Oberster Kantonsarzt zur Infektionslage Wann macht ein Coronatest überhaupt noch Sinn, Herr Hauri?

Von Gil Bieler

1.10.2023

«Wir stellen keine Zunahme von schweren Krankheitsverläufen fest»: Kantonsärzte-Präsident Rudolf Hauri.
«Wir stellen keine Zunahme von schweren Krankheitsverläufen fest»: Kantonsärzte-Präsident Rudolf Hauri.
Bild: Keystone

Kaum mehr Tests, aber überall hustet es: Geht die Schweiz im Blindflug in den nächsten Coronawinter? Nein, sagt der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri. Aber ganz scharf sei der Blick auch nicht mehr.

Von Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Wie steht die Schweiz in Sachen Coronavirus eigentlich da? Rudolf Hauri, Zuger Kantonsarzt und Präsident der Vereinigung der Kantonsärzte und Kantonsärztinnen, erklärt das im Interview.
  • Weil nicht mehr systematisch auf Covid getestet werde, sei der Blick auf das Infektionsgeschehen «nicht mehr ganz so scharf». Doch wäre eine flächendeckende Erhebung nicht sehr nützlich. 
  • Die Anfrage nach der Coronaimpfung hält sich zwei Wochen vor Start der Impfsaison noch in engen Grenzen.
  • Wann soll man sich überhaupt noch testen lassen? Dazu hat Hauri ebenfalls einen Ratschlag. 

In der Schweiz wird nicht mehr systematisch auf Corona getestet. Sind wir im Blindflug unterwegs, Herr Hauri?

Tatsächlich wird nicht mehr systematisch getestet, aber es wird immer noch getestet. Die Abwasserwerte werden regelmässig analysiert, und es gibt immer noch eine Meldepflicht für Labore, wenn in einer Analyse das Coronavirus entdeckt wird. Dadurch können wir das epidemiologische Geschehen erkennen. Wir haben also nicht mehr einen ganz so scharfen Blick, aber wir sind auch nicht blind.

Trotzdem: Man kann gar nicht wissen, wie stark das Virus überhaupt zirkuliert.

In absoluten Zahlen nicht. Doch das ist in der aktuellen epidemiologischen Lage auch nicht mehr erforderlich. Dass es gerade wieder eine Zunahme der Virusaktivität gibt, das sehen wir aber durchaus aus den erhobenen Daten.

Wieso ist es nicht nötig, genaue Infektionszahlen zu kennen: Wegen der Immunität der Bevölkerung?

Zum einen wegen der breiten Immunität in der Bevölkerung, da hat sich die Ausgangslage stark verändert. Zum anderen liegt der Fokus jetzt auf der Individualmedizin: Ein Test wird dann gemacht, wenn das Ergebnis relevant ist für die Behandlung oder das Verhalten der betroffenen Person. Aber es geht nicht mehr um flächendeckende Massnahmen für die ganze Bevölkerung.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, blickt beunruhigt auf den Winter: Das Virus mutiert schnell, es gibt keine weltweit dominante Variante. Teilen Sie diese Sorgen?

Im Moment entwickelt sich die Situation so wie erwartet, nämlich, dass es eine Zunahme der Virusaktivität auf den Herbst hin gibt. Aber wir stellen keine relevante Zunahme von schweren Krankheitsverläufen fest. Einen solchen erwarten wir aufgrund unseres regelmässigen Austauschs mit der Wissenschaft auch nicht. Nur kann man das leider nie ausschliessen – daher auch die Besorgnis des WHO-Direktors.

Welche Varianten dominieren in der Schweiz?

  • Die dominante Virus-Variante ist laut Daten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) XBB, die zuletzt rund 72 Prozent aller Fälle ausmachte. Aufs Konto der Variante BA.2.75 gehen 25 Prozent der Fälle. Ebenfalls im Umlauf sind die Eris genannte Variante EG.5.1, die als speziell ansteckend gilt, sowie die Variante BA.2.86 (Pirola), die wegen besonders vieler Mutationen beobachtet wird.

Spitäler am Limit: Das droht diesen Winter nicht?

Wir stehen wieder im näheren und regelmässigen Kontakt mit den Spitälern. Bisher zeichnet sich hier keine Überlastung ab, auch wenn es in der Tat aktuell – regional allerdings unterschiedlich – vermehrt zu Hospitalisationen von Personen mit Covid kommt. Wir erwarten derzeit in Übereinstimmung mit unseren wissenschaftlichen Beratern keine Entwicklung in Bezug auf die Hospitalisationen, wie wir sie aus den ersten Jahren der Pandemie erlebten.

