Sexualstrafrecht Ständerat stimmt für «Nein heisst Nein»-Lösung

bo, sda

7.6.2022 - 17:30

«Nein heisst Nein»: Der Ständerat setzt bei der Revision des Sexualstrafrechts auf die Widerspruchslösung. (Archivbild)
«Nein heisst Nein»: Der Ständerat setzt bei der Revision des Sexualstrafrechts auf die Widerspruchslösung. (Archivbild)
Keystone

Der Ständerat setzt bei der Revision des Sexualstrafrechts auf die «Nein heisst Nein»-Lösung. Er hat der Widerspruchslösung am Dienstag zugestimmt und folgte damit seiner vorberatenden Kommission und dem Bundesrat. Das Geschäft wird am Montag zu Ende beraten.

Der Bundesrat weitet den Tatbestand der Vergewaltigung im Strafgesetz aus. Neu soll sich auch strafbar machen, wer gegen den Willen des Opfers handelt. Es soll der Grundsatz «Nein heisst Nein» gelten. Eine Nötigung durch Gewalt oder Drohung muss demnach nicht mehr vorliegen.

Die Ratslinke scheiterte im Rahmen der über dreieinhalbstündigen Beratungen zu den Kernpunkten der Vorlage mit ihrem Versuch, im Sexualstrafrecht die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung als Basis zu etablieren. Am Schluss stimmte der Rat mit 25 zu 18 Stimmen für die Widerspruchslösung.

Die Mindestfreiheitsstrafe für eine qualifizierte Vergewaltigung hob der Rat von einem Jahr auf zwei Jahre an. Er folgte einem Minderheitsantrag von Stefan Engler (Mitte/GR) mit 23 zu 20 Stimmen. So könne vermieden werden, dass Vergewaltiger mit einer bedingten Gefängnisstrafe davon kommen. «Wer jemandem den Beischlaf abnötigt, gehört ins Gefängnis», sagte Engler.

Im Gegenzug bleiben für alle anderen sexuellen Übergriffe weiterhin auch Geld- und Bewährungsstrafen möglich, um den Gerichten mehr Spielraum zu lassen. Werner Salzmann (SVP/BE) sprach sich vehement und ausführlich dagegen aus. Man dürfe nicht signalisieren, dass es Vergewaltigungen gebe, «die so harmlos sind, dass sie mit Geld abgegolten werden können».

Weiterhin Geld- und Bewährungsstrafen

Andrea Caroni (FDP/AR) warnte davor, nicht die fein austarierte Kaskade für die unterschiedlich schweren Fälle aus den Angeln zu heben. Das Strafrecht müsse immer am mildest denkbaren Fall ausgerichtet werden; etwa, wenn ein Erwachsener einem elfeinhalbjährigen Knaben anzüglich an den Hintern greife. Dafür wäre eine unbedingte Gefängnisstrafe zu hoch.

Im Zentrum stand die Frage, ob eine Zustimmungs- oder eine Widerspruchslösung ins Sexualstrafrecht sollte. Nur die Zustimmungslösung garantiere, dass auch Opfer, die bei Übergriffen keine Reaktion zeigten und paralysiert ihren Willen nicht mehr kundtun könnten, strafrechtlich geschützt seien, betonte Lisa Mazzone (Grüne/GE) im Namen der Ratsminderheit vergeblich.

Lisa Mazzone (Genf, SP) suchte das Gespräch mit den SVP-Politikern Jakob Stark (Thurgau) und Werner Salzmann (Bern, links).
Lisa Mazzone (Genf, SP) suchte das Gespräch mit den SVP-Politikern Jakob Stark (Thurgau) und Werner Salzmann (Bern, links).
Bild: Keystone

Die internationale Entwicklung zeige zudem, dass die Zustimmungslösung nicht im Widerspruch stehe zur prozessualen Realität, wie dies die Befürworter der «Nein ist Nein»-Lösung ständig anführten. Vor zwei Wochen habe Spanien als dreizehntes Land in Europa entschieden, dass Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung als eine Vergewaltigung gilt.

