Claude Nicollier zur Mond-Mission«Der Entdeckergeist kehrt in die Raumfahrt zurück»
Von Andreas Fischer
29.8.2022
Die Nasa will demnächst Menschen regelmässig auf den Mond schicken. Der einzige Schweizer Astronaut Claude Nicollier hält das für eine gute Idee – auch wenn der erste unbemannte Testflug abgebrochen wurde.
Von Andreas Fischer
29.08.2022, 15:58
29.08.2022, 16:14
Von Andreas Fischer
Vor knapp 50 Jahren haben zuletzt Menschen den Mond betreten: Mit dem ehrgeizigen «Artemis»-Programm will die Nasa in wenigen Jahren regelmässig Astronauten auf den Erdtrabanten schicken. Auch wenn ein erster unbenannter Testflug wegen Problemen am Triebwerk am Montag, 29. August kurz vor dem Start abgebrochen wurde: Die Zukunft der bemannten Raumfahrt wird weiter in ganz grossem Stil geplant.
Gut so, findet Claude Nicollier. Der bislang einzige Schweizer Astronaut freut sich über den wieder erwachten Entdeckergeist in die Raumfahrt. Selbst abheben möchte er freilich nicht noch einmal, wie er im Interview mit blue News verrät.
Zur Person
KEYSTONE
Claude Nicollier (Bild von 1999) ist der erste und bislang einzige Schweizer Astronaut. Zwischen 1992 und 1999 flog der 1944 in Vevey geborene Waadtländer viermal ins All. Bei seinem ersten Weltraumausstieg half Nicollier 1999 dabei, das Hubble-Teleskop zu reparieren. Nach seiner Raumfahrtkarriere lehrte und forschte Claude Nicollier an der EPFL Lausanne.
Die Nasa nimmt mit der «Artemis»-Mission einen neuen Anlauf zum Mond: Wie fühlen Sie sich als ehemaliger Astronaut und Wissenschaftler dabei?
Es ist zwar zunächst ein unbemannter Flug, aber eben auch die Vorbereitung von bemannten Flügen in den nächsten Jahren: Das finde ich extrem spannend, weil mit dieser Mission der Geschmack von Exploration, von Entdeckergeist in die internationale Raumfahrt zurückkehrt.
Sie waren als bislang einziger Schweizer im All, gleich mehrmals: Kribbelt es bei Ihnen, wenn Sie von den aktuellen Nasa-Plänen hören?
Noch einmal ins All? Ich würde körperlich vielleicht noch in der Lage sein, aber ich bin auch in einem Alter, in dem ich jüngeren Generationen den Vortritt lassen kann. Schliesslich hatte ich vier sehr interessante und schöne Raumflüge, insbesondere die Mission zum Hubble-Teleskop mit Weltraumspaziergang war fantastisch. Es ist also kein Problem für mich, auf der Erde zu bleiben und meine Erfahrungen an die Studierenden der ETH in Lausanne weiterzugeben.
Was haben Sie aus dem All mitgebracht für Ihr Leben und das Verständnis von unserem Planeten?
Das Bewusstsein für unseren Platz als Menschen auf einem sehr zerbrechlichen Planeten: Das bekommt man viel besser, wenn man vom Weltraum auf die Erde schaut. Aber die Missionen waren natürlich auch wissenschaftlich wichtig: Wir haben viele neue Erkenntnisse gewonnen, insbesondere durch das Hubble-Teleskop, zu dessen Erfolg ich einen kleinen Teil beitragen konnte.
Was unterscheidet die früheren Mondmissionen der Nasa vom «Artemis»-Programm?
Das Apollo-Programm in den 1960er- und 1970er-Jahren hatte ein klares Ziel: Es ging den USA im Kalten Krieg darum, der Sowjetunion zu zeigen, dass sie die Fähigkeit zur Mondlandung haben und dass sie es schaffen, einen Menschen dorthin und wieder zurückzubringen.
