Nach Forschungen auf eigenen Wunsch Klaus-Michael Kühne vertuscht Nazigeschichte seines Konzerns

Samuel Walder

15.9.2024

Der Hamburger Unternehmer Klaus-Michael Kühne ist bekennender Opernfan.
Der Hamburger Unternehmer Klaus-Michael Kühne ist bekennender Opernfan.
Axel Heimken/dpa

Was will Klaus-Michael Kühne verheimlichen? Der reichste Mann der Schweiz beauftragte Forscher, eine Studie zu seinem Unternehmen in der Nazi-Zeit zu erstellen. Publik macht er sie aber nicht. 

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Klaus-Michael Kühne und sein Unternehmen Kühne + Nagel stehen wegen ihrer Verstrickung in die Nazi-Zeit und die Plünderung jüdischen Eigentums im Zweiten Weltkrieg in der Kritik.
  • Trotz historischer Enthüllungen, die seine Familie und das Unternehmen belasten, verweigert Kühne die Publikation der Studie.
  • Kühne + Nagel profitierte während der NS-Zeit durch den Transport geraubter Güter und Raubkunst, was zum späteren globalen Erfolg des Unternehmens beitrug.

Klaus-Michael Kühne, der reichsten Einwohner der Schweiz mit einem geschätzten Vermögen von 34 Milliarden Franken, steht wegen der NS-Vergangenheit seines Familienunternehmens Kühne + Nagel in der Kritik, wie der «Tages Anzeiger» schreibt. 

Der 87-jährige Hamburger baute das Unternehmen zu einem globalen Logistikriesen, mit Hauptsitz in Schindellegi SZ auf. Heute ist er der grösste Aktionär der Lufthansa-Gruppe sowie der Reederei Hapag-Lloyd. Jetzt werfen historische Enthüllungen einen Schatten auf das Erbe der Firma.

Kühne + Nagel spielte während des Zweiten Weltkriegs eine zentrale Rolle bei der sogenannten M-Aktion. So nannte man den Raub von Möbeln und Eigentum jüdischer Familien, die von den Nazis deportiert oder geflohen waren. Kühne + Nagel hatte ein Monopol beim Abtransport dieser Güter aus etwa 70.000 Wohnungen in Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden zwischen 1942 und 1944.

Vergangenheit in der Nazi-Zeit

Die Verstrickungen des Unternehmens reichen tief in die Zeit des Dritten Reichs zurück. Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 traten Klaus-Michael Kühnes Vater Alfred und dessen Bruder Werner in die Partei ein. Das war nur möglich, nachdem sie den jüdischen Hauptanteilseigner Adolf Maass ohne Entschädigung aus der Firma gedrängt hatten.

Maass und seine Frau wurden später im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Seit diese Verbindungen öffentlich wurden, gibt es immer wieder negative Schlagzeilen über Kühne + Nagel. Klaus-Michael Kühne hat sich jedoch stets geweigert, die Geschichte seines Unternehmens während der NS-Zeit vollständig aufarbeiten zu lassen.

Im 125-jährigen Jubiläumsbuch von 2015 erwähnte das Unternehmen Adolf Maass sowie die Abhängigkeit von Nazi-Aufträgen und die Unterstützung bei der Plünderung jüdischen Eigentums. Maass' Ausscheiden wurde jedoch als freundschaftlicher Akt dargestellt. Die Festschrift war nicht öffentlich zugänglich. 

Der Hauptsitz des Logistikunternehmens Kühne + Nagel in Schindellegi SZ. 
Der Hauptsitz des Logistikunternehmens Kühne + Nagel in Schindellegi SZ. 
IMAGO/Depositphotos

Kühne will Studie vertuschen

Dabei liess Klaus-Michael Kühne die Festschrift in sehr kleiner Auflage drucken, sodass nur wenige Exemplare existierten, darunter eines für Olaf Scholz, der damals erster Bürgermeister Hamburgs war. Selbst die Konzernleitung von Kühne + Nagel erhielten nicht alle ein Exemplar.

Laut einer Recherche der US-Zeitschrift «Vanity Fair» unterdrückte Klaus-Michael Kühne eine Studie, die er selbst in Auftrag gegeben hatte. Wie der «Tages Anzeiger» schreibt, beauftragte er gemäss dem Autor – dem Historiker und Journalisten David de Jong – Anfang 2014 das «Handelsblatt Research Institute», mit einer Studie über die gesamte Geschichte des Unternehmens anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums anzufertigen.

Doch als die Forscher ihre Ergebnisse Anfang 2015 Kühne übergaben, mit allen Einzelheiten über die Aktivität seines Vaters, seines Onkels und der Firma während des Zweiten Weltkrieges, lehnte Kühne die Veröffentlichung der Studie ab. Bei einer Telefonkonferenz meinte der Milliardär: «MeinVater war kein Nazi.»

Die Forscher weigerten sich, das Kapitel «Zweiter Weltkrieg» zu streichen. Daraufhin antwortete Kühne, dass die Studie nicht veröffentlicht werde und beendete das Telefonat.

Fragen beleiben offen

Es bleibt unklar, was die Studie genau enthüllt. Möglicherweise war Kühne + Nagel, das als «nationalsozialistischer Musterbetrieb» ausgezeichnete Unternehmen, stärker in Naziverbrechen verstrickt als bisher bekannt war. Fragen bleiben weiterhin offen. Zum Beispiel, ob das Unternehmen auch in Osteuropa tätig war und wie Adolf Maass tatsächlich das Unternehmen verliess.

Die zentrale Frage bleibt: Warum hat Klaus-Michael Kühne die Forschungsergebnisse verheimlicht? De Jong vermutet, dass dies auf die starke emotionale Bindung zu seinem verehrten, vor Jahrzehnten verstorbenen Vater zurückzuführen ist. Ein Sprecher von Kühne äussert sich nicht dazu, bestätigt aber die Faktendarstellung von «Vanity Fair».

Eine weitere Kontroverse betrifft die Firmenarchive, die angeblich 1944 bei Luftangriffen zerstört wurden. Es gibt jedoch Hinweise, dass Geschäftsunterlagen noch existieren und streng unter Verschluss gehalten werden. Historiker wie David de Jong haben zudem herausgefunden, dass Kühne + Nagel auch Raubkunst aus jüdischem Besitz transportierte. Mit der Raubkunst wurden Alfred und Werner Kühne reich. Durch die Geschäfte mit dem Nazistaat wurden die Kühnes aber nicht nur reich, sondern ihr Unternehmen wurde auch erstmals europaweit vernetzt.

Laut US-Geheimdienstberichten ging eine Sendung mit Kunstwerken von Picasso, Matisse und anderen bedeutenden Künstlern 1944 verloren. Die Gewinne, die die Kühne-Brüder während der NS-Zeit, mit geraubter Kunst und den Geschäften mit den Nazis machten, legten den Grundstein für den globalen Erfolg des Unternehmens.