Hybride KriegsführungGeheimdienst-Chef möchte mehr Befugnisse
tjnj
4.3.2023
Der Nachrichtendienst des Bundes verstand sich lange als Informant des Bundesrates. Doch mit Hinblick auf die hybride Kriegsführung Moskaus sagt NDB-Chef Christian Dussey: Mehr Befugnisse müssen her.
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04.03.2023, 00:00
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Als Wladimir Putins Truppen am 24. Februar 2022 die Ukraine angriffen, reagierte die Weltgemeinschaft überrascht und schockiert. Geheimdienste hatten dieses Szenario aber auf dem Schirm: Die CIA rechnete bereits zwei Wochen vor der Attacke mit einem russischen Einmarsch in das Land.
Auch der Bundesrat war vom Nachrichtendienst des Bundes von der Möglichkeit unterrichtet worden. Im Gespräch mit der «Neuen Zürcher Zeitung» gibt NDB-Chef Christian Dussey zu Protokoll, «ab Januar 2022 auf eine hohe Wahrscheinlichkeit» hingewiesen zu haben, «dass sich nach Ende der Olympischen Spiele in Peking am 20. Februar ein Zeitfenster von etwa einem Monat für einen Angriff» eröffnen würde. Bereits im Jahresbericht 2021 sei «die Möglichkeit eines Krieges» erwähnt worden.
«Wir haben die Risikobereitschaft von Putin unterschätzt»
Dass der Bundesrat vom Ausbruch des Krieges dennoch überrascht war, nimmt Dussey auch auf die eigene Kappe. Eine Lehre, die er aus dem Vorfall gezogen habe, sei, dass der Nachrichtendienst seine «Botschaften an die politischen Behörden klarer formulieren» müsse. Auch gelte es, neben der «Fähigkeiten der Gegner» auch deren Absichten besser zu analysieren.
So seien «die imperialistischen und revanchistischen Ambitionen» des Kremlchefs schon seit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007 bekannt gewesen. «Wenn wir einen Fehler gemacht haben», sagt Dussey, «dann den, dass wir die Risikobereitschaft von Präsident Putin unterschätzt haben».
Damit, dass Moskau plane, die gesamte Ukraine unter russische Kontrolle zu bringen, habe nämlich niemand gerechnet. Allein schon deshalb, weil Zustand und Ausstattung des russischen Militärs das gar nicht hergäben.
Revision des Nachrichtendienstgesetzes steht an
Als konkrete Auswirkung des Krieges auf die Schweiz nennt der NDB-Direktor russische Beeinflussungsoperationen. Damit meint er etwa die gezielte Verbreitung von Desinformationen in den sozialen Medien.
Das Nachrichtendienstgesetz beschränke die Befugnisse bei der Bekämpfung solcher Kampagnen allerdings: «Der NDB darf sich nur dann mit Beeinflussungsoperationen befassen, wenn ausländische Nachrichtendienste involviert sind. Es ist uns auch nicht erlaubt, Gegenmassnahmen zu ergreifen.»
Hier hofft der NDB-Chef auf baldige Besserung. Das Nachrichtendienstgesetz nämlich wird derzeit revidiert. «Wir hoffen, dass wir bald eine Rechtsgrundlage haben werden, die der heutigen Realität Rechnung trägt», so Dussey.
Grundlegender Wandel in Zukunft?
Dabei bemängelten Kritiker*innen bereits beim Eintritt des derzeit gültigen Nachrichtendienstgesetzes im Jahr 2017 die damit ermöglichten neuen Befugnisse des NDBs. Die Überwachungsmöglichkeiten des Dienstes wurden damit ausgebaut. So kann der NDB Bürger*innen in deren Wohnungen sowie bei ihren Telefongesprächen abhören oder sich Zugriff auf Privatcomputer verschaffen.
Sollten Dusseys Wünsche nach mehr Befugnissen in Erfüllung gehen, könnte das einen grundlegenden Wandel im Wesen des Nachrichtendienstes bedeuten.
Noch 2019 hatte der ehemalige NDB-Chef Peter Regli, ebenfalls in der NZZ, den NDB als «rein analytischen, intellektuellen Nachrichtendienst, der für den Bundesrat Informationen beschafft» beschrieben, ihm also eine rein passive Tätigkeit zugeschrieben.
Die neutrale Schweiz ist bei Spionen beliebt
Möchte der NDB nun aber gegen Desinformation im Internet vorgehen, muss er aktiv werden. Damit steht womöglich ein Image-Wandel an. Denn mit einem neutralen Land geht auch ein neutraler Nachrichtendienst einher. So meinte auch Regli, dass «das freiheitliche Klima in der neutralen Schweiz» eben auch «von Spionen seit je geschätzt» werde.
Auch der Nachrichtendienstexperte Clement Guitton bescheinigte der Schweiz 2019 auf dem SRG-Portal «Swissinfo» «ein ambivalentes Verhältnis zur Bekämpfung von Spionage».
Das hänge auch mit dem Anspruch zusammen, sich als «Verhandlungsort diplomatischer Gespräche zu etablieren»: Werde Spionage auf Schweizer Grund bekannt, stünde der Ruf als sicherer Verhandlungsort auf dem Spiel.
Wandel hin zu einem aktiveren Geheimdienst
Doch seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine ist auch die Schweizer Neutralität – etwa in Bezug auf mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine – öffentlich in Frage gestellt worden, zuletzt von der ukrainischen Botschafterin Iryna Wenediktowa.
Doch das Thema spaltet auch die Bevölkerung. So sprach sich in einer Umfrage im Auftrag von Tamedia und «20 Minuten» die Hälfte der Befragten dafür aus, Drittstaaten eine Weitergabe von Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine zu erlauben. Neutralität als Konzept findet dennoch immer noch mit 68 Prozent eine breite Zustimmung in der Bevölkerung.
Insofern könnte der Wandel hin zu einem aktiveren Geheimdienst auch ein Zeichen für einen Wandel im Zeitgeist sein, der wiederum die internationale Lage widerspiegelt.
«Die Welt wird komplexer, der geopolitische Wettbewerb nimmt zu», sagt auch Christian Dussey. «Der Privatsektor muss sich stärker als bisher mit geopolitischen Risiken auseinandersetzen. Die Lieferketten werden viel anfälliger.»
Der NDB-Chef will für diese neue Welt gerüstet sein.