Mehrere Male wurde im Rat betont, die neue Lösung sei – so oder so – ein «Quantensprung» und ein «Meilenstein». Ohne Abtrennung der Revision von der ursprünglichen Vorlage zur Harmonisierung der Strafrahmen wäre das heutige Resultat nicht möglich gewesen, würdigte Justizministerin Karin Keller-Sutter die Arbeit.

Kein «Freezing»-Artikel

Das von Mazzone erwähnte sogenannte Freezing, also die Schockstarre, wollte Andrea Gmür-Schönenberger (Mitte/LU) – sie befürwortete die Widerspruchslösung – mit einem Einzelantrag speziell ins Gesetz einbauen. Diese komplette Passivität während des Missbrauchs sei eine wahrnehmbare Ablehnung, über die sich ein Täter nicht einfach hinwegsetzen könne.

Der Rat lehnte dies jedoch ab. Auch diese Fälle seien durch die Lösung der Ratsmehrheit abgedeckt, sagte Andrea Caroni (FDP/AR). Er rief alle erwachsenen Menschen dazu auf, klare Signale zu setzen, «wo es uns möglich ist, und sonst wird der Täter bestraft». Eine Schockstarre sei ein klares Zeichen für ein Nein, ergänzte Beat Rieder (Mitte/VS).

Daniel Jositsch (SP/ZH) sagte in der Detailberatung, die Widerspruchslösung entspreche der Rechtspraxis und den gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Strafrechtstechnisch zentral sei der Schuldvorwurf an den Täter, dass er ein Nicht-Einverständnis missachtet habe.

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Dem Täter die Schuld beweisen

Die Zustimmungslösung fokussiere dagegen auf den inneren Willen des Opfers. Dieser Fokus sei nicht angemessen und schwer zu beweisen. «Es ist dem Täter die Schuld zu beweisen und nicht umgekehrt», sagte Jositsch.

Bei der Zustimmungslösung müsse der Richter etwas beweisen, dass nicht existiere, schlug Rieder in die gleiche Kerbe, nämlich das Nichtbestehen einer Einwilligung. Diese Lösung suggeriere zudem eine grundsätzliche Strafbarkeit und wäre eine falsche Kriminalisierung der Sexualität. Sie wecke falsche Erwartungen und könne zu einer Beweislastumkehr führen und den Grundsatz «Im Zweifel für den Angeklagten» relativieren.

Für Eva Herzog (SP/BS) sind zwar beide Varianten ein Fortschritt. Aber sowohl mit der Widerspruchs- wie mit der Zustimmungslösung seien Übergriffe schwer zu beweisen, weil sie in der Regel unter vier Augen stattfänden. Deshalb spiele die präventive Wirkung der Reform eine wichtige Rolle. Die Veränderung der alten Bilder in den Köpfen müsse auch in die Gesetze. Deshalb trete sie für das «Nur Ja ist Ja»-Konzept ein.

Keller-Sutter warnt vor hohen Erwartungen

Mit der Revision werde das Sexualstrafrecht an die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre angepasst, sagte Keller-Sutter. Sie warnte gleichzeitig vor zu hohen Erwartungen. Egal, welche Lösung man bei der Beurteilung der Vergewaltigung wähle, die Beweisschwierigkeiten würden mit der Revision nicht beseitigt.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter verfolgte die Debatte am Dienstag im Ständerat. 
Bundesrätin Karin Keller-Sutter verfolgte die Debatte am Dienstag im Ständerat. 
Bild: Keystone

Die Ablehnungslösung sei praxisnaher und transparenter, warb auch Keller-Sutter für die «Nein ist Nein»-Variante. Ein Nein sei klarer, es genüge eine ablehnende Geste. Wenn die Stimmung nach anfänglicher Zustimmung kippe, müsse sich dieser Meinungsumschwung manifestieren. Insgesamt würde die Situation der Opfer aber mit beiden Varianten deutlich verbessert.

Der Paradigmenwechsel müsse indes auf allen Stufen ankommen. Deshalb kündigte die Justizministerin in der Eintretensdebatte ein Projekt für eine Bestandesaufnahme in den Kantonen an. Dieses soll klären, wie Opfer begleitet werden, wie sie befragt werden, wie die Staatsanwälte, die Anwälte und die Angehörigen der Polizei ausgebildet werden. «Das möchte ich gerne geklärt haben», sagte Keller-Sutter.

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