Oberste Schweizer Polizistin «Gewisse Politiker und Organisationen heizen die Situation unnötig auf»

Von Jennifer Furer

25.6.2020

In der ganzen Schweiz ging die Bewegung «Black Lives Matter» – wie hier in Zürich – auf die Strasse, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren.
In der ganzen Schweiz ging die Bewegung «Black Lives Matter» – wie hier in Zürich – auf die Strasse, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren.
Keystone

Der Tod von George Floyd hat auch in der Schweiz hohe Wellen geschlagen. Die oberste Polizistin des Landes fordert mehr Gehör für ihre Leute. Eine Aktivistin nimmt Stellung.

«Black Lives Matter». Unter diesem Motto demonstrieren unzählige Menschen gegen Polizeigewalt und Rassismus an Schwarzen Menschen – im Internet und auf der Strasse. Die Bewegung ist längst auch in der Schweiz angekommen. Und auch hier wird nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd durch einen Polizisten über die Rolle der hiesigen Polizei in der Rassismusdebatte diskutiert.

Denn auch hier sind Schwarze Menschen in Polizeigewahrsam gestorben – und auch hier kommt es zu Gewalt an Schwarzen Menschen durch die Polizei.

Die Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB), Johanna Bundi Ryser, kritisiert gegenüber «Bluewin», dass diese Debatte bisher zu einseitig geführt worden sei. «Es ist auffallend, dass gewisse Organisationen, Gruppierungen und Politiker sehr undifferenzierte Aussagen gegenüber der Polizei gemacht haben», sagt Bundi Ryser.

Die oberste Schweizer Polizistin Johanna Bundi Ryser fordert eine konstruktive Diskussion – und weniger Pauschalisierung.
Die oberste Schweizer Polizistin Johanna Bundi Ryser fordert eine konstruktive Diskussion – und weniger Pauschalisierung.
zvg

Sie meint Aussagen wie «Alle Polizisten sind Mörder», «Alle Polizisten sind Rassisten» oder «Racial Profiling ist in der Schweiz ein grosses Problem». Diese Pauschalisierungen und Polemiken tragen laut Bundi Ryser nichts zu einer Lösung bei. Im Gegenteil: «Sie heizten die Situation nur unnötig auf.»

«Die ganze Situation nimmt Formen an, die sehr bedenklich sind», meint Bundi Ryser und fügt an: «Ich habe das Gefühl, dass gewisse Politiker oder Organisationen unsere Sicht der Dinge hier in der Schweiz gar nicht hören wollen, weil sie offensichtlich ihre vorgefasste Meinung über die Polizei haben und diese unumstösslich scheint».

So miteinander über Probleme und Lösungsansätze zu diskutieren, sei unmöglich. Bisher sei niemand auf den Verband zugekommen, um über die Vorwürfe gegenüber Polizistinnen und Polizisten zu sprechen. «Das ist sehr schade, weil Polizistinnen und Polizisten bereit sind, ihren Beitrag zu leisten.»

Polizei «nicht strukturell rassistisch»

Bundi Ryser wolle damit nicht sagen, dass die einzelnen Polizistinnen und Polizisten keine Fehler machen würden. «Das wäre vermessen.» Es gebe aber genügend Möglichkeiten, um sich nach Vorkommnissen zu beschweren, meint Bundi Ryser.

Fälle, in denen Polizistinnen und Polizisten vor Gericht müssen, würden zeigen, dass diese nicht schalten und walten können, wie ihnen beliebt. Auch gebe es korpsinterne Untersuchungen welche auch zu personellen Massnahmen führen können.

«Sollte es solche Einzelfälle geben, müssen wir daraus lernen», sagt Bundi Ryser. Das sei hilfreicher, als pauschal gegen die Polizei vorzugehen. Johanna Bundi Ryser ist sich sicher: «Die Polizei ist nicht strukturell rassistisch und agiert auch nicht so. Wir sind da, um der gesamten Bevölkerung in der Schweiz Sicherheit zu vermitteln.» Die Frage der Hautfarbe, der politischen Gesinnung, der Geschlechterzugehörigkeit oder anderen Typisierungen spiele dabei überhaupt keine Rolle, meint Bundi Ryser.

Racial Profiling in der Schweiz

Ein neuer NGO-Bericht zuhanden der UNO listet für das Jahr 2014 schweizweit 23 Fälle von unangebrachten Kontrollen aufgrund der Hautfarbe auf, im Fachjargon «racial profiling» genannt, so die «Sonntags-Zeitung».

Weiter schreibt die Zeitung, dass die Stadtpolizei Zürich im letzten Jahr 23’000 Personenkontrollen durchgeführt hat. Es habe nur drei Beschwerden wegen rassistischer Benachteiligung gegeben. Die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen, da die Dunkelziffer hoch sein kann.

