CoronakriseVorbild Ausland – mögliche Wege aus dem Lockdown
Von Jennifer Furer
15.4.2020
In der Schweiz nimmt die Zahl der Coronavirus-Neuinfektionen ab. Eine Lockerung des Lockdowns ist in Sicht. Wie ein solcher Ausstieg aussehen kann, leben derzeit andere europäische Länder vor.
Was vor wenigen Monaten undenkbar schien, wurde im Frühling dieses Jahres Wirklichkeit: Eine Pandemie breitete sich aus – in China, Italien, in ganz Europa, weltweit. Das Coronavirus zwang uns in die Isolation. Noch ist die Krise nicht überwunden, doch der Silberstreifen am Horizont rückt von Tag zu Tag näher. Verschiedene Länder wagen die ersten Schritte aus dem Lockdown.
Auch die Schweiz ist bereit. Noch vor Ende dieses Monates sollen die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus schrittweise gelockert werden, verkündete der Bundesrat vergangene Woche. Als Kriterien führt der Bundesrat die Anzahl der Neuinfektionen, der Spitaleinweisungen und der Todesfälle auf.
Am Donnerstag entscheidet der Bundesrat, wie die Lockerung des Lockdowns konkret erfolgen soll. Gesundheitsminister Alain Berset sagte, dass zuerst die Reihenfolge festgelegt werden müsse.
Es könne dort begonnen werden, wo Schutzmassnahmen – wie etwa das Einhalten des Sicherheitsabstandes – gut umgesetzt werden könnten. Und vor allem: Wo besonders gefährdete Personen nicht gefährdet seien.
Lernen vom Ausland
Bis zur offiziellen Pressekonferenz des Bundesrates, die für den Donnerstagnachmittag vorgesehen ist, kann über die Schweizer Lockdown-Lockerung nur spekuliert werden.
Fest steht aber: Die hiesige Regierung entscheidet nicht unabhängig von der ausländischen Praxis. Sie wird das Vorgehen anderer europäischer Länder studieren und funktionierende Lockerungsmassnahmen übernehmen. Doch wie steigen andere Länder aus? Ein Überblick.
Österreich
Kleine Geschäfte, Baumärkte und Gartenzentren wurden am Dienstag als erstes wieder geöffnet. Ab 1. Mai sollen alle anderen Geschäfte folgen. Die bestehende Maskenpflicht in Supermärkten und nun allen anderen geöffneten Geschäften gilt weiterhin und wird nun auch auf den öffentlichen Verkehr ausgeweitet.
Weiterhin gelten sollen die Ausgangsbeschränkungen: Bis Ende April sollen die Menschen zu Hause bleiben. Auch die Schulen bleiben vorerst bis Mitte Mai geschlossen. Dann sollen auch Hotels und Gastronomie-Betriebe wieder öffnen. Wie bei Sportveranstaltungen, aber auch Kultur- und Grossveranstaltungen verfahren wird, ist noch unklar. Kanzler Sebastian Kurz versprach für diese Woche einen Überblick.
Den Weg aus dem Lockdown beschrieb Kurz auf Twitter so: «Unser Zugang in den nächsten Monaten wird klar sein: So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie notwendig. Sollten sich die Zahlen in die falsche Richtung entwickeln, werden wir die Notbremse ziehen, die wir für den Fall vorgesehen haben.»
Dieser Verzicht, dieses Abstand halten & die Disziplin, die Masken zu tragen – das macht es möglich, dass wir heute den ersten Schritt in Richtung neue Normalität setzen & uns ein Stück weit wieder dem Leben annähern können, das wir in Österreich gewohnt waren.
Wie die Zeitung «Bild» und die «Welt» heute Mittwoch berichteten, soll die Regierung um 14 Uhr per Videokonferenz entscheiden, ob, wann und wie eine Lockerung der Massnahmen in Deutschland möglich ist.
Laut «Bild» sollen sich die Länder in einer Telefonschaltung der Staatskanzleichefs mit dem Kanzleramt bereits auf zwei Eckpunkte geeinigt haben: Kontaktsperren, Versammlungs- und Reiseverbote sollen bis mindestens dem 3. Mai erhalten bleiben. Und: Einzelne Lockerungen würden beschlossen, aber auch wieder aufgehoben, wenn die Infektionen wieder zunehmen würden.
Besonders heiss diskutiert wird in Deutschland der Zeitpunkt der Schulöffnung. «Wir brauchen einen Konsens der 16 Länder. Gerade in der Schulpolitik darf es keine Alleingänge geben», sagte Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfallen, der Deutschen Presse-Agentur. Das dürfte sich als schwierig erweisen, da sich bereits jetzt abzeichnet, dass die Länder diesbezüglich unterschiedlich vorgehen wollen.
Dänemark
Ab heute Mittwoch sind in Dänemark Schulen bis zur fünften Klasse und erste Kinderkrippen und -gärten wieder geöffnet. Dabei gelten bestimmte Anforderungen wie ein ausreichender Abstand zwischen den Kindern sowie umfassende Hygienemassnahmen.
