Frankreich erhöht den Druck Auch in der Schweiz können Betriebe ihre Angestellten zur Impfung zwingen

Von Andreas Fischer

13.7.2021

Theoretisch könnten die Kantone ein Impfobligatorium für bestimmte Personen einführen, praktisch wird das nicht passieren, schätzt ein Arbeitsrechtler.
Theoretisch könnten die Kantone ein Impfobligatorium für bestimmte Personen einführen, praktisch wird das nicht passieren, schätzt ein Arbeitsrechtler.
Bild: dpa/Friso Gentsch

Frankreich erhöht in der Corona-Krise den Druck: Sind Beschäftigte im Gesundheitswesen nicht geimpft, müssen sie bald um ihren Job fürchten. Ist das auch in der Schweiz denkbar? Ein Arbeitsrechtler klärt auf.

Von Andreas Fischer

Wissenschaftler gehen davon aus, dass für eine Eindämmung der Delta-Variante des Coronavirus eine Impfquote von bis zu 95 Prozent erforderlich sein könnte. Annähernd die komplette Bevölkerung müsste also immunisiert sein. Mit Freiwilligkeit ist das kaum zu erreichen.

In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron nun ein teilweises Impfobligatorium angekündigt, das für Gesundheits- und Pflegepersonal gilt. Bis Mitte September haben Angestellte in Spitälern und Pflegeheimen nun Zeit, sich impfen zu lassen. Laut Gesundheitsminister Olivier Véran darf ungeimpftes Gesundheitspersonal danach nicht mehr arbeiten und wird nicht mehr bezahlt. Zudem hat Macron angekündigt, dass ein Test-, Impf- oder Genesungsnachweis künftig deutlich häufiger notwendig werde.

Die strengen Massnahmen fruchten offenbar: Die Impfanmeldungen sind einen Tag nach Macrons Ankündigung laut Informationen der Nachrichtenagentur dpa in die Höhe geschossen und haben einen Rekordwert erreicht.

Frankreich ist nicht das einzige Land in Europa, das den Druck auf Ungeimpfte erhöht. Auch Griechenland hat bereits eine Impfpflicht angekündigt. Nach Angaben von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis gilt sie ab Mitte August für Mitarbeiter in Altersheimen und ab dem 1. September für den Gesundheitsbereich. Zudem dürfen sich die Menschen künftig nur noch in den Innenräumen von Gastronomie- und Kulturbetrieben aufhalten, wenn sie gegen Corona geimpft sind.

Italien schreibt die Impfung für Mitarbeitende im Gesundheitswesen und von Apotheken bereits seit Mitte Mai vor. Wer sich nicht impfen lässt, riskiert eine Suspendierung vom Arbeitsplatz oder eine Gehaltskürzung.

In der Schweiz hat der Bundesrat eine Impfpflicht bislang immer wieder kategorisch ausgeschlossen. Aber ist sie wirklich unvorstellbar? «blue News» hat bei Professor Roger Rudolph, Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Universität Zürich, nachgefragt, ob in der Schweiz Impfungen für bestimmte Berufsgruppen vorgeschrieben werden können.

Impfobligatorium wäre teilweise möglich

Grundsätzlich müsse man zwischen einer gesetzlichen Verpflichtung und Vorgaben von Arbeitgebenden unterscheiden, sagt der Arbeitsrechtler. «Nach dem Epidemiengesetz (Art. 22) könnten die Kantone für gefährdete Bevölkerungsgruppen, besonders exponierte Personen und Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, ein Impfobligatorium einführen, sofern eine erhebliche Gefahr besteht», so Rudolph. «Eine gesetzliche Grundlage wäre insofern vorhanden.»

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bestätigt dies auf Anfrage von «blue News» und ergänzt: «Sollte es nötig werden, in einer besonderen oder ausserordentlichen Lage auf nationaler Ebene zu handeln, könnte auch der Bundesrat in Absprache mit den Kantonen Impfungen für bestimmte Personengruppen für obligatorisch erklären. Eine solche Ausnahmesituation ist bisher noch nie eingetreten.»



