Anschlag in Magdeburg Mutmasslicher Täter: Arzt, Islamkritiker und Fan von Musk

Von Simon Kremer, Anne-Béatrice Clasmann und Amira Rajab, dpa

21.12.2024 - 17:13

Faeser: Täter von Magdeburg war islamfeindlich

Faeser: Täter von Magdeburg war islamfeindlich

Faeser geht davon aus, dass der mutmassliche Täter von Magdeburg islamfeindlich eingestellt war.

21.12.2024

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und arbeitete als Arzt. Doch dann gab es eine Wendung.

DPA, Von Simon Kremer, Anne-Béatrice Clasmann und Amira Rajab, dpa

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  • Auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist ein Auto in die Besuchermenge gefahren. 200 Menschen wurden verletzt, 5 Personen starben.
  • Bei dem Tatverdächtigen Taleb A. handelt es sich um einen 50-Jährigen aus Saudi-Arabien, der erstmals 2006 nach Deutschland gekommen ist. Er hat einen unbefristeten Aufenthaltstitel.
  • A. arbeitete als Facharzt für Psychiatrie in Sachsen-Anhalt. Er war im Massregelvollzug in Bernburg tätig.
  • A. ist als islamkritischer Aktivist bekannt. In sozialen Medien erhob er zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen unter anderem vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen.
  • Im Februar 2016 stellte A. einen Asylantrag, über den im Juli desselben Jahres entschieden wurde. Der saudische Staatsbürger erhielt damals Asyl als politisch Verfolgter.

In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Kritiker des Islam und Saudi-Arabiens: Doch zuletzt äusserte er sich auch kritisch zu deutschen Behörden und warf ihnen «geheime Operationen» vor. Taleb A., der mutmassliche Todesfahrer, der auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt zahlreiche Menschen mit einem Auto überfuhr, mindestens fünf tötete und 200 zum Teil schwer verletzte, machte zuletzt eine Wandlung durch. 

Der Mann sei den Behörden nach bisherigen Erkenntnissen nicht als Islamist bekannt gewesen, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) noch am Abend der schrecklichen Tat. In den sozialen Netzwerken zeigte sich der 50 Jahre alte Arzt als radikaler Islamkritiker und Aktivist für die Belange vor allem von Frauen aus Saudi-Arabien. Auf der Plattform «X» hatte Taleb A. vor der Tat mehr als 40'000 Follower und gab in den vergangenen Jahren auch einige Interviews zur Situation von Frauen in Saudi-Arabien. 

Facharzt für Psychiatrie

Taleb A. kam nach Angaben Haseloffs bereits 2006 nach Deutschland. Zuletzt lebte er in Bernburg, einer kleinen Stadt knapp 50 Kilometer von Magdeburg. Wie eine Sprecherin der Betreibergesellschaft Salus mitteilte, war er im Massregelvollzug tätig. Er habe mit suchtkranken Straftätern gearbeitet und sei seit März 2020 in der Einrichtung tätig gewesen. «Seit Ende Oktober 2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst», hiess es in einer Mitteilung des Unternehmens. «Wir unterstützen die Arbeit der Ermittlungsbehörden seit den Nachtstunden in jeder nur möglichen Form.» Nach Informationen der dpa hatte das Gesundheitsministerium von Sachsen-Anhalt noch in der Nacht die Personalakte des Mannes angefordert und den Ermittlungsbehörden übergeben. 

Im Juni 2019 erschien ein Interview mit Taleb A. in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: «Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte», sagte der Mann damals. Neben seinen Beiträgen in den sozialen Netzwerken beriet Taleb A. nach eigenen Aussagen Frauen unter anderem aus Saudi-Arabien bei Asylfragen und vermittelte deren Kontakt auch an internationale Medien.

Saudi-Arabien hat Deutschland nach eigenen Angaben gewarnt

Saudi-Arabien hatte Deutschland saudischen Sicherheitskreisen zufolge vor dem Mann gewarnt. Das Königreich habe seine Auslieferung beantragt. Darauf habe Deutschland nicht reagiert, hiess es. Den Sicherheitskreisen zufolge stammt er aus der Stadt Al-Hofuf im Osten Saudi-Arabiens und war Schiit. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Es gibt immer wieder Berichte von Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land. 

Polizisten durchsuchen ein Wohnhaus in Bernburg. Der mutmassliche Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt arbeitete in der Stadt in Sachsen-Anhalt als psychiatrischer Facharzt im Massregelvollzug.
Polizisten durchsuchen ein Wohnhaus in Bernburg. Der mutmassliche Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt arbeitete in der Stadt in Sachsen-Anhalt als psychiatrischer Facharzt im Massregelvollzug.
dpa

«Wir können nur gesichert sagen, dass der Täter offensichtlich islamophob war», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Tag nach der Tat in Magdeburg. Alles Weitere sei Gegenstand der Ermittlungen. Was es an Warnungen im Vorfeld gegeben habe oder nicht, obliege den Ermittlungsbehörden, betonte die SPD-Politikerin. 

Hilfe für saudische Frauen und Verschwörungstheorien

Seit einiger Zeit veränderte sich das Auftreten des saudischen Arztes in den sozialen Netzwerken, wurde aggressiver. «Ich erwarte ernsthaft, dieses Jahr zu sterben», hiess es auf dem X-Account von Taleb A. im Mai dieses Jahres. «Ich werde Gerechtigkeit um jeden Preis herbeiführen.» Die deutschen Behörden würden alle Wege zur Gerechtigkeit blockieren. Ob der Saudi die Beiträge wirklich alle selbst verfasste, war zunächst nicht klar. Für Irritation sorgte etwa ein Post, der noch um die Zeit des Angriffs auf dem Account veröffentlicht wurde. 

Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform «RAIR», die sich selbst als antimuslimische Graswurzel-Organisation beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt. Darin wirft er unter anderem der deutschen Polizei vor, «geheime Operationen» durchzuführen und das Leben von saudischen Asylsuchenden, die sich vom Islam losgesagt hätten, gezielt zu zerstören. Zudem äusserte er sich als Fan von X-Inhaber Elon Musk und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge. Gleichzeitig bezeichnete er sich aber politisch als links. «Ich bin nicht rechts, ich bin ein Linker.» 

Bei den Vernehmungen habe sich Taleb A. auch zu einem möglichen Motiv geäussert, sagte der leitende Oberstaatsanwalt von Magdeburg, Horst Walter Nopens. Dieses könne nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen möglicherweise eine Unzufriedenheit mit dem Umgang von Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland sein. Nach dpa-Informationen stellte der Arzt selbst, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre in Deutschland aufhielt, im Februar 2016 einen Asylantrag, über den im Juli desselben Jahres entschieden wurde. Der saudische Staatsbürger erhielt damals Asyl als politisch Verfolgter.