Rund in der Hälfte der 98 dänischen Kommunen haben Krippen, Kindergärten und Schulen diese Voraussetzungen bereits geschaffen. Alle anderen müssen diese Rahmenbedingungen erst erfüllen und dürfen dann wieder öffnen.
Die Öffnung der Schulen und Tageseinrichtungen stellt in Dänemark die erste Lockerung der Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus dar. Weitere Lockerungen sollen erst in den nächsten Tagen beziehungsweise Wochen erfolgen.
Frankreich
Die Ausgangssperre in Frankreich wurde am Montag um vier Wochen bis am 11. Mai verlängert. Auch die Einreisesperre für Personen aus Nicht-EU-Ländern bleibt bestehen.
Der Plan, so Präsident Emmanuel Macron, sei dann, zuerst Kitas und Schulen wieder zu eröffnen. Darauf folgen sollen Restaurants, Bars, Kinos und Theater.
Quand pourrons-nous renouer avec la vie d'avant ? En toute humilité, nous n'avons pas de réponse définitive à cela. Nous travaillons activement pour trouver un vaccin et un traitement. Aucune piste n'est négligée.
Bau- und Fabrikarbeiter dürfen seit Montag wieder arbeiten. An Bahnhöfen verteilen Polizisten nun Atemschutzmasken. Da Spanien neben Italien das am schwersten betroffene europäische Land ist, gibt es bisher keine konkreten Pläne für weitere Lockerungen. Ministerpräsident Pedro Sánchez sagte am Sonntag: «Erste Lockerungen wird es frühestens in zwei Wochen geben. Und die werden schrittweise und vorsichtig sein.»
Ein Hoffnungsschimmer besteht allerdings: Am Dienstag verzeichnete Spanien den niedrigsten Anstieg der Neuinfektionen seit einem Monat.
Italien
Die am 10. März verhängte Ausgangssperre soll bis mindestens zum 3. Mai weiter gelten. Probeweise durften diese Woche Buchhandlungen, Schreibwarenläden und Reinigungen wieder öffnen. Ob diese Lockerung weiter gilt, wird von der Einhaltung der Abstandsregel abhängig gemacht.
Anders in der Lombardei: Die besonders heftig betroffene Region will diese Läden nicht so schnell wieder aufmachen. Auch andere Regionen haben eigene Spezialbestimmungen erlassen.
Ein Expertengremium plant derzeit die schrittweise Lockerung des Lockdowns in Italien, verkündete die italienische Regierung. Zu Beginn sollen Massnahmen für Unternehmen gelockert werden, erst dann sei die Bevölkerung an der Reihe. Gemäss dem jetzigen Stand könnten Schulen bis nach den Sommerferien, die im September enden, geschlossen bleiben.
Diese Bücher empfiehlt die «Bluewin»-Redaktion für den Lockdown:
Auch in der «Bluewin»-Redaktion wird fleissig gelesen. In der Bildstrecke gibt Sie einen Einblick in ihre Lieblingsbücher.
Bild: Istock
Julia Käser empfiehlt: «Vom Ende der Einsamkeit» von Benedict Wells
Weil es um Einsamkeit geht, mit der im Moment alle von uns mal mehr, mal weniger zu kämpfen haben. Und weil es von einer – wenn auch etwas schweren – Selbstfindungsreise handelt, wie wir sie heute kaum mehr vor Augen geführt bekommen: Hadernd, verletzlich, schonungslos und trotzdem oder gerade deshalb irgendwie tröstend.
Jennifer Furer empfiehlt: «Du musst nicht von allen gemocht werden» von Ichiro Kishimi
Wir alle kämpfen mit Selbstzweifel. Dieses Buch zeigt eindrücklich, wieso jeder in der Lage ist, über sein eigenes Leben zu bestimmen. Es führt einem vor Augen, wie sehr Selbstzweifel von Erfahrungen und Erwartungen abhängen. Anhand eines Dialoges zwischen einem unglücklichen jungen Mann und einem Philosophen wird erklärt, wie man sich davon lösen kann. Der Dialog basiert auf den Erkentnissen von Alfred Adler - dem grossen Vorreiter der Achtsamkeitsbewegung.
