrum des Islamischen Staates.
Nach sieben Videos war Schluss
Versendet wurden alle innerhalb einer Minute, am 18. August, um halb 5 morgens.
Seither herrscht Funkstille im Botanik-Chat, der kein Chat mehr ist. Er wurde wohl kurz nach der Übernahme in einen Kanal umgewandelt, der nur vom Administrator bespielt werden kann. Den Hunderten Pflanzenfreunden, die den Chat verfolgt haben, sind in kurzer Zeit gerade mal 13 Subscriber gewichen.
Doch wie konnte das passieren? Von Mitgliedern des anderen Pflanzenliebhaber-Chats sind nur Vermutungen zu hören. Laut einem Nutzer ist der ursprüngliche Chat nach wie vor verfügbar, jedoch sei der Einladungslink auf den Kanal mit den islamistischen Inhalten umgeleitet worden und damit nicht mehr für Neuzugänge verfügbar. Andere vermuten, dass es ein Bot geschafft hat, sich als Admin einzuschalten und so die Kontrolle über den gesamten Chat zu übernehmen.
Offene Tür für erwünschte und unerwünschte Mitglieder
Doch was sind Bots eigentlich? Das sind Chat-Roboter, die dazu programmiert werden können, Informationen zu sammeln oder Aufgaben automatisiert auszuführen wie zum Beispiel das Versenden von Videos oder Text-Nachrichten. Auf Telegram sind sie allgegenwärtig. Dies wird auch von Sex-Portalen und Extremisten ausgenutzt, die durch Bots in kürzester Zeit ihre Botschaften weiterverbreiten können.
Hauptfokus liegt dabei auf offenen Chats, wie es auch «Botanik» einer war. Der wunde Punkt sind dabei die für alle zugänglichen Einladungslinks zu diesen Chats: Sie sind notwendig, damit neue Mitglieder akquiriert werden können, gleichzeitig bieten sie einen hürdenlosen Eingang für Bots. Diese lassen sich darauf programmieren, solche Links zu erkennen und offenen Chats automatisch beizutreten, um die Nachrichten dann auch in diesen zu platzieren.
Telegram beliebt wegen Verschlüsselung
Auch zu anderen Schweizer Telegram-Chats haben sich in letzter Zeit Bots, die islamistische Propaganda verbreiten, Zugang verschafft, dabei Nachrichten verbreitet, aber auch Titel und Profilbild der Chats verändert. Mehrere Fälle sind der «blue News»-Redaktion bekannt.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) wollte heute zu den konkreten Fällen keine Stellung nehmen. Er schreibt aber auf Anfrage, dass Informations- und Kommunikationstechnologien allgemein auf dem Vormarsch seien und so auch vermehrt für terroristische Zwecke genutzt würden.
Bereits 2020 äusserte sich der NDB besorgt darüber, dass zunehmend Know-how im Internet ausgetauscht würde, etwa in Form von Anleitungen für Terrorakte. Dabei seien soziale Medien wie Telegram für den Austausch zentral.
Anbieter verschlüsselter Technologien, etwa Messenger-Dienste wie Telegram, seien deshalb von grosser Bedeutung, da der Einblick in die verschlüsselte Kommunikation schwierig sei, sagt das NDB auch heute.