Hydrologe «Jeder Regentropfen, der kommt, ist einer zu viel»

Von Alex Rudolf

16.7.2021

Heute Mittwoch ist die Reuss in Luzern vielerorts über die Ufer getreten.
Heute Mittwoch ist die Reuss in Luzern vielerorts über die Ufer getreten.
KEYSTONE/ Urs Flueeler

David Volken, Hydrologe des Bundesamts für Umwelt, erklärt, warum besonders Luzern und Bern vom Hochwasser betroffen sind, und warum es uns noch lange beschäftigen wird.

Von Alex Rudolf

Herr Volken, der Seepegel in Luzern steigt derzeit nur langsam, von Werten aus dem Jahr 2005 sind wir noch weit entfernt. Kann man Entwarnung geben?

Solange die Pegel steigen, und tun sie dies auch noch so langsam, können wir keine Entwarnung geben. In Luzern fehlen beispielsweise nur noch wenige Zentimeter, bevor die Brücken gesperrt werden. Eine Entwarnung gibt es ohnehin noch lange nicht.

Wie lange besteht die Gefahr noch?

«Künftig müssen wir sicher mit mehr Starkniederschlägen rechnen. Dies ist statistisch erwiesen und der Klimawandel ist der Grund dafür.»

Solange so viele Seen noch einen Hochwasserstand im Bereich der Gefahrenstufe drei oder vier aufweisen, besteht die Gefahr von Überschwemmungen. Handgelenk mal Pi würde ich sagen, dass es noch etwa eine Woche bis zehn Tage dauern wird, bis sich die Lage entspannt. Dieses Hochwasser wird uns wohl bis Anfang August beschäftigen.

Besonders Luzern und das Berner Oberland leiden unter dem Hochwasser. Warum genau diese Regionen?

Es sind unterschiedliche Faktoren. Wir hatten sehr viel Schnee im Frühling, der nun Schmelzwasser zur Folge hat. Auch die ausserordentlich hohen Niederschläge der vergangenen Tage und Wochen tragen dazu bei. Ein weiterer Faktor ist die hohe Schneefallgrenze.

David Volken

Warum?

Früher schneite es im Sommer bis auf 2000 Meter hinunter, heute ist die Schneefallgrenze viel höher. Niederschlag wird daher nicht langfristig in Schneeform gebunden, sondern fliesst direkt ab. Daher sind besonders die Voralpen-Gebiete wie eben Luzern und Bern gefährdet. Und auch unsere Böden sind aktuell mit Wasser vollgesogen und können keines mehr aufnehmen. Jeder Regentropfen, der kommt, ist einer zu viel.

Seit 2005 wurde viel Geld in den Hochwasserschutz investiert. Nicht genug?

Das lässt sich so nicht sagen: Solche Schutzmassnahmen halten das Wasser nicht auf, sondern bieten Objektschutz. Obwohl der Regen fällt, sollen dadurch Städte und Dörfer geschützt werden. Mit mehr Entlastungskanälen und breiteren Fluss-Systemen lässt sich Hochwasser aber besser managen, das ist der Vorteil.

Würden sich grössere Investitionen in solche Massnahmen lohnen?

Eher ja. Künftig müssen wir sicher mit mehr Starkniederschlägen rechnen. Dies ist statistisch erwiesen und der Klimawandel ist der Grund dafür.

Was sagen Sie jenen, die sagen, es habe schon immer Wetterschwankungen gegeben?

Die haben sicher recht. Doch stellen wir eine Häufung von solchen Wetterextremen fest. Schauen Sie doch nur mal die Temperatur-Rekorde an, die in den vergangenen Wochen im hohen Norden oder in Kanada aufgestellt wurden. Oder der Hagel und der Tornado in Tschechien. Es vergeht bald keine Woche mehr, in der sich keine Wetterextreme ereignen.

Werden die Sommermonate wegen der Klimaerwärmung nicht trockener und wärmer?

Die Sommer werden sicher wärmer. Beim Niederschlag ist es eben nicht ganz so einfach. Es kann immer mal wieder ein feuchter Sommer auftreten. Was eben sicher zugenommen hat, sind Starkniederschläge. Das Beispiel der Gewitternacht in Zürich von Anfang Woche, wo innert 10 Minuten 30 Millimeter Regen fielen, zeigt dies.