Coronapolitik Presseschau Medien gehen mit Bundesrat hart ins Gericht

SDA/sob

29.10.2020

Im Schweizer Blätterwald rauscht es. Unisono üben die Medien harsche Kritik an der Corona-Politik des Bundesrats: zu spät, zu zögerlich, zu uneinheitlich, so der Tenor. (Symbolbild)
Im Schweizer Blätterwald rauscht es. Unisono üben die Medien harsche Kritik an der Corona-Politik des Bundesrats: zu spät, zu zögerlich, zu uneinheitlich, so der Tenor. (Symbolbild)
Keystone

War der Bundesrat während der ersten Corona-Welle noch weitherum für sein gutes Krisenmanagement gelobt worden, so brandet ihm nun eine Welle von Kritik entgegen. Die Landesregierung habe die zweite Welle unterschätzt und zu spät reagiert, so der Tenor der Schweizer Medien.

Neue Zürcher Zeitung

«Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern High Noon», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» in einem Kommentar zu den jüngsten Massnahmen des Bundesrates zur Eindämmung des Coronavirus. Wenn die Schweiz die Corona-Pandemie wieder in den Griff bekommen wolle, dann müssten jetzt alle an einem Strick ziehen: Bevölkerung, Wirtschaft und Politik. Zu lange sei die Wucht der zweiten Welle unterschätzt worden. Und zu lange habe man zugewartet. Das Umdenken müsse im Kopf erfolgen. Das Massnahmenpaket des Bundesrates sei ein Weckruf. Jeder sei aufgefordert, sich so weit einzuschränken, dass er andere und sich selber möglichst wenig der Gefahr einer Ansteckung aussetze.

Tages-Anzeiger

Der Bundesrat geht nach Ansicht des «Tages-Anzeigers» bei der Bekämpfung des Coronavirus zu zurückhaltend vor. Verglichen mit dem Ausland und den Massnahmen, die der Kanton Wallis ergriffen habe, gehe die Landesregierung weniger weit. Der Bundesrat gewichte die Wünsche der Wirtschaft höher. Das sei eine riskante Strategie. Das Risiko trügen die Schwächsten. Der Bundesrat sei im Spinnennetz des Föderalismus hängen geblieben. Die exponentiell wachsenden Covid-Zahlen bestätigten aufs neue, dass Verantwortung nicht teilbar sei. Der Bundesrat sollte jetzt zur ausserordentlichen Lage zurückkehren und das Land wohlbedacht durch den Krisenwinter führen.

Blick TV

Mit dem Massnahmenpaket des Bundesrates habe die Schweiz eine letzte Chance, die Fallzahlen zu senken und zu verhindern, dass die Spitäler überlastet würden, kommentierte der Chefredaktor des «Blick» die jüngste Entwicklung. In den letzten Wochen sei ein totales Versagen der Kantonsregierungen und des Bundesrates feststellbar gewesen. Sie hätten nichts unternommen und die Menschen vertröstet. Dabei sei wohl schon absehbar gewesen, dass die Schweiz sehenden Auges in eine Katastrophe schlittere. Die nun beschlossenen Massnahmen seien das Minimum, das nötig sei. Nur so könne ein zweiter Lockdown hoffentlich noch verhindert werden.

CH Media

Die vom Bundesrat beschlossenen Corona-Massnahmen schränken laut dem Chefredaktor der CH Media vor allem die Freizeit und das kulturelle Leben ein. Der Berufsalltag und die Unternehmen seien weniger betroffen. Es sei richtig vom Bundesrat, die Wirtschaft so weit wie möglich weiterlaufen zu lassen und so Arbeitsplätze zu sichern. Der Mensch brauche aber nicht nur Arbeit. Er verkümmere ohne Kultur, Theater, Museen und Kleinkunst. Gleich mehrfach sei in den letzten Wochen und Monaten Zeit verspielt worden, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Es sei noch nicht zu spät. Die Schweiz verfüge über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Jeder einzelne Mensch müsse nun seinen Teil dazu beitragen, das Virus zu stoppen.

Südostschweiz

Es gelte in der Corona-Pandemie, keine Zeit mehr zu verlieren, kommentiert auch die «Südostschweiz». Die Schweiz habe zu lange zugeschaut, während die Nachbarländer Schliessungen, nächtliche Ausgangssperren und Maskentragpflichten in Aussenräumen längst verfügt hätten. Zwar hätten auch die Nachbarn die Lage nicht im Griff, aber besser als die Schweiz. Im Kanton Graubünden gehe es um viel. Die Wintersaison stehe vor der Tür, mit einer sehr unsicheren Prognose. Nur wenn die Infektionszahlen sänken und Graubünden von der Liste der Risikogebiete gestrichen werde, bestehe Hoffnung. Der Kanton habe es in der Hand, weitere Einschränkungen zu beschliessen. Noch verzichte er darauf. Die Frage sei, wie lange noch.