Dass es dazu kommt, sei weiterhin nicht absehbar, schätzt Rudolph ein. Zumal die Behörden wiederholt geäussert haben, «dass ein solches Obligatorium derzeit nicht zur Debatte stehe». Der Experte rechnet nicht damit, dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Impfung gegen das Coronavirus eingeführt wird.

Doch wie sieht es in der Wirtschaft aus? Rudolph weist darauf hin, dass es «rechtlich umstritten beziehungsweise noch weitgehend ungeklärt ist», ob und inwieweit Arbeitgebende eine Impfung verlangen können. «Als rechtliche Grundlage kommen vor allem eine entsprechende vertragliche Regelung oder das Weisungsrecht der Arbeitgebenden infrage.» Es würde allerdings nach Einschätzung des Experten zu weit gehen, «sämtliches Personal, gänzlich unabhängig von der konkreten Stelle und Exponiertheit» zur Impfung zu verpflichten.

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Rechtliche Konsequenzen denkbar

Anders sähe es aus, wenn eine besondere Exponiertheit oder Gefährdungslage bestünde: «Wenn regelmässig Kontakt zu besonders gefährdeten Personen besteht, ist eine solche Verpflichtung begründbar», erläutert Rudolph und verweist auf bestimmte Gesundheitsberufe als Vorzeigebeispiel.

Das BAG konkretisiert: «Es kann beispielsweise vorgeschrieben werden, dass auf einer Abteilung mit immungeschwächten, krebskranken Kindern, das Personal etwa gegen Masern geimpft sein muss oder die Masern nachweislich gehabt haben muss. Gilt in einem Spital ein Impfobligatorium für gewisse Stationen und einzelne Gesundheitsfachpersonen wollen sich nicht impfen, dürfen sie dort nicht arbeiten. Sie würden dann vorübergehend auf andere Stationen versetzt.»

Das Verwaltungsgericht St. Gallen habe, so Roger Rudolph, bereits vor Jahren ein entsprechendes Urteil gefällt, als eine Rotkreuz-Helferin am Kantonsspital St. Gallen eine Hepatitis A-Impfung verweigerte. Das Gericht befand, dass das Spital zu Recht die Impfung verlangen konnte.

In Ausnahmekonstellationen, argumentiert Rudolph, sei eine Impfverpflichtung also durchaus denkbar. «Klarzustellen ist aber: Auch dann gibt es keine Zwangsimpfung, das heisst physischer Zwang ist ausgeschlossen. Niemand muss damit rechnen, gegen seinen Willen eine Spritze verpasst zu bekommen.»

Rechtliche Konsequenzen seien hingegen durchaus denkbar, «die bis zur Entlassung reichen können». So sei es auch der erwähnten Rotkreuz-Helferin ergangen, sagt Rudolph. Sie wurde entlassen.

Privilegien für geimpfte Arbeitnehmende sind schwierig

Ob beziehungsweise in welchen Berufen Arbeitgeber in der Schweiz generell auf einen vollständigen Impfschutz bestehen oder ihn zur Voraussetzung bei Neueinstellungen machen können, sei umstritten, auch weil eine klärende Rechtsprechung fehle. «Eines lässt sich jedenfalls sagen: Wenn im Sinne der obigen Ausnahmekonstellationen eine Impfverpflichtung besteht, dann können Unternehmen auf die Einhaltung einer solchen Pflicht bestehen. Bei der Neuanstellung kommt dazu, dass ganz grundsätzlich keine sogenannte Kontrahierungspflicht besteht: Arbeitgebende sind grundsätzlich frei, mit wem und zu welchen Konditionen sie ein Vertragsverhältnis eingehen.»

Ungeklärt ist auch, inwieweit der Druck auf Ungeimpfte indirekt erhöht werden darf, erklärt Roger Rudolph: «So ist zum Beispiel offen, ob Geimpften gewisse Privilegien oder zum Beispiel ein kleiner Bonus zugestanden werden dürfen, um einen Impfanreiz zu schaffen.» Solange sich derartige Massnahmen sachlich rechtfertigen lassen und nicht auf eine willkürliche Diskriminierung hinauslaufen, würde Rudolph sie in Grenzen zulassen.