Asyl für Dienstverweigerer?Für russische Deserteure ist die Schweiz kein sicherer Hafen
smi
23.9.2022
Mit der Teilmobilmachung steigt für Russen die Wahrscheinlichkeit, in den Krieg geschickt zu werden. Deserteure werden kaum in die Schweiz flüchten. Das liegt auch daran, dass sie hier kein Asyl erhalten werden.
Ist auch die Schweiz ein Ziel, um sich vor dem Kriegsdienst in Sicherheit zu bringen? Immerhin hat die Schweiz jahrelang äthiopische und eritreische Dienstverweigerer aufgenommen. Der «Tages-Anzeiger» ist der Frage nachgegangen, welche Möglichkeiten das Schweizer Asylsystem russischen Wehrdienstverweigerern bietet.
Die erste Hürde sei, Russland überhaupt verlassen zu können, erklärt Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen. Nur ein Viertel der Bevölkerung besitze einen Pass. Ausserdem fehle vielen das Geld, um in ein teures Land wie die Schweiz zu reisen.
Zudem sei ein Schengen-Visum nötig, um diverse europäische Länder zu durchqueren und die Schweizer Grenze zu erreichen. Schmid vermutet, dass vor allem jene Russen in die Schweiz kommen, die hier Kontakte haben.
Die nächste Frage ist, wie gross die Chancen sind, in der Schweiz Asyl zu erhalten. Die Eidgenössische Migrationskommission schreibt auf ihrer Website, «Gewaltflüchtlinge», die vor Krieg oder Bürgerkrieg flöhen, erhielten in der Schweiz nur eine vorläufige Aufnahme. Flucht vor Krieg oder Wehrdienst ist in der Schweiz kein Asylgrund.
Dagegen regt sich politischer Widerstand. Céline Widmer, SP-Nationalrätin des Kantons Zürich, fordert die Wiedereinführung des Botschaftsasyls, also die Möglichkeit, in einer Schweizer Botschaft einen Asylantrag stellen zu können. Die Schweiz hat dies 2012 abgeschafft. Schon im März dieses Jahres hatte der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch (SP) mit einer Motion das Gleiche gefordert. Die kleine Kammer lehnte sie ab.
Putin hat die Teilmobilmachung beschlossen. Die Schweiz steht in der Verantwortung, die russische Bevölkerung vor diesem Wahnsinn zu schützen. Die @spschweiz fordert die sofortige Wiedereinführung des Botschaftsasyls. Ich habe dazu soeben eine Frage eingereicht. pic.twitter.com/8LEnQuE1Wq
Das Staatssekretariat für Migration, zuständig für die Asylverfahren in der Schweiz, teilt dem Tages-Anzeiger mit, es beobachte die Situation russischer Dienstverweigerer und Deserteure genau. Stark zugenommen hätten Asylgesuche dieser Gruppe seit der Teilmobilmachung nicht. Von Juni bis August ersuchten 52 Russen wegen des Militärs um Aufnahme in der Schweiz.
Viele Russen hätten bereits resigniert und die Hoffnung aufgegeben, dem Kriegsdienst entgehen zu können, sagt eine in der Schweiz lebende, politisch aktive Russin dem Tages-Anzeiger. Die Bürger*innen seien es gewohnt zu leiden, erklärt sie.