Kommen die Lockerungen zu früh? «Fallzahlen und Hospitalisierung sind nun klar entkoppelt»

Von Oliver Kohlmaier

29.1.2022

Überraschend kündigt Gesundheitsminister Alain Berset schon für kommende Woche den Wegfall der Quarantäne- und Homeoffice-Pflicht an. Wie sinnvoll sind Lockerungen zu diesem Zeitpunkt?

Von Oliver Kohlmaier

Dass der Gesundheitsminister früher oder später Lockerungen ankündigt, überrascht wenig. Dass er dies mitten in der Omikron-Welle und eher nebenbei tut, hingegen schon.

Die gegenwärtige Lage lasse die Aufhebung der Quarantäne- und Homeoffice-Pflicht schon nächste Woche zu, erklärte Berset am Freitagnachmittag beim Besuch des Kantonsspitals Aarau.

«Es ist der Moment, weitere Schritte nach vorne zu gehen»

Die Regelung könne demnach bereits auf der Bundesratssitzung am 2. Februar fallen. Er habe sich beim Besuch des Kantonsspitals Aarau einmal mehr überzeugen können, dass die Spitäler durch die aktuelle Omikron-Welle nicht mehr überlastet würden, sagte Berset beim darauffolgenden Point de Presse.

Schliesslich habe man es mit einer ganz anderen Situation als noch bei der Delta-Welle zu tun. «Es ist der Moment, weitere Schritte nach vorne zu gehen», sagte Berset.

Die Frage, ob dieser Schritt möglicherweise zu früh kommt, drängt sich umgehend auf. Erst vor wenigen Tagen warnte Patrick Mathys vom BAG trotz hoffnungsvoller Entwicklung, es sei noch zu früh für Euphorie.

Auch die wissenschaftliche Taskforce des Bundes ist zurückhaltend in der Frage. Eine frühzeitige Lockerung könne «einen Schuss in den eigenen Fuss» bedeuten, auch für die Wirtschaft, betonte der Infektiologe Urs Karrer, Vizepräsident der wissenschaftlichen Taskforce.

In den Spitälern liegen etwas weniger Coivd-Patient*innen als noch vor einer Woche.
In den Spitälern liegen etwas weniger Coivd-Patient*innen als noch vor einer Woche.
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Fallzahlen und Hospitalisierungen «klar entkoppelt»

Die Belegung der Intensivbetten mit Covid-19-Patient*innen jedenfalls verleiht Forderungen nach einem Freedom Day Auftrieb. Trotz rekordhoher Infektionszahlen ist der Wert in dieser Woche gesunken.

Von einem solchen «Freedom Day» nach dem Vorbild Grossbritanniens will unter Epidemiolog*innen ohnehin eher niemand sprechen. Dennoch sind Öffnungsschritte unter Expert*innen angesichts der Lage vertretbar.



Dies sieht auch Jürg Utzinger so, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts. «Die Fallzahlen und die Hospitalisierung sind nun klar entkoppelt», erklärt der Epidemiologe auf Anfrage zu blue News.

Hinzu komme, dass ein Grossteil der Bevölkerung, «insbesondere die Risikogruppen», inzwischen immunisiert sei. «Daher sind gezielte Öffnungsschritte möglich, beispielsweise die Umstellung von einer Homeoffice-Pflicht auf eine Homeoffice-Empfehlung. Hier sind auch die Betriebe in der Verantwortung, dies umsichtig umzusetzen.»

Aufhebung der Zertifizierung noch kein Thema

Auch weitere Schritte waren beim Point de Presse zunächst kein Thema. Der Bundesrat wolle nach wie vor an einem Mittelweg zwischen vorsichtiger Zurückhaltung und Lockerung festhalten.

An eine Aufhebung der Zertifizierung denkt der Bundesrat im Moment noch nicht, sagte Berset auf eine entsprechende Frage einer Journalistin. Die Zertifikate seien nach wie vor für Reisen unabdingbar und auch im Inland für die Sicherheit unter anderem bei Veranstaltungen nützlich.

Kritik an der wissenschaftlichen Taskforce, die noch zur Zurückhaltung mahnt, wollte Berset nicht gelten lassen. Die Taskforce habe hervorragende Arbeit geleistet, sagte er.

Mit Material von SDA