Tobias Bühlmann empfiehlt: «Picknick auf dem Eis» von Andrej Kurkow
Eigentlich lese ich kaum Belletristik. Dieses Buch habe ich angefasst, weil es mir ein Bekannter vor bald zwei Jahrzehnten in die Hand gedrückt hat mit dem Kommentar, dass das Büchlein das frischeste sei, was er seit langem gelesen habe. Die Geschichte handelt vom Autoren Viktor, der sich mit seinem Pinguin Mischa in Viktor durchschlägt. Er verdient sein Geld mit dem Schreiben von Nachrufen bekannter Menschen. Ich habe das Buch noch am selben Abend bei Kerzenlicht – meinem Gästezimmer fehlte eine Nachttischlampe – zu lesen begonnen. Und beinahe in einem Rutsch durchgelesen
Bild: Keystone/Markus Stuecklin
Bruno Bötschi empfiehlt: «Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß» von Manja Präkels
Eine gute Freundin von mir, wollte dieses Buch nicht kaufen – der Titel schreckte sie zu sehr ab. Schade. In ihrem aus dem Autobiografischen schöpfenden Roman «Als ich mit Hitler Schnapskirschen ass» erzählt die ostdeutsche Schriftstellerin und Musikerin Manja Präkels (Jahrgang 1974) von der Kindheit in der DDR, von der Idylle in einer Kleinstadt, von Freundschaft und Wut. Die Geschichte beginnt harmlos – bis aus Freunden irgendwann Gegner werden: Hauptfigur Mimis Jugendfreund Oliver, mit dem sie früher heimlich Mutters Schnapskirschen ass, nennt sich plötzlich Hitler und führt eine braune Jugendgang. Immer mehr Hässliches kommt zum Vorschein. Ich mag die Sprache von Manja Präkels, sie ist direkt und schnörkellos, nichts bleibt im Verborgenen.
Markus Wanderl empfiehlt: «Der erste Sohn» von Philipp Meyer
Philipp Meyers Generationen-Epos «Der erste Sohn» ist bereits 2014 erschienen, es ist die Geschichte einer texanischen Familien-Dynastie. Fotorealistisch im Stil und minutiös recherchiert wirft Meyer einen Argusaugenblick auf die mitunter blutige Fehde zwischen Indianern, Texanern und Mexikanern. Er ist so gut, dieser Roman des 46-jährigen New Yorkers – sodass unbedingt gefragt werden muss: Wann kommt endlich Meyers dritter Roman?
Philippe Dahm empfiehlt: «Born a Crime» von Noah Trevor
Ich lese gerade «Born a Crime», die Autobiographie von Trevor Noah, dem Gastgeber der New Yorker «Daily Show». Der TV-Moderator wurde in Johannesburg als Sohn eines Schweizers und einer Südafrikanerin geboren – was damals ein Verbrechen war, weil Schwarze und Weisse keinen Verkehr und erst Recht keine Kinder miteinander haben durften...
... Noah bringt einem auf unterhaltsame Weise nahe, was es heisst, in seinem Unrechtssystem aufzuwachsen und erzählt mit einem lachenden Auge, was Armut in Soweto bedeutet, ohne dass sich der Leser dabei schlecht fühlt. Die persönlichen Anekdoten machen das Buch kurzweilig – den Tipp dazu habe ich übrigens von meinem zuverlässigen Kollegen Gil Bieler bekommen. Danke dafür, Gil, du bekommst das Buch irgendwann auch wieder zurück.
Gil Bieler empfieht: «Die Strasse» von Cormac McCarthy
Ein fesselnder Roman: Vater und Sohn schleppen sich nach der Apokalypse durch eine lebensfeindliche Welt. Getrieben von Hunger und Elend, klammern sie sich an den letzten Funken Hoffnung, dass es irgendwo, irgendwann besser wird. McCarthy legt wahrlich keine schöne Geschichte vor, aber eine, die mitten ins Herz trifft.
Carlotta Henggeler empfiehlt: «Verficktes Herz & andere Geschichten» von Nora Gantenbrink
Mit Büchern geht es mir manchmal wie mit Wein. Ich suche den Tropfen anhand der Etikette aus. Total doof, aber das Auge entscheidet oft mit. Und genauso ist es mir mit «Verficktes Herz» von Nora Gantenbrink ergangen. Ein spezieller Titel, ein popig-auffälliges Neon-Herz auf dem Cover. Bäm, schon hatte ich die EC-Karte gezückt. Und bereue es keine Minute. Die Kurzgeschichten rund ums Thema Herzschmerz sind grell, virtuos und jeder Satz hat ein eigenes Aroma, das lange nachklingt. Man sollte es peu à peu lesen, um den Genuss hinauszuzögern, genau wie ein Grand-Cru. Muster gefällig? ...
...Voilà: «Liebeskummer ist das grösste Arschloch, das es gibt. Und das Problem ist, dass es so ein unlösbares Problem ist. Dass du ja nichts dagegen tun kannst. Ausser warten. Die Lösung des Problems ist also: Das Warten muss gut sein, verdammt gut. Im Warten braucht es Yoga, braucht es Rausch, braucht es gute Geschichten und noch bessere Kurzgeschichten.»
Und zum Schluss gibt es noch einen zweiten Buchtipp von Julia Käser: «Wir sehen uns am Meer» von Dorit Rabinyans
Weil es ein mutiges Buch ist, das an israelischen Gymnasien gar verboten wurde. Und weil mich die schicksalhafte Liebesgeschichte zwischen einer israelischen Studentin und einem Künstler aus Palästina so berührte, wie es lange kein Buch mehr getan hat – ganz ohne Kitsch.
Bundesrat verteidigt sein Vorgehen gegen Indiskretionen
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