Rentenalter 66 im Nationalrat «Wenn nicht die Bürgerlichen das anpacken, wer dann?»

Von Gil Bieler

5.6.2023

Will das Arbeitsleben verlängern: Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen. 
Will das Arbeitsleben verlängern: Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen. 
Bild: Keystone

Um die AHV-Finanzen zu sichern, wollen die Jungfreisinnigen das Rentenalter auf 66 Jahre erhöhen. Bundesrat und Ständerat können der Renteninitiative nichts abgewinnen – bringt der Nationalrat die Wende?

Von Gil Bieler

5.6.2023

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  • Der Nationalrat berät am Montag über die Renteninitiative der Jungfreisinnigen, die das Rentenalter auf 66 Jahre erhöhen will.
  • Das Anliegen hat einen schweren Stand: Weder der Bundesrat noch der Ständerat oder die zuständige Kommission des Nationalrats können sich dafür begeistern. Alle sagen Nein.
  • Das sei «verantwortungslos», kritisiert Jungfreisinnigen-Chef Matthias Müller. Schliesslich drohe der AHV eine «gigantische Finanzierungslücke». 

«Unsere Altersvorsorge braucht eine Lösung. Wir haben sie gefunden.» So preisen die Jungfreisinnigen ihre Renteninitiative an.

Die Forderung: Das Rentenalter für Frauen und Männer soll an die steigende Lebenserwartung gekoppelt und schrittweise erhöht werden. In einem ersten Schritt auf 66 Jahre, anschliessend soll das Pensionsalter pro Monat zusätzlicher Lebenserwartung um 0,8 Monate ansteigen.

Auf diese Weise könnten die prognostizierten Lücken in der AHV-Kasse geschlossen werden, argumentiert die FDP-Jungpartei. Doch ihr Anliegen hat einen schweren Stand. Weder im Bundesrat noch im Ständerat fand sich eine Mehrheit, beide lehnen die Initiative ab.

Warten auf den Bundesrat

Am Montagnachmittag beugt sich schliesslich der Nationalrat über die Vorlage. Doch auch hier droht Gegenwind: Die vorberatende Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N) empfiehlt mit deutlicher Mehrheit ein Nein zur Initiative.

Der vorgesehene Automatismus zur Anpassung des Rentenalters gehe zu weit, lautet ein zentrales Argument. Ausserdem müsse der Bundesrat ohnehin noch vor Ende 2026 eine neue AHV-Reform verabschieden, die sollte man abwarten.

Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, ist masslos enttäuscht. «Angesichts der gigantischen Finanzierungslücke, die bei der AHV droht, ist es verantwortungslos, dass Bundesrat und Parlament nicht Hand bieten für unseren Vorschlag», sagt er auf Anfrage von blue News.

Laut Zahlen des Bundes könnte sich ohne Reform im Jahr 2050 eine Lücke von 10 Milliarden Franken auftun. Kumuliert ergebe das 120 Milliarden Franken für die Jahre 2029 bis 2050, sagt Müller. «Das sind keine erfundenen Zahlen der Jungfreisinnigen, sondern Zahlen des Departements Berset.»

Bei vielen im Parlament dürfte noch die Volksabstimmung über die Erhöhung des Frauen-Rentenalters auf 65 Jahre nachwirken. Diese wurde im September 2022 nur mit einem Ja-Anteil von 50,6 Prozent nur denkbar knapp angenommen.

«Wenn nicht die Bürgerlichen das anpacken, wer dann?»

«Natürlich ist die AHV-Finanzierung ein heisses Eisen, an dem sich niemand die Finger verbrennen will. Gerade nach diesem hauchdünnen Abstimmungsresultat», sagt Müller. «Aber wenn nicht die Politik und insbesondere die bürgerlichen Parteien das anpacken, wer dann?» SP und Grüne wollten mehr Umverteilung zulasten der Jungen statt einer echten Reform, kritisiert er.

Die Linke kämpft mit einer eigenen Initiative für die Einführung einer 13. AHV-Rente. «Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll würdevoll alt werden dürfen», erklärte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer im Interview mit blue News diesen Ansatz. Die AHV sei ein viel effizienteres Altersvorsorgesystem als etwa die Pensionskasse.

Für Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber ist die Renteninitiative der Jungfreisinnigen schlicht «ein Affront gegenüber jenen, denen es trotz harter Arbeit im Leben nicht immer gut ging», sagte sie vor Kurzem zu blue News

Auf der Ratslinken ist also nichts zu holen. Eine kleine Chance hat die Jungpartei im Parlament aber noch: Eine Minderheit der SGK-N will sich im Nationalrat dafür einsetzen, dass die Vorlage zurück an die Kommission geht. Diese soll dann einen indirekten Gegenvorschlag erarbeiten (siehe blaue Box).

Nur: In der ersten Kommissions-Beratung fiel ein indirekter Gegenvorschlag ebenfalls durch. Dieser sah eine Art Schuldenbremse für die AHV vor. Der Bundesrat würde damit verpflichtet, dem Parlament Massnahmen vorzuschlagen, sobald die langfristigen Einnahmen und Ausgaben der AHV aus dem Gleichgewicht geraten. Auch sollte das Rentenalter in einem solchen Szenario automatisch erhöht werden. 

Auch ein direkter Gegenentwurf mit ähnlicher Stossrichtung soll im Nationalrat am Montag wieder aufs Tapet kommen. Doch auch dieser fand in der Kommission keinen Zuspruch.

Direkter Gegenentwurf vs. indirekter Gegenvorschlag

  • Beim direkten Gegenentwurf stellt das Parlament einer Initiative einen anderen Verfassungsartikel gegenüber. Ziehen die Initiant*innen ihr Anliegen nicht zurück, kommen Initiative und Gegenentwurf gleichzeitig zur Abstimmung.
  • Beim indirekten Gegenvorschlag erarbeitet das Parlament statt einer Verfassungsänderung eine Gesetzesänderung oder ein neues Gesetz. Ziehen die Initiant*innen ihr Anliegen nicht zurück und gibt es ein Nein an der Urne, tritt der Gegenvorschlag in Kraft. 

Für Müller bietet sich hier dennoch die grösste Chance, schliesslich sei zumindest der indirekte Gegenvorschlag in den Kommissionen beider Räte nicht so eindeutig verworfen worden. In der Nationalratskommission waren es 15 Nein- zu neun Ja-Stimmen, bei einer Enthaltung. «Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht findet sich im Nationalrat wenigstens eine Mehrheit für einen Gegenvorschlag.»

Andernfalls komme die Initiative im Frühling 2024 an die Urne – «und dann werden wir wie die Löwen kämpfen», stellt Müller in Aussicht.

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