Pharmakonzerne fordern Auffrischung Müssen wir nach sechs Monaten schon wieder zur Impfung?

Von Andreas Fischer und Gil Bieler

9.7.2021

Die Pharmakonzerne Pfizer und Biontech wollen mit einer dritten Impfung zur Auffrischung nicht lange warten. Experten hingegen bleiben gelassen.
Die Pharmakonzerne Pfizer und Biontech wollen mit einer dritten Impfung zur Auffrischung nicht lange warten. Experten hingegen bleiben gelassen.
KEYSTONE

Auffrischung nach sechs Monaten: Pharmakonzerne mahnen wegen der Delta-Variante bei Drittimpfungen zur Eile. Müssen wir also bald wieder ins Impfzentrum? Fachleute winken ab.

Von Andreas Fischer und Gil Bieler

Die Impfstoffhersteller Pfizer und Biontech gehen davon aus, dass die Wirkung ihres gemeinsamen Coronavirus-Vakzins nach einem halben Jahr nachlässt. Die Pharmakonzerne berufen sich in ihrer Mitteilung auf vom israelischen Gesundheitsministerium erhobene Daten aus der praktischen Anwendung. Diese hätten gezeigt, dass «die Schutzwirkung des Impfstoffs gegenüber Infektionen und symptomatischen Erkrankungen sechs Monate nach der zweiten Impfung» sinke.

Für Geimpfte würde demzufolge eine Auffrischung «innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der vollständigen Impfung erforderlich». Doch daran werden Zweifel laut: Nicht nur haben in den USA die Arzneimittelbehörde (FDA) und die Gesundheitsbehörde (CDC) ungewöhnlich schnell und deutlich widersprochen, auch Schweizer Fachleute sind alles andere als überzeugt.

«Die Wirkung hält länger an»

«Was die Hersteller vermelden, muss genau abgewogen werden», sagt Daniel Speiser, Immunologe am Universitätsspital Lausanne, auf Nachfrage von «blue News». «Es gibt verschieden Daten die Zeitdauer des Immunschutzes betreffend, die mal in die eine, mal in die andere Richtung zeigen. Tatsache ist, dass der Schutz vor schweren Krankheitsverläufen beträchtlich länger anhält, viel länger als sechs Monate.»

Der Mediziner erklärt: «Die Angabe, dass die Schutzwirkung des Impfstoffes nach einem halben Jahr nachlässt, trifft nicht auf die Schweiz und Mitteleuropa zu. Man weiss mittlerweile, dass die Wirkung länger anhält und rechnet zurzeit mit etwa zwölf Monaten. Insofern gibt es noch keine Impfempfehlung für eine Auffrischung, nachdem man zwei Dosen erhalten hat.»

In der Schweiz keine Auffrischung nach nur sechs Monaten

In der Schweiz kommt neben dem mRNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech vor allem das auf der gleichen Technologie beruhende Mittel von Moderna zum Einsatz. Laut aktuellen Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) wurden bislang 3’272’008 Personen vollständig geimpft, davon 1’279’534 mit dem Pfizer/Biontech-Vakzin (Stand: 4. Juli 2021).

Die Betroffenen werden sich kaum im nächsten halben Jahr um einen neuerlichen Impftermin bemühen müssen: «Das wird sehr wahrscheinlich nicht der Fall sein, vor allem nicht für alle Geimpften», erklärt Speiser. «Ich kann mir vorstellen, dass allfällige erste Empfehlungen zuerst für Risikogruppen und ältere Patienten gegeben werden.»



Erst Ende Juni hatte die wissenschaftliche Taskforce des Bundes die erwartete Schutzdauer von mRNA-Impfstoffen mit bis zu drei Jahren angegeben. Ein Widerspruch zu den israelischen Daten, auf die sich Pfizer und Biontech berufen? Nicht unbedingt, findet Speiser: «Das hängt natürlich auch von den zirkulierenden Varianten ab. Der Schutz gegen gewisse Virusvarianten ist leicht schwächer.»

Auf die Frage, ob die derzeit in der Schweiz verabreichten Impfstoffe einen ausreichenden Schutz vor der dominant werdenden Delta-Variante bieten, antwortet Speiser mit einem klaren Ja: «Die Wirksamkeit ist vielleicht minimal verringert, aber immer noch sehr gut. Man sollte deswegen nicht beunruhigt sein.»

Viele Fragezeichen

Ähnlich klingt es bei der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte. Deren Vizepräsidentin, die Berner Kantonsärztin Linda Nartey, hält auf Anfrage generell fest: «Die in der Schweiz angewendeten Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna bieten eine hohe Sicherheit und Wirksamkeit gegen schwere Erkrankungen und Hospitalisationen.»