Gegenüber der «Sonntags-Zeitung» sagt Daniel Blumer, Kommandant der Zürcher Stadtpolizei, dass es unter Umständen dazu komme, dass Schwarze Menschen häufiger kontrolliert würden. «Der Kokainhandel im Langstrassenquartier zum Beispiel ist vorwiegend in der Hand von Afrikanern. Also ist es wahrscheinlich, dass Dunkelhäutige, die sich wiederholt dort aufhalten, eher kontrolliert werden», sagt er zur Zeitung. Das sei für Betroffene unangenehm, habe aber nichts mit Rassismus zu tun.

Auch bei der Fahndung nach dunkelhäutigen Tätern liege es in der Natur der Sache, dass man Unschuldige kontrollieren müsse. «Dasselbe gilt aber auch für Rothaarige, wenn nach einer entsprechenden Person gesucht wird», so Blumer weiter.

Die Arbeit der Polizei sei vielschichtig und verlange viel Sozialkompetenz. «Ich denke, dass vielen Menschen nicht bewusst ist, was die Polizei überhaupt macht, wie gut ausgebildet Polizistinnen und Polizisten in der Schweiz sind und wie viele Weiterbildungen sie absolvieren», sagt Bundi Ryser. Die Situation sei in keinster Weise mit jener in den USA vergleichbar.

Polizisten würden oftmals als Freiwild gesehen, sagt Bundi Ryser. «Sie werden dadurch zur Zielscheibe von Gewalttaten oder ihre Persönlichkeitsrechte werden im Internet verletzt.» Dabei seien auch Polizistinnen und Polizisten Menschen, die Teil der Gesellschaft sind und denen die Vorwürfe auch nahe gehen würden. «Auch dies dürfe bei der aktuellen Debatte nicht vergessen gehen».

Denn: «Wenn Menschen sich bei einer Kontrolle respektvoll verhalten und ihren Ausweis vorzeigen, gibt es keine Probleme.» Würde eine Person, sei sie schwarz oder weiss, gegenüber den Polizisten tätlich oder widersetze sich physisch der Kontrolle, müsse die Polizei durchgreifen – auch zu ihrem Selbstschutz.

Hiesige Struktur sei rassistisch

Eine «Black Lives Matter»-Aktivistin ist ebenfalls der Meinung, dass es nicht konstruktiv ist, mit dem Finger auf die Polizistinnen und Polizisten zu zeigen. Sie will anonym bleiben, weil sie wegen ihres Engagements bedroht wird. «Es geht aber darum, aufzuzeigen, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei anders behandelt werden, ein Ungleichgewicht besteht und Racial Profiling tatsächlich existiert», sagt die Aktivistin.

Solange die Polizei dies nicht einräume, sei das Problem auch nicht lösbar – und dies sei momentan so. «Verantwortungsträger müssen endlich hinstehen und Fehler eingestehen», verlangt die Aktivistin. Zudem plädiert sie dafür, dass eine unabhängige Stelle geschaffen wird, bei der Vorfälle mit der Polizei gemeldet werden können.

Die Aktivistin macht zur Verdeutlichung ihres Anliegens einen Vergleich. «Momentan ist die Situation mit einem Unternehmen vergleichbar, das keine HR-Abteilung hat.» Wenn die Polizei einen unwürdig behandle, sei es vermessen zu glauben, dass die Betroffenen sich dann fair behandelt fühlten, wenn sie dies bei der Polizei melden müssten.

Die Aktivistin kritisiert zudem, dass die hiesigen Strukturen – auch in der Justiz – per se rassistisch seien. «Jeder hat Vorurteile – auch Richterinnen und Richter. Diese müssen nicht einmal einer Böswilligkeit unterliegen, sondern sind in unseren Köpfen tief verankert.» Nur ein grundlegendes gesellschaftliches Umdenken könne dies verändern.

Umso wichtiger sei es nun, dass die jetzige Rassismusdiskussion nachhaltig bleibe – «und nicht nur ein Hype oder Trend ist», so die Aktivistin. Der erste Schritt sei getan: «Die Missstände wurden aufgedeckt und an den Demonstrationen laut kundgetan.» Was fehle, sei, dass Politiker und Institutionen nun aktiv würden – und sich konkret etwas verändere.

Zudem, so die Aktivistin, sei es wichtig, jene Menschen nicht zu vergessen, die einer doppelten Diskriminierung unterliegen: homosexuelle Schwarze Menschen, Schwarze Menschen im Rollstuhl oder muslimische Schwarze Frauen etwa. Für die Aktivistin steht fest: «Wir stehen erst am Anfang.»

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