Natürlich war das Programm auch wissenschaftlich ein wichtiger Schritt in der bemannten Raumfahrt, das Ziel aber war klar politisch und wurde 1969 mit der «Apollo 11», der Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin, erreicht. Wegen der vielen eingesetzten Ressourcen wurde das Programm mit weiteren Mondmissionen bis «Apollo 17» im Dezember 1972 fortgesetzt. Aber das war natürlich sehr kostspielig, sodass es danach keine Gründe mehr gab, die Missionen weiterzuführen.
50 Jahre lang war kein Mensch auf dem Mond: Warum will die Nasa ausgerechnet jetzt wieder dorthin?
Nach dem Ende von Apollo gab es erst mal eine Menge in der niedrigen Erdumlaufbahn zu erforschen. Dafür wurden die Space Shuttles und auch die Internationale Raumstation (ISS) gebaut. Die ISS ist eine gute Plattform, um etwa zu lernen, wie Menschen längere Zeit im Weltall unter speziellen Bedingungen leben können.
Jetzt aber geht es wieder einen Schritt weiter. Der Sprung zum Mond, und später zum Mars, ist sehr wichtig im Sinne der Exploration. Es ist an der Zeit, wieder nach draussen zu gehen. Nicht zuletzt wegen der grossen Frage: Können Menschen langfristig auf anderen Himmelskörpern leben? Und zwar unter der Benutzung dort vorhandener Ressourcen.
Umfrage
Sollen die Menschen erneut zum Mond fliegen?
Warum sollten denn Menschen überhaupt langfristig auf anderen Himmelskörpern leben?
Das ist für die Menschheit generell interessant. Müssen wir für alle Ewigkeit auf der Erde bleiben? Oder können wir, aus welchen Gründen auch immer, langfristig woanders leben? Dabei geht es zwar nicht um morgen, übermorgen oder das nächste Jahrzehnt: Aber diese Frage finde ich trotzdem sehr wichtig.
Weil die Menschheit gerade ihren Planeten kaputtmacht und ein Ausweichquartier braucht?
Nein, nein. Es ist absolut klar, dass es die oberste Priorität hat, unseren Planeten Erde zu retten. Das heisst aber nicht, dass wir das Weltall nicht weiter wissenschaftlich erforschen können und erkunden, welche Lebensmöglichkeiten es dort gibt. Wenn wir mit vergleichender Planetologie etwas über andere Planeten lernen, lernen wir auch etwas über die Erde. Verstehen wir die Geschichte und Zukunft von Venus und Mars, unseren Nachbarn im Sonnensystem, können wir auch die Zukunft der Erde besser verstehen.
Elon Musk spielt im «Artemis»-Programm eine nicht unwesentliche Rolle: Seine Firma SpaceX soll etwa eine Mondlandefähre bauen. Wie realistisch halten Sie seine Pläne, den Mars dauerhaft zu kolonialisieren?
Eine Kolonialisierung halte ich zurzeit für wenig realistisch und weder nützlich noch notwendig. Das mag vielleicht in 500 oder 1000 Jahren anders aussehen. Aus wissenschaftlicher Sicht kann die Frage, ob Menschen langfristig auf anderen Planeten leben können, von einer kleinen Gruppe von Entdeckern beantwortet werden. Das müssen nicht Tausende oder gar Millionen Menschen sein.
Es gibt ja die schöne und teilweise auch umgesetzte Fiktion, dass das Weltall die Menschen verbindet: Wie finden Sie es, dass mittlerweile von der Zusammenarbeit nicht viel übrig geblieben ist?
Die Zusammenarbeit in der ISS war bis jetzt sehr erfolgreich und hat sehr gut funktioniert, obgleich Russland momentan ein einziges Fragezeichen ist. China hat zwar ein eigenes Weltraumprogramm, es ist aber nicht unmöglich, dass es in Zukunft eine Zusammenarbeit in der Weltraumforschung gibt. Auch wenn das politisch derzeit ausgeschlossen scheint.
Ein Schweizer im All
Claude Nicollier war der erste – und bisher einzige – Schweizer im Weltraum. Mit welcher Mission, und was sein Raumanzug dafür alles können musste, erklärt Marc Horat, Astrophysiker und Leiter des Planetariums im Verkehrshaus Luzern.