Fallzahlen steigen Verschwörungstheorien befeuern Antisemitismus in der Schweiz

ot, sda

28.2.2023 - 00:59

Antisemitische Symbole und Slogans an den Türen der Bieler Synagoge wurden im Mai 2021 mit Papier überklebt. (Archivbild)
Antisemitische Symbole und Slogans an den Türen der Bieler Synagoge wurden im Mai 2021 mit Papier überklebt. (Archivbild)
Keystone

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in der Schweiz ist 2022 laut einem neuen Bericht um 6 Prozent auf 910 gestiegen. Für viele Fälle sei eine von Verschwörungstheorien besessene Subkultur verantwortlich.

ot, sda

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in der Schweiz ist 2022 laut einem neuen Bericht um 6 Prozent auf 910 gestiegen. Für viele Fälle sei demnach eine von Verschwörungstheorien besessene Subkultur verantwortlich. Der Staat müsse gegen Hassbotschaften auf Telegram vorgehen, schrieben die Autoren.

Gemäss dem am Dienstag veröffentlichten Antisemitismusbericht 2022 wurden im letzten Jahr im Onlinebereich 853 (+6 Prozent) Vorfälle verzeichnet. In der realen Welt stieg die Zahl der gemeldeten Ereignisse von 53 auf 57. Die Erhebung für die deutsch-, italienisch- und rätoromanischsprachige Schweiz führten der Schweizerische Israelitische Gemeindebund SIG und die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus durch.

Schuld an einem Grossteil der Onlinevorfälle ist dem Bericht zufolge die Subkultur und deren Gruppen im Kommunikationsdienst Telegram. 75 Prozent der gemeldeten Fälle im Internet ereigneten sich in diesem Messengerdienst. Das bedeute eine massive Steigerung gegenüber dem Vorjahr, als der Telegram-Anteil noch bei 61 Prozent lag.

Gründe für die Steigerung seien einerseits die bereits in den Vorjahren kritisierte nicht vorhandene Moderation und Sanktionierung durch die Betreibenden der Plattform. Andererseits falle die ununterbrochen starke Aktivität dieser Szene auf, hiess es im Bericht.

Glauben an geheime Macht

Bereits in den vergangenen Jahren kamen die Autoren zum Schluss, dass die Corona-Pandemie antisemitischen Verschwörungstheorien Aufwind bescherte. Aus der Gegnerschaft der staatlichen Corona-Massnahmen habe sich in der Schweiz eine staats- und gesellschaftsfeindliche Subkultur entwickelt, die von Verschwörungstheorien aller Art besessen sei. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sei die Verbreitung von Verschwörungstheorien weiter angetrieben worden.

Gemeinsam sei den Mitgliedern der Subkultur, dass sie hinter allem eine geheime Macht sähen, welche die Menschheit beherrschen, versklaven oder ausrotten wolle, teilen die Autoren weiter mit. Diese geheime Macht werde als eine kleine Elite mit vielen Gesichtern verstanden. Dabei werde schnell eine Verknüpfung zu «den Juden» gemacht.

In der realen Welt kam es den Zahlen zufolge im letzten Jahr im Schnitt zu etwas mehr als einem antisemitischen Vorfall pro Woche. Es handelte sich dabei vor allem um Aussagen, Beschimpfungen und Schmierereien. Erstmals seit 2018 wurde auch wieder eine Tätlichkeit gemeldet. Einem jüdischen Mann mit Kippa wurde im Februar 2022 in Zürich von vier Jugendlichen ein voller Joghurtbecher an den Rücken geworfen, wie es im Bericht hiess.

Parlament soll Nazisymbole verbieten

Die Autoren forderten im jüngsten Antisemitismusbericht neu ein staatliches Engagement beim Monitoring von Antisemitismus und Rassismus. Es könne nicht sein, dass diese Aufgaben allein in der Verantwortung von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden lägen, schrieben sie.

Es müssten zudem rechtliche Mittel zur Erfassung und Beschränkung von Hassreden geprüft werden, hiess es im Bericht. Die Politik müsse auf Social-Media-Plattformen – insbesondere Telegram – einwirken, die Verbreitung von Hassbotschaften gegenüber Minderheiten zu unterbinden. Überdies soll das Parlament ein Verbot von Nazisymbolen umsetzen.

Für die Sicherheit von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen hatte der Bundesrat im April 2022 entschieden, die Mittel des Bundes ab 2023 von 500'000 Franken auf insgesamt 2,5 Millionen Franken pro Jahr zu erhöhen. Damit will der Bund die Sicherheitskosten gefährdeter Einrichtungen wie etwa Synagogen berücksichtigen.