Der Bund

Die zu späte Reaktion von Bund und Kantonen bei der zweiten Corona-Welle thematisiert auch der Chefredaktor des Berner «Bund». Es sei aber zu billig, wegen der Versäumnisse ein Systemversagen zu beklagen. Wenn nicht gerade eine Pandemie herrsche, funktioniere das System nämlich hervorragend. Dank föderalistischer Machtteilung und dem Zwang zu austarierten Lösungen sei die Schweiz eines der erfolgreichsten Länder der Welt. Wichtig sei, dass die Behörden dazulernten. Der Bundesrat müsse darauf achten, dass sich nicht weite Teile der Bevölkerung vom Kampf gegen das Virus abmeldeten. Die Pandemie-Müdigkeit sei momentan die grösste Gefahr.

20 Minuten

Der Bundesrat habe ein gutes Massnahmenpaket ausgearbeitet, zitiert die Pendlerzeitung «20 Minuten» den Tessiner Infektiologen Andreas Cerny. Es sei zu begrüssen, dass die Regeln bereits seit Mitternacht in Kraft seien. Die Einschränkungen hätten jedoch bereits deutlich früher beschlossen werden müssen. Es sei wertvolle Zeit verloren gegangen. Die neuen Massnahmen seien wohl der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Bund und Kantonen. Es gebe noch Luft nach oben. Cerny zeigte sich überzeugt, dass die Massnahmen die Infektionskurve beim Coronavirus abflachen werden. Es gelte nun vor allem, die Zahl der Hospitalisationen und die Belegung der Intensivbetten zu senken.

watson.ch

Hart mit der Landesregierung ins Gericht geht das Online-Newsportal watson.ch. Das Vorgehen des Bundesrates erinnere an das Lied «Dr Alpeflug» von Mani Matter über zwei Freunde im Sportflugzeug. Da versuche der Passagier dem Piloten zu sagen, dass das Benzin ausgehe. Doch der verstehe wegen des Motorenlärms kein Wort. Als der Motor abgestellt habe, hätten beide die Situation erkannt. Mit anderen Worten: Um eine Pandemie zu bewältigen, müsse die Regierung die Menschen an Bord holen. Überzeugt werde die Bevölkerung aber nur durch kompetentes Handeln, vollständige Information, ehrliche Kommunikation und transparente Fehlerkultur. In den letzten Wochen sei das exakte Gegenteil zu beobachten gewesen.

Le Temps

Die Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» sieht vor allem den Profi-Sport als Verlierer der jüngsten Corona-Massnahmen des Bundes. Die Situation gleiche einem Skifahrer, der nach langer Verletzung zurückkehre und sich die Bänder in der dritten Kurve des zweiten Laufs reisse. Die Beschränkung auf 50 Zuschauerinnen und Zuschauer sei im Sport gleichbedeutend mit einer Schliessung. Und das zu einem Zeitpunkt, da die Clubs viel Aufwand für ein Schutzkonzept investiert hätten, das effizient sei und hohe Kosten verursacht habe. Das Fazit für die Zukunft könne nur lauten: Nur nichts planen. Doch gerade Planung und Zuverlässigkeit seien im Sport enorm wichtig.

Tribune de Genève/24 Heures

Der Bundesrat hätte laut einem Kommentar in der «Tribune de Genève» eine Woche früher auf das sich rasant ausbreitende Coronavirus reagieren können. Die Vernehmlassung bei den Kantonen habe unnötig Zeit verschlungen. Verglichen mit anderen Staaten in Europa stehe die Schweiz schlecht da. Es sei müssig zu fragen, wer daran Schuld sei. Die Schweiz befinde sich mitten in der zweiten Welle. Verglichen mit dem vom Bundesrat im März beschlossenen Massnahmen, seien die jetzigen Beschlüsse weniger einschneidend und bereits in einigen Kantonen in Kraft. Die kommenden Wochen müssten zeigen, ob der Bundesrat hart genug agiert habe oder die Zügel noch stärker selbst hätte in die Hand nehmen müssen.

Le Quotidien Jurassien

Der Bundesrat unternehme mit dem Massnahmenpaket zur Eindämmung des Coronavirus einen willkommenen Schritt, die Kakofonie der letzten Wochen zu beenden, schreibt der Chefredaktor des «Quotidien Jurassien» in seinem Kommentar. Es brauche ein Minimum an nationalen Vorschriften. Die Kantone hätten immer noch die Möglichkeit, bei Bedarf strengere Regelungen durchzusetzen. Wichtig sei, dass die Regeln für die Bevölkerung gut verständlich seien. Hier sei noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten, gebe es doch nach wie vor viele offene Fragen. Ausschlaggebend für den Erfolg der Massnahmen werde sein, dass jeder einzelne seine Verantwortung wahrnehme.

Le Courrier

Der Bundesrat habe im letzten Moment die Kurve gekriegt, kommentiert die Westschweizer Tageszeitung «Le Courrier». Das Pflegepersonal habe unüberhörbar die Alarmglocke geläutet. Das habe den Druck erhöht. Bereits nach der ersten Welle sei die Schweizer Bevölkerung erschöpft gewesen. Das sei verständlich. Die Wirtschaft ihrerseits habe die Probleme lange nicht ernst genug genommen. Offen bleibe, wer die nun beschlossenen Massnahmen des Bundes kontrolliere. Und schliesslich fehlten auch Massnahmen zum Schutz von Beschäftigung und Löhnen im Paket des Bundesrates, kritisiert die Zeitung.

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