Die besagten Studiendaten von Pfizer/Biontech lägen den Kantonsärzten noch nicht vor, entsprechend sei vieles noch nicht geklärt: «Wir haben noch keine Information darüber, ob nach einer Auffrischimpfung allenfalls eine längerfristige Immunität besteht oder ob regelmässige Auffrischimpfungen notwendig sein werden.» Wie oft eine solche Auffrischungsimpfung nötig sein werde, hänge auch von den zirkulierenden Virus-Varianten ab.

Sollte aber «in relativ engen Abständen» – also alle sechs Monate – eine solche neue Dosis nötig werden, «kann das Auswirkungen auf die Impfbereitschaft haben». 



Das BAG teilt auf Nachfrage schriftlich mit, dass es über keine eigenen Erkenntnis zu einer verminderten Schutzwirkung der in der Schweiz eingesetzten Impfstoffe verfüge. «Es gibt jedoch Erkenntnisse aus Grossbritannien, wonach Pfizer/Biontech zwar nur 33 Prozent Schutz vor symptomatischer Infektion mit der Delta-Variante nach der ersten Dosis bietet, aber 88 Prozent nach der zweiten Dosis», so Mediensprecherin Danièle Bersier.

Wichtiger noch: Bei einer Infektion mit der Delta-Variante besteht bereits nach der ersten Dosis ein 94-prozentiger Schutz vor schweren Verläufen, der sich nach der zweiten Dosis auf 96 Prozent erhöht. Zu Moderna gebe es laut BAG noch keine entsprechenden Erkenntnisse.

Logische Schritte der Pharmaindustrie

Pfizer will schon in der nächsten Woche die Zulassung für die Auffrischung bei der US-Gesundheitsbehörde FDA und der EU-Arzneimittel-Agentur EMA beantragen. «Dass sich die pharmazeutische Industrie darauf vorbereitet, was nach den zurzeit empfohlenen Impfungen kommt, ist logisch», analysiert Speiser. «Man soll mit den Vorbereitungen voranschreiten, insbesondere in Bezug auf die Applikationen für amtliche Bewilligungen von Auffrischungs-Impfungen.» Das hiesse allerdings nicht automatisch, dass sie dann auch eingesetzt würden.

«Kurzfristig weitere Impfungen zu verabreichen, halte ich zurzeit für falsch», sagt Speiser. «Wie gesagt: Im Moment gibt es dafür auch keine Empfehlung. Das heisst allerdings nicht, dass solche Empfehlungen nicht zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen wird.»

Zweite Generation von Impfstoffen in der Entwicklung

Falls es dazu kommen sollte, wäre die Schweiz laut BAG gut vorbereitet. «Die Schweiz hat einen weiteren Vertrag mit dem Biotech-Unternehmen Moderna abgeschlossen. Damit ist die Schweizer Bevölkerung auch im Jahr 2022 mit genügend mRNA-Impfstoff versorgt», so Danièle Bersier.

Der neue Vertrag sehe die Lieferung von insgesamt sieben Millionen Dosen in den ersten Monaten des Jahres 2022 vor. Ausserdem gebe es eine Option für zusätzliche sieben Millionen Dosen im weiteren Verlauf des Jahres 2022. Der Frage, wer bei einer Auffrischung die Kosten übernimmt, weicht das BAG aber aus: «Das ist im Moment noch eine hypothetische Frage und steht noch nicht endgültig fest.»



Bei der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und –direktoren (GDK) ist man auf alles vorbereitet, wie die stellvertretende Generalsekretärin Katrin Huber auf Anfrage mitteilt. Die Kantone folgen demnach den Impfempfehlungen der EKIF beziehungsweise des BAG: «Wenn konkret wird, wann Booster-Impfungen notwendig werden und welche Bevölkerungsgruppen diese benötigen, werden die Kantone ihre Impforganisation entsprechend auf- oder umrüsten.»

Derweil sind die Pharmafirmen nicht nur bestrebt, die Zulassung für eine Auffrischungs-Impfung zu bekommen, sondern konzentrierten sich auf Impfstoffe gegen neue Varianten. Dies sei unbedingt nötig, weil sie unter Umständen eine modifizierte Zweitgeneration der Impfstoffe notwendig machen, sagt Speiser: «Es ist wichtig, dass daran bereits jetzt gearbeitet wird.» Wie das Nachrichtenmagazin «Spiegel» berichtet, sind sowohl Pfizer/Biontech als auch Moderna relativ weit in der Entwicklung der nächsten Generation von Impfstoffen.

Mit Material von dpa.