Politologe über Bundesratsrennen «Ein Wahlerfolg von Baume-Schneider liegt durchaus drin»

Von Gil Bieler

6.12.2022

Bundesratskandidatin Elisabeth Baume-Schneider kann auf taktische Stimmen aus dem bürgerlichen Lager hoffen – und auf Sympathien aus den Randregionen.
Bundesratskandidatin Elisabeth Baume-Schneider kann auf taktische Stimmen aus dem bürgerlichen Lager hoffen – und auf Sympathien aus den Randregionen.
Bild: Keystone

Schafft Elisabeth Baume-Schneider den Coup – den Sprung in den Bundesrat? Politgeograf Michael Hermann analysiert die Wahlchancen der SP- und SVP-Kandidierenden und blickt auf die Departementsverteilung.

Von Gil Bieler

Die Aussenseiter*innen holen auf – so lautet der Grundtenor im bisherigen Bundesratsrennen. Sowohl SP-Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider als auch der ehemalige SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt legen starke Auftritte hin.

Ob es auch reicht, den in der Favoritenrolle gehandelten Albert Rösti (SVP) und Eva Herzog (SP) zu überholen, zeigt sich am Mittwoch.

Was aber bereits auffällt: Bisher hat noch keine Partei eine klare Wahlempfehlung für einen Kandidaten oder eine Kandidatin abgegeben. Der Machtpoker ist in vollem Gange. 

Baume-Schneider wählen, um Levrat zu verhindern?

«Nachdem es zuerst sowohl bei beiden Parteien nach einem Start-Ziel-Sieg der Favoriten aussah, könnte es jetzt zumindest bei der SP noch richtig eng werden», bilanziert Michael Hermann, Politgeograf vom Forschungsinstitut Sotomo.

Für Baume-Schneiders Aufholjagd nennt er im Gespräch mit blue News mehrere Gründe: «Zum einen kommt sie mit ihrer charmanten Art gut an und kann Menschen für sich einnehmen.» Zum anderen spielten aber gerade in den bürgerlichen Parteien bereits Überlegungen eine Rolle, wen die SP bei einem Rücktritt von Alain Berset nominieren könnte.

«Hier bringen sich die Alphatiere aus der Romandie in Stellung», sagt Hermann. Er nennt Pierre-Yves Mailard, Roger Normann und Christian Levrat. «Die bürgerlichen Parteien könnten taktieren, eine solche Kandidatur vorzeitig zu verhindern – und dafür jetzt die welsche Kandidatin Elisabeth Baume-Schneider wählen.»

Es ist tatsächlich auffällig, wenn SVP-Parteichef Marco Chiesa die im linken SP-Flügel politisierende Baume-Schneider in der SRF-«Arena» jüngst als «ausgezeichnete Kandidatin» gelobt hat. Dabei kommt doch kaum ein Porträt über die Jurasserin ohne Erwähnung ihrer marxistischen Vergangenheit aus.

Dazu gibt Hermann zu bedenken: «Die neue SP-Bundesrätin wird links der SVP politisieren und links der politischen Mitte im Bundesrat. Ganz egal, ob Herzog oder Baume-Schneider gewählt wird.» Auch erinnert er an die SVP-Kampagne vom vergangenen Jahr, mit der die Partei Stimmung gegen linke Städte gemacht hatte. Denn ihre Herkunft könnte für die Jurassierin zusätzlich zum Vorteil werden. «Man reibt sich mehr an der grossstädtischen Perspektive als an den Randregionen», erklärt Hermann.

Auch dürfte Baume-Schneider als Westschweizerin eher auf Stimmen aus der Romandie hoffen, als die Baslerin Herzog auf Stimmen anderer Deutschschweizer Kantone. «Die Minderheit gewichtet die gegenseitige Unterstützung jeweils höher als die Mehrheit.»

Er trifft folgende Annahme: Die Stimmen innerhalb der SP dürften sich auf beide Kandidatinnen verteilen. Baume-Schneider dürfte viele Stimmen bei der SVP und in der Mitte machen, vielleicht auch bei den Grünen. Eva Herzog dagegen könnte eher bei den urbaner eingestellten FDP und Grünliberalen punkten. «Ob das Herzog für die Wahl reicht, muss sich zeigen.»

Alles in allem heisst das: Die Sympathien im Parlament könnten sich nicht entlang der Links-rechts-Achse verteilen, sondern zwischen ländlich-bodenständig und urban-progressiv. «Ein Wahlerfolg von Baume-Schneider liegt durchaus drin», sagt Hermann.

«Am Ende bleibt Rösti der besser abschätzbare Wert»

Anders sieht es der Poligeograf bei der SVP aus: «Hier ist das Bild eindeutiger. Rösti lag schon bei der Nomination innerhalb der SVP-Fraktion vorne.» Zur Erinnerung: Der ehemalige SVP-Parteipräsident wurde bereits im ersten Wahlgang aufs Zweierticket gewählt, Vogt setzte sich erst im vierten Durchgang gegen Werner Salzmann durch – und mit nur einer Stimme Vorsprung.

«Vogt hat den Nachteil, dass er sich vor ein paar Jahren aus dem Ratsbetrieb verabschiedet hat, während Rösti dort sehr gut und breit verankert ist», sagt Hermann. Vogt habe sich während seiner Kandidatur zwar gut verkauft, «aber am Ende ist Rösti der besser abschätzbare Wert».

Bei den Hearings vom Dienstag blickt Hermann am gespanntesten auf die Mitte-Fraktion: «Die Mitte wird entscheidend sein.» Baume-Schneider werde nur eine Chance haben, wenn sie viele Stimmen aus der Mitte-Fraktion holen könne, so Hermann. Das wäre aber zumindest nicht undenkbar, denn: «Die Mitte-Partei ist stark in den Randregionen verankert.»

Die Frage nach den Departementen

Neben der eigentlichen Wahl gibt auch bereits die Frage zu reden, welche Bundesratsmitglieder das Departement wechseln könnten. Im Zentrum der Spekulationen steht Mitte-Bundesrätin Viola Amherd, die dem Militärdepartement VBS vorsteht. Ihr wird ein Wechsel ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) nachgesagt.

«Ich glaube, ein Wechsel zum Uvek wäre ihrer Partei wichtiger als Amherd selbst», sagt Hermann. Als Indiz dafür, dass sie beim VBS bleiben wolle, könne man auch den jüngsten Coup der Verteidigungsministerin deuten: Erst vergangene Woche wurde bekannt, dass der Bundesrat ein neues Bundesamt für Cybersicherheit schafft und dieses beim VBS angliedert.

Welche Rochaden sind für ihn am ehesten denkbar? «Es gibt Anzeichen dafür, dass Karin Keller-Sutter vom Justiz- ins frei werdende Finanzdepartement wechseln möchte.» Auch die Spekulationen, wonach Alain Berset nach zehn Jahren vom Innen- ins Aussendepartement wechseln möchte, erscheinen ihm durchaus plausibel. Dennoch hält er fest, dass Prognosen zu Rochaden schwierig zu treffen seien, da nur wenige Menschen überhaupt in die entsprechenden Pläne eingeweiht seien.

Die Bundesratsmitglieder machen die Departementsverteilung am Freitag nach den Bundesratswahlen aus – und zwar unter sich.

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