Bundesrats-Kandidatin Evi Allemann «Als Aussenstehende ist es einfach zu kritisieren»

Von Alex Rudolf und Adrian Kammer, Bern

12.11.2022

Evi Allemann: «Ich bin bereit»

Evi Allemann: «Ich bin bereit»

Die Berner Regierungsrätin Evi Allemann steigt ins Rennen um die Nachfolge von Simonetta Sommaruga. Im Gespräch mit blue News sagt sie, was sie in den Bundesrat einbringen würde.

11.11.2022

Eben erst stieg die Berner Regierungsrätin Evi Allemann ins Rennen um den frei werdenden SP-Sitz im Bundesrat. Sie sei in Bern weniger vernetzt als ihre Mitstreiterinnen, doch es komme ohnehin noch auf etwas anderes an.

Von Alex Rudolf und Adrian Kammer, Bern

Frau Allemann, warum sind genau Sie die richtige Person für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga?

Ob ich die Richtige bin, muss das Parlament entscheiden. Ich stelle mich mit all meiner Erfahrung, meinem attraktiven Politik-Rucksack und meiner Persönlichkeit zur Wahl. Ich bin überzeugt, dass ich im Bundesrat einen wichtigen Beitrag leisten kann – gerade auch in aktuell zentralen Themen wie Klimaschutz, Kaufkraft und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Was haben Sie Ihren Konkurrenten voraus?

Wir alle bringen unterschiedliche Erfahrungen mit. Ich stehe für die Generation, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie lebt und einfordert.

Seit vier Jahren sind Sie nicht mehr im Nationalrat, sind also weniger bekannt als Herzog, Jositsch oder Baume-Schneider.

Im Bundeshaus bin ich zwar weniger vernetzt als vor vier Jahren. Aber weil ich fast 15 Jahre im Nationalrat sass, kenne ich noch immer viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier in beiden Räten persönlich. Die Nähe zu ihnen ist aber nicht das allein Entscheidende.

Sondern?

Als Nationalrätin war ich neun Mal bei Bundesratswahlen dabei.  Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass für den Wahlentscheid je nach Konstellation unterschiedliche Faktoren wichtig sind. Das persönliche Bekanntsein hilft sicher, ist aber nicht immer das wichtigste Element.

Woran mangelt es der Landesregierung in ihrer heutigen Zusammensetzung?

Als Aussenstehende ist es einfach zu kritisieren. Die öffentliche Wahrnehmung deckt sich zudem oft nicht mit der Realität im Kollegium. Dennoch glaube ich: In gewissen Dossiers braucht der Bundesrat mehr Zugkraft – beispielsweise in der Europa-Frage.

Die SVP regelt derzeit die Nachfolge von Ueli Maurer. Einer der Favoriten, Albert Rösti, stammt wie Sie aus dem Kanton Bern. Ist eine Doppelvertretung gerechtfertigt, während Zürich nicht mehr vertreten wäre und Basel seit über 50 Jahren auf einen Sitz wartet?

Andere Kantone warten schon viel länger auf einen Bundesratssitz. Heute wird der Frage nach der Kantonszugehörigkeit nicht mehr so viel Gewicht beigemessen wie früher. In der Verfassung werden etwa nur noch die Landesgegenden sowie die Sprachregionen erwähnt. Aus meiner Sicht ist es ein Gewinn für gute Lösungen, wenn der Bundesrat vielfältig zusammengesetzt ist. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Erfahrungsrucksack oder politische Haltungen sind ebenso in die Waagschale zu werfen.

Also wäre eine Berner Doppelvertretung gerechtfertigt, weil Sie und Herr Rösti unterschiedlich alt sind und verschiedene Geschlechter haben?

Erstens bezog ich mich nicht spezifisch auf Herr Rösti und zweitens geht es um mehr als nur um Alter und Geschlecht. Der zweitgrösste Kanton mit Brückenfunktion zwischen Deutschschweiz und Romandie darf durchaus selbstbewusst auftreten. Am Schluss entscheidet sowieso die vereinigte Bundesversammlung, was dieses Mal welches Gewicht hat.

Sie wären die erste weibliche Bundesrätin mit schulpflichtigen Kindern. Wie haben diese auf Ihren Entscheid reagiert?

Ich habe meine Kinder nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern wir sprachen immer wieder darüber. Sie hatten viele Fragen. Sie sind 7- und 12-jährig, machen auf ihre Art durchaus schon Einschätzungen, wissen aber nicht in allen Dimensionen, was eine mögliche Wahl in den Bundesrat effektiv heisst.

Mir war wichtig, dass ich meinen Kindern sagen konnte, dass sich für sie gegenüber heute nur wenig ändern würde. Um zu dieser Gewissheit zu kommen, habe ich zahlreiche Gespräche geführt. Nach viereinhalb Jahren in der Regierung des zweitgrössten Kantons der Schweiz weiss ich, dass die Vereinbarkeit auch mit der Art und dem Verständnis der Amtsführung beeinflusst werden kann. Ich sagte mir: Was ich im Regierungsrat kann, sollte auch im Bundesrat möglich sein.

Sie wurden seit Bekanntgabe Ihrer Kandidatur oft dazu befragt, wie Sie ein Bundesratsmandat mit Ihren Kindern in einer Patchwork-Familie unter einen Hut bringen. Nervt Sie das?

Nein, das nervt mich nicht. Ein politisches Amt ist eine öffentliche Funktion. Übt man eine solche aus, muss man damit umgehen können, dass man alles Mögliche gefragt wird. Aber ich ziehe klare Grenzen. Werden die Fragen zu privat, erlaube ich mir, nicht oder ausweichend zu antworten.

Müsste ein männlicher Kandidat Ihres Alters und mit Ihrem familiären Hintergrund dieselben Fragen beantworten?

Ich hoffe es. Was mich zuversichtlich stimmt: Ausnahmslos alle Medienschaffenden, die mich in den vergangenen Tagen nach meinen Kindern fragten, versicherten mir von sich aus, dass sie die Fragen auch einem Mann stellen würden.

Letzte Frage: Schauen Sie die Fussball-WM in Katar guten Gewissens?

Eigentlich schaue ich gern Fussball. Ob ich dieses Jahr dazu komme, weiss ich noch nicht. Das Gewissen wird kaum besser, wenn man die Matches nicht verfolgt. Wichtig ist, dass wir hinschauen, wenn es um die Arbeitsbedingungen, die Umweltauswirkungen und die Einhaltung der Menschenrechte in Katar geht.