Wahlabend im Zürcher StadthausSelbst die Verlierer werten den Tag als «Erfolg»
Von Philipp Dahm
14.2.2022
Wahlabend in Zürich: Selbst die Verlierer werten den Tag als «Erfolg»
Zürich wählt, und die Politik trifft sich in der Stadthalle, während letzte Stimmen ausgezählt werden. Die einen sind schon durch, andere müssen noch zittern, und selbst die Unterlegenen sind – relativ – gut gelaunt.
13.02.2022
Zürich wählt, und die Politik trifft sich in der Stadthalle, während letzte Stimmen ausgezählt werden. Die einen sind schon durch, andere müssen noch zittern, und selbst die Unterlegenen sind – relativ – gut gelaunt.
Von Philipp Dahm
14.02.2022, 06:45
14.02.2022, 08:49
Philipp Dahm
«So, jetzt sind wir aber gespannt», sagt Michael Baumer. Der FDP-Stadtrat ist gerade erst im Zürcher Stadthaus angekommen – und kurz zuvor hat sich das Blatt gewendet: Seit die Stimmen am Zürichberg ausgewertet worden sind, hat sich der 47-Jährige wieder vor AL-Kandidat Walter Angst geschoben, der ihm gerade noch voraus war.
Ganz anders Simone Brander. Sie ist die Neue im Stadtrat: Auf Anhieb hat die SP-Kandidaten genug Wählerstimmen und steht früh als Gewinnerin fest. Entsprechend gelöst gibt sich die ETH-Absolventin: «Ich habe mich für bezahlbare Wohnungen, für das anvisierte Klimaziel, aber auch für sichere Velowege eingesetzt», antwortet sie auf die Frage nach den Gründen ihres Erfolgs.
Und weiter: «Ich habe einen sehr engagierten Wahlkampf gemacht, war fast jeden Tag auf der Strasse und habe den Kontakt zum Wähler gesucht – das hat anscheinend überzeugt.» Brander weiss, dass je nach ihrem künftigen Departement unterschiedliche Themen anstehen.
Aber: «Der Klimaschutz ist sicher etwas, was in jedem Departement wichtig ist.» Man müsse nun vorwärts machen – «sei es beim Ersatz fossiler Heizungen, beim Ausbau der Velowege oder worin die Pensionskasse Geld investiert.»
Baumers «Wechselbad der Gefühle»
Derweil ist ihre Chefin eingetroffen: Corine Mauch hat mit Abstand die meisten Stimmen geholt und badet sich ein bisschen in diesem Machtwort des Wahlvolks. Das gibt schliesslich auch Baumer seinen Segen – und der ist sichtlich «erleichtert nach dem Wechselbad der Gefühle».
Nachdem sich der Trubel um ihn ein wenig gelegt hat, sagt er: «Man muss sehen, dass Rot-Grün mit acht Kandidaten neun Sitze angegriffen hat. Die Mehrheiten in der Stadt Zürich sind klar – und damit auch, dass es knapp werden könnte. Aber ich glaube, es ist wichtig auch die bürgerliche Seite und freiheitliches Gedankengut einzubringen.»
Wie Baumer seinen Abend verbringt? «Ich gehe jetzt noch mit der Partei feiern», freut er sich auf den Besuch des James-Joyce-Pubs am Bahnhof. Des einen Freud, des anderen Leid: Dominik Waser hat gegen den Etablierten im Endspurt das Nachsehen, doch der junge Grüne wirkt ziemlich gefasst.
Sportliche Verlierer
«Das ist ein Erfolg», ordnet er die gut 35'000 Stimmen ein, die er bekommen hat. «Wir haben es geschafft, sehr viele Menschen davon zu überzeugen, dass junge Leute in der Regierung sein sollten, dass die Klimakrise bekämpft werden und oberste Priorität haben muss, und ich glaube das ist sehr wichtig, auch wenn es nicht gereicht hat.»
Es gebe schon «eine gewisse Enttäuschung», räumt der 24-Jährige dann noch ein, doch er sei «auch dankbar.»
Wie muss es dann wohl Walter Angst gehen? Der AL-Kandidat lag lange vor Baumer, bevor ihm am Zürichberg quasi die Puste ausgegangen ist – doch obwohl ihm nur 1206 Stimmen gefehlt haben, um Stadtrat zu werden, nimmt Angst es sportlich.
«Über 40'000 Stimmen für jemanden, der aus der AL kommt, und der von der SP angegriffen wird – das Resultat ist hervorragend, es gibt überhaupt keine Gram», fasst er zusammen. Und wie geht es weiter? «Wir haben jetzt neun Monate um diesen Sitz gekämpft, es braucht jetzt erst mal eine kurze Pause. Ich habe viel zu tun in den nächsten Monaten und werde mich an anderer Stelle weiter politisch engagieren.»
«Grossstädte für die SVP ein schweres Pflaster»
Das Hauptproblem der Stadt seien die Wohnungen, erklärt Angst dazu: «Wir müssen in dieser Stadt dafür sorgen, dass nicht preisgünstiger Wohnraum am Laufmeter verschwindet.» Dann zieht Angst gut gelaunt von dannen – wie eigentlich alle Politiker an diesem Abend.
Nun ja, fast alle. Nationalrat «Fredi» Heer sieht noch ein bisschen verkniffener aus als sonst, als er im TV das Wahlergebnis seiner SVP deuten soll. Und auch Mauro Tuena ist nicht gerade begeistert. Woran es gelegen hat, sei «schwierig zu beurteilen».
Ganz neu ist das Problem jedoch nicht: «Ich stelle einfach fest, dass Zürich und generell die Grossstädte für die SVP ein schweres Pflaster sind», sagt Tuena. «Wir werden das jetzt genauestens analysieren.» Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament werde die SVP nun «vermehrt Oppositionspolitik ausserhalb des Parlaments betreiben müssen», gibt sich Tuena kämpferisch.
Was das heisst? «Wieder auf die Strasse gehen mit Initiativen und Referenden.» Er weiss wie alle Politiker an diesem Wahlabend: Nach der Wahl ist vor der Wahl.