Abschaltung geplant Marcel Salathé kritisiert BAG für Umgang mit Swisscovid-App

Von Gil Bieler

9.3.2022

Berset über steigende Fallzahlen: «Es war so zu erwarten»

Berset über steigende Fallzahlen: «Es war so zu erwarten»

Die Corona-Fallzahlen steigen im März wieder deutlich an. Für Bundesrat Alain Berset ist das keine Überraschung. «Es war so zu erwarten nach der Aufhebung der Massnahmen.» Massstab bleibe aber die Situation in den Spitälern.

09.03.2022

Ende Monat will der Bundesrat die Swisscovid-App deaktivieren. Dabei wäre die Warn-App weiterhin nützlich, meint Epidemiologe Marcel Salathé. Der Bund habe es aber versäumt, ihr volles Potenzial zu nutzen.

Von Gil Bieler

«Mögliche Ansteckung. Sie könnten sich angesteckt haben.»

Diese Warnung der Swisscovid-App dürfte derzeit auf vielen Handybildschirmen aufploppen. Die Corona-Fallzahlen schnellen seit einigen Tagen wieder in die Höhe, rund 20'900 Personen werden derzeit pro Tag positiv auf das Virus getestet. Vor einer Woche lag der 7-Tage-Schnitt noch bei 14'900. 

Doch Anfang April fallen auch die letzten Schutzmassnahmen weg, die Schweiz kehrt zur «normalen Lage» zurück. In Zug und Bus braucht es dann keine Maske mehr, positiv getestete Personen müssen sich nicht mehr isolieren, und auch die Warn-App will der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt deaktivieren – vorerst.

Ab da sei «die Voraussetzung für eine wirksame Weiterführung der Swisscovid-App zumindest vorübergehend nicht mehr gegeben, weil gleichzeitig mit der Aufhebung der Isolationspflicht das Contact Tracing stark abgebaut wird», argumentiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Wenn nötig, könnte die App im Winter 2022/23 aber rasch wieder in Betrieb genommen werden, meldet die Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Kantone können sich noch bis Montag zu diesen Plänen äussern.

Hat die App in der Omikron-Welle überhaupt noch einen epidemiologischen Nutzen? «Im Prinzip ja», erklärt der Epidemiologe Marcel Salathé auf Anfrage. «Man vergisst es vielleicht gerne, aber die Fallzahlen und die Test-Positivitätssrate sind im Rekordhoch. Die App kann also nach wie vor warnen, was wichtig bleibt.»

Auch das BAG bestätigt: «Da die Ansteckungen nach wie vor hoch sind, soll die App weiter auf dem Mobiltelefon belassen und zurzeit auch noch aktiv gehalten werden.» Die Nutzer*innen würden rechtzeitig darüber informiert, wenn dies nicht mehr empfohlen sei.

«Auf der Seite liegen gelassen»

Obwohl Salathé die Anwendung generell als nützlich erachtet, übt er Kritik am BAG: «Die App bleibt weit hinter ihrem Potenzial» zurück, weil der Bund sie weder weiterentwickelt noch angepasst habe. «Es ist bedenklich, dass in der Schweiz eine Technologie, deren Nutzen wissenschaftlich mehrmals aufgezeigt wurde, so auf der Seite liegen gelassen wurde», findet der Professor der ETH Lausanne. «Im absoluten Minimum hätte man die Parameter an die neuen Varianten anpassen sollen.»

Will heissen: Die App definiert «engen Kontakt» ab einer Dauer von mindestens 15 Minuten mit weniger als 1,5 Meter Sicherheitsabstand, sofern keine Schutzmassnahmen vorhanden waren. Es ist dieselbe Definition, wie sie bereits vor Auftreten der deutlich ansteckenderen Omikron-Variante galt.

Epidemiologe Marcel Salathé vermisst Anpassungen bei der Swisscovid-App.
Epidemiologe Marcel Salathé vermisst Anpassungen bei der Swisscovid-App.
BIld: Keystone

Die technische Seite ist das eine – die menschliche das andere. Die Zahlen des BAG werfen zumindest die Frage auf,  wie viele Menschen die App noch so nutzen, wie es gedacht ist. Zur Erinnerung: Nur wenn jemand nach einem positiven Test einen Code eingibt, informiert die App die engen Kontaktpersonen. Und die Zahl der eingetippten Codes stieg nicht im gleichen Mass an wie jene der Infektionen.

Tippt auch jeder und jede den Code ein?

Covid-Zertifikat bleibt

Eine App müssen die meisten auch ab dem 1. April auf dem Handy installiert lassen: das Covid-Zertifikat. Die gesetzliche Grundlage für dessen Weiterführung besteht bis Ende 2022. «Das Zertifikat und die entsprechenden Systeme sind weiterhin für internationale Reisen notwendig», begründet das BAG, die internationale Kompatibilität des Zertifikats – vor allem mit der EU – habe Priorität. 

Derzeit werden täglich 1300 Codes eingegeben. Zum Vergleich: Ende Oktober 2020, auf dem Höhepunkt der zweiten Infektionswelle, waren es mit 1100 Codes ähnlich viele. Nur: Die Infektionszahlen lagen damals bei rund 8000 pro Tag, weniger als der Hälfte des heutigen Werts. Es scheint, als würde bei Weitem nicht jede und jeder mittels App warnen.

Wobei auch die Zahl der aktiven Nutzer*innen zurückgegangen ist. Derzeit sind es rund 1,5 Millionen, der Höchstwert waren knapp 2 Millionen Nutzer*innen.

Auch Marcel Salathé lässt die App aktiviert, solange sie funktioniert. «Damit kann ich andere warnen, und selber gewarnt werden», erklärt er. Und: «Die App speichert ja keine sensiblen Daten.»

Das Aus der Swisscovid-App will der Bundesrat voraussichtlich an seiner Sitzung vom 30. März beschliessen. Die App würde dann auf den 1. April hin deaktiviert.

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