In zwei Wochen beginnt die empfohlene Impfsaison für Risikogruppen, sich erneut gegen das Coronavirus schützen zu lassen. Wie sieht die Nachfrage aus?

Es gibt noch keine grosse Nachfrage, das zeigen die Rückmeldungen aus den Apotheken und der Ärzteschaft. Die bisher durchgeführten Impfungen halten sich in engen Grenzen.

Wie wissen Sie, dass die Impfung nützt, wenn noch unklar ist, welche Variante sich durchsetzt?

Sogar die Impfstoffe, die noch aufgrund des Wildtyps – also des ursprünglichen Coronavirus – entwickelt wurden, haben noch eine, wenn auch eingeschränkte, Schutzwirkung vor schweren Krankheitsverläufen. Und das Virus ist im Kern trotz aller Mutationen noch immer dasselbe Coronavirus. Daher sind mir keine begründeten Zweifel an der generellen Wirksamkeit der Impfstoffe mitgeteilt worden.

Das ist die aktuelle Corona-Impfempfehlung

  • Das BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif) empfehlen die Covid-19-Impfung im Herbst/Winter für besonders gefährdete Personen. Die Kosten dafür werden von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen.
  • Zu besonders gefährdeten Personen zählen: Personen ab 65 Jahren, Personen ab 16 Jahren mit einer chronischen Krankheit, Personen ab 16 Jahren mit Trisomie 21. Schwangere können nach individueller Abklärung eine Impfung erhalten.
  • Allen weiteren Personen wird keine Covid-19-Impfung empfohlen. Eine Impfung auf Wunsch ist aber gegen Bezahlung möglich.
  • Der ideale Zeitpunkt für die Covid-19-Impfung liegt zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember, allerdings mindestens sechs Monate nach der letzten Impfung oder Infektion.
  • Empfohlen wird die Impfung mit einem an die aktuelle Virusvariante XBB.1.5 angepassten mRNA-Impfstoff oder dem Proteinimpfstoff von Novavax. Es ist nur ein Piks notwendig.

Nützen denn Selbsttests für zu Hause auch bei neuen Varianten?

Bei diesen Selbsttests gab es immer einen gewissen Vorbehalt, da sie nie zu 100 Prozent zuverlässig Auskunft über eine Infektion geben. Das heisst: Wenn ich klassische Covid-Symptome habe und der Test negativ ausfällt, heisst das nicht zwangsläufig, dass ich mich nicht infiziert habe. Fällt der Test aber positiv aus, kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass man auch wirklich infiziert ist.

Die PCR-Tests in der Apotheke kosten, und zwar nicht zu knapp. In welchen Situationen raten Sie überhaupt noch dazu?

Dann, wenn ein positives Testergebnis einen Einfluss auf das eigene Verhalten hat. Wenn jemand zum Beispiel eine Person mit erhöhtem Risiko besuchen will, kann er oder sie sich testen lassen – und bei einem positiven Resultat auf den Besuch verzichten. Oder aber wenn ich mich in eine Menschenmenge mischen will, kann ich nach einem positiven Testresultat eine Schutzmaske tragen, um das Virus möglichst nicht zu verbreiten. Aber nur aus Neugier, ob man Covid hat oder nicht, sollte sich niemand mehr testen lassen.

Braucht es wieder ein Gratis-Testangebot, um einen besseren Überblick über die Zirkulation zu bekommen?

Man könnte das machen und hätte wieder sehr detaillierte Daten zur Verfügung. Aber aus diesen liesse sich heute bei der veränderten Immunitätslage der Bevölkerung praktisch kaum etwas für den Alltag ableiten. Darum sind breite Testungen in der gesamten Bevölkerung gerade auch nicht angebracht.

Tragen Sie auch noch eine Schutzmaske?

Ich habe tatsächlich immer eine Maske dabei und trage sie zum Beispiel, wenn ich in Kontakt mit gefährdeten Personen komme. Im Zug trage ich normalerweise keine Maske. Ist der Zug aber voll besetzt und es schnieft und hustet rundherum, dann erlaube ich mir, eine Maske überzustreifen.

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