Grösste Cannabis-Studie der SchweizDu willst legal kiffen? Dafür musst du aber fit sein
Philipp Dahm
18.3.2024
Es ist das grösste Projekt seiner Art in der Schweiz: Die Cannabis-Studie im Kanton Zürich will Daten über ein Phänomen sammeln, das im Land weit verbreitet ist. Auch die psychische Gesundheit steht dabei im Vordergrund.
P. Dahm
18.03.2024, 19:18
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Im Mai startet im Kanton Zürich in 34 Gemeinden die grösste Cannabis-Studie der Schweiz.
7500 Personen werden gesucht: 5000 dürfen bei Teilnahme vier Jahre lang legal Cannabis-Produkte kaufen.
2500 in der Kontrollgruppe müssen ihren Stoff weiter illegal beschaffen.
Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts freut sich auf weiterführende Daten, die in der Studie abfallen.
Thilo Beck ist Co-Chefarzt des Zürcher Suchtzentrums ARUD und betreut die Studie medizinisch: Er sagt, für wen sie nichts ist.
34 Gemeinden machen mit: Im Kanton Zürich startet bald das grösste Cannabis-Projekt der Schweiz. 5000 Personen aus diesem Raum können sich bis zum 2. Mai melden, um mitzumachen: Die können offiziell an bestimmten Abgabestellen Gras, Haschisch, Cannabis-Vapes oder -Tropfen aus biologischem Anbau beziehen.
Aber warum wird diese offizielle Cannabis-Studie überhaupt durchgeführt? «Cannabis ist in der Gesellschaft angekommen», sagt Dr. Thilo Beck. Der Co-Chefarzt des Zürcher Zentrums für Suchtmedizin ARUD betreut die gesundheitlichen Aspekte des Projekts.
Ihm zufolge hat sich ein Drittel der Schweizer Bevölkerung bereits strafbar gemacht, weil sie einst Cannabis konsumiert hat. Zehn Prozent habe im letzten Jahr gekifft. Dass auch der Studienleiter Paul-Lukas Good einräumt, er habe «als Jugendlicher selber konsumiert», passt ins Bild.
Good hat nach eigener Aussage das Interesse an Cannabis verloren, als er 30 geworden ist, doch dass Konsum noch immer unter Strafe steht, findet er «als Jurist ungerecht», betont er bei der Pressekonferenz in Zürch, bei der die Cannabis-Studie vorgestellt wird.
2500 von 7500 müssen weiter illegal beschaffen
Prävention und Regulierung seien wichtiger als Kriminalisierung, so Good. Ihm schwebt eine «Beratung ohne Zwang» vor, bei der die Teilnehmenden ihren Konsum reflektieren, Muster erkennen und problematisches Verhalten ändern können. Wer mitmacht, kann dank Vapes und Tropfen Cannabis auch ohne Tabak geniessen, berichtet Good.
Wie läuft das Projekt ab? Von denjenigen, die sich bis zum 2. Mai unter dieser Adresse melden, werden 7500 Personen ausgewählt. Doch 2500 davon landen nach Losentscheid in der Kontrollgruppe, die ihr Gras oder Haschisch weiter auf illegalem Weg beschaffen müssen.
Die restlichen 5000 werden ihren Stoff von der Swissextract AG beziehen. «Wir befinden uns am Ende der Prohibition», verkündet Produzent Lucien Pête, dessen Firma mit Sitz in Ried FR seit 2017 Lieferant für Cannabis-Studien ist.
Projekt-Teilnahme ist kein Freibrief
Der Anbau ist biologisch, sagt Pête: «Keine Lampe hat so viel Power wie die Sonne.» Kunstdünger, Pestizide oder Herbizide spielen demnach keine Rolle, und es fänden sich auch keine Schwermetalle in seinen Produkten. Die vier Sorten Blüten, zwei Sorten Hasch, Vapes und Tropfen haben zwischen 6 und 20 Prozent THC-Gehalt.
Das Projekt mit einem Budget von 1,4 Millionen Franken läuft über fünf Jahre. Wer teilnimmt, hat jedoch keinen Freibrief, wird auf der Pressekonferenz deutlich. So fände zwar kein Datenaustausch mit anderen Behörden statt, doch wer mitmacht, ist dennoch an die geltenden Regeln etwa im Strassenverkehr gebunden.
Und nur weil man an einer Cannabis-Studie teilnimmt, heisst das nicht, dass man in der Öffentlichkeit kiffen darf. Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts obliegt Andreas Beerli von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Diese sei unabhängig und nicht kommerziell ausgerichtet, verspricht Good. Beerli will sich insbesondere auf die sozialen und wirtschaftlichen Folgen konzentrieren.
«Dealer machen keine Beratungen»
Die könnten positiv sein – etwa weil kein Dealer mehr aufgesucht werden muss – oder negativ. Für Letzteres wäre erhöhter Konsum ein Beispiel. Die Evaluationen der Teilnehmenden werden anonymisiert, unterstreicht Beerli, der sich auf die anfallenden Daten freut. Sie werden auch etwaige Unterschiede aufzeigen – zum Beispiel zwischen Stadt und Land, verschiedenen Altersgruppen oder den Geschlechtern.
Dass Konsumierende nicht mehr zu einem illegalen Händler müssen, der womöglich auch harte Drogen anbietet, ist ein klarer Vorteil des Projekts. «Dealer machen keine Beratungen», sagt Beck ausserdem. Die durch Konsumententagebücher abfallenden Daten würden Informationen geben, die für Regulierung wichtig seien.
«Das über vier Jahre zu beobachten, wird auch der Politik helfen», ist sich der ARUD-Co-Chefarzt sicher. Ist die Studie was für alle Kiffenden? «Man muss zwischen Menschen unterscheiden, die ein Risiko haben, beim Cannabis-Konsum Komplikationen zu erleben», erklärt Beck.
«Da muss man sehr vorsichtig sein»
Er präzisiert: «Das sind Menschen, die eine genetische Belastung haben bezüglich schizophrener Erkrankungen. Wir wissen aus grösseren Studien, dass Cannabis den Verlauf von schizophrenen Erkrankungen verschlechtern kann. Da muss man sehr vorsichtig sein.»
Bei Depressionen sind sich die Fachleute offenbar nicht einig: «Es gibt Leute, die sagen, dass Cannabis auch bei Depressionen Abhilfe schaffen kann. Es gibt andere Studien, die eher darauf hinweisen, dass chronischer Cannabis-Konsum Depressionen verursachen kann. Es ist wichtig für die Konsument*innen, achtsam zu sein und im Auge zu behalten, was die Motive für den Konsum sind.»
Wie wird die psychische Gesundheit in der Studie eruiert? «Die Studienteilnehmer werden regelmässig befragt», erläutert Beck. Das geschehe zu Beginn der Studie, nach sechs Monaten, nach einem Jahr, nach zwei und nach vier Jahren. «Die bekommen gemäss der Befragung auch Rückmeldungen über ihren Gesundheitszustand und werden – sollte sich der Zustand verschlechtert haben oder schlecht sein – darauf hingewiesen, sich für eine Beratung zu melden.»
Welche Rolle spielt Cannabis im ARUD-Suchtzentrum? «Wir haben einerseits schwerpunktmässig Cannabis-Konsumierende, die das als Hauptsubstanz konsumieren, aber oft auch weitere Substanzen nehmen. Das ist eher die Regel als die Ausnahme. Oder Menschen, die hauptsächlich andere Substanzen konsumieren, aber auch Cannabis.» Becks Fazit: «Mischkonsum von verschiedenen Substanzen sehen wir sehr häufig.»