Zu Unrecht am Pranger? So schlimme Klimakiller sind Schweizer Kühe wohl doch nicht

tafi

25.7.2023

Die Schweizer Kühe trifft keine Schuld an der Erderwärmung, sagt der Bauernverband.
Die Schweizer Kühe trifft keine Schuld an der Erderwärmung, sagt der Bauernverband.
KEYSTONE

Die Landwirtschaft wehrt sich gegen das Klima-Image der Kühe. Laut einer neuen Studie sollen die Methan-Emission der Rinder weniger zur Erderwärmung beitragen als angenommen. Eine Milchmädchenrechnung?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Methan-Ausstoss aus der Landwirtschaft trägt laut einer neuen Berechnungsmethode weniger zum Klimawandel bei als bislang angenommen.
  • Für den Schweizer Bauernverband (SBV) ist das ein klares Signal, bei der Rinderhaltung nichts ändern zu müssen.
  • Klimaforscher und Umweltschützer halten die SBV-Argumente für vereinfacht.

Klimakiller Rind? In Irland, so diskutierte die Regierung von einigen Wochen ernsthaft, sollten 200’000 Milchkühe getötet werden, um die Klimaziele zu erreichen. Die Sorge der Landwirte auf der Insel waren natürlich gross. Hierzulande beeilte man sich um die Feststellung, dass «aktive Bestandesreduzierungen aus unserer Sicht keinen Sinn macht», wie es vom Schweizer Bauernverband (SBV) auf Nachfrage von blue News hiess.

Bauernpräsident Markus Ritter tat den Vorschlag gar als «Schnapsidee» ab, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. Dabei hat die Debatte gerade erst begonnen. Radikale Massnahmen wie in Irland seien sogar «dringend nötig», sagte Franziska Herren der Zeitung. 

Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung»

Laut Herren sei etwa die Hälfte der Nutztiere in der Schweiz unnötig. Die Landwirtschaft täte gut daran, sich auf die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln einzustellen anstatt weiter auf tierische Produkte zu setzen. Entscheiden darüber soll letztlich das Stimmvolk: Aktivistin Herren hat die Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung» lanciert, die gerade von der Bundeskanzlei genehmigt wurde.

Die Schweizer Bauern bringen sich schon jetzt dagegen in Stellung – und berufen sich dabei auf die Wissenschaft. So schlimm seien die RIndviecher nämlich gar nicht. «Die Kuh ist nicht die ‹Klimakillerin›, wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt wird», zitiert der «Tages-Anzeiger» aus einem bislang unveröffentlichten Bericht des SBV.

Zwar sei die Landwirtschaft für 80 Prozent des Methan-Ausstosses der Schweiz verantwortlich, räume der Bauernverband in dem Bericht ein. Doch trage sie nicht in jenem hohen Ausmass zur Erderwärmung bei, wie oft behauptet werde – und beruft sich dabei auf eine wissenschaftliche Studie  der Akademie der Naturwissenschaft der Schweiz (SCNAT).

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Bauern berufen sich auf neue Berechnungsmethode

Kurzlebige Treibhausgase, wie das von den Kühen ausgestossene Methan, seien zwar potente Klimakiller. Allerdings sei die Berechnung der Wirkung nicht zeitgemäss. Methan baut sich in der Atmosphäre bereits nach zehn bis zwanzig Jahren wieder ab, was in den bisherigen Modellen vernachlässigt wird. «Die Klimawirkung von Methan ist deshalb nach der Emission sehr hoch und nimmt dann im Vergleich zu CO₂ relativ rasch ab», zitiert der «Tages-Anzeiger» Urs Neu, den Autoren der SCNAT-Studie.

Eine neue Umrechnungsmethode bezieht den raschen Methanabbau mit ein. Laut «Tages-Anzeiger» halbiert sich die Erderwärmung durch Methan alle acht Jahre. Umgerechnet in CO₂-Äquivalenten ist der Methanausstoss des Schweizer Milchviehs sechs- bis siebenmal geringer als bislang berechnet.

Für die Schweizer Landwirtschaft ein klares Argument, keine Abstriche bei den Viehbeständen machen zu müssen, um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen. Einige technische Massnahmen würden genügen: eine Steigerung des Anteils Hofdünger, der in Biogasanlagen verarbeitet wird.

Schweizer Kühe sind noch nicht aus dem Schneider

Ganz so einfach, wie es sich der Bauernverband vorstellt, sei die Sache dann aber nicht, wendet ETH-Klimaforscher Cyril Brunner ein. Zwar stellt er dem SBV-Bericht ein gutes Zeugnis aus, allerdings werde vergessen, dass Methan bereits einen erheblichen Teil zur Erderwärmung beitrage. Eine Reduktion des weltweiten Methan-Ausstosses um 50 Prozent bis 2050 sei unerlässlich, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Das würde auch die Kühe der Schweizer Landwirte betreffen.

Während SBV-Präsident Markus Ritter die Reduktion der Viehbestände vom Konsumentenverhalten abhängig machen will («Sonst stehen die Kühe nur in anderen Ländern und Milch und Fleisch kommen als Importe in die Schweiz.») findet der WWF Schweiz die ganze Berechnungsdebatte ziemlich unsinnig: «Damit die Temperaturziele erreicht werden können, gilt nach wie vor, möglichst viele Methanemissionen in möglichst kurzer Zeit zu